The Wicker Man (1973)
Christopher Lee bezeichnete den am 6. Dezember 1973 uraufgeführten "The Wicker Man" einst als den besten Film, in dem er je mitgespielt hätte, und auch "The Guardian" hielt sich mit Lob nicht zurück und bezeichnete ihn 2010 als den immerhin viertbesten Horrorfilm aller Zeiten. Regisseur Robin Hardy wurde von der Cinefantastique zum "Citizen Kane des Horrorfilms" gekürt.
So viele Superlative für einen Film, der in Deutschland erst 2021 und somit 48 Jahre nach seinem Erscheinen eine deutsche Synchronisation spendiert bekam und von dem seinerzeit auch die Produzenten des Films nicht überzeugt waren, weshalb sie ihn rabiat kürzten und erst mit Verzögerung in die Kinos brachten. Dies hat zur Folge, dass "The Wicker Man" sich noch heute eher mit dem Geheimtipp-Siegel herumschlagen muss, was schade ist, denn wer den Film gesehen hat, wird sicherlich feststellen, dass er ein faszinierendes Unikum darstellt.
Das fängt bereits mit der Genrebezeichnung an: Obwohl letztlich schon ein Horrorfilm, ist er über weite Strecken zumindest auf dem Papier ein Krimi, der dem Polizisten Neil Howie (Edward Woodward) auf die Insel Summerisle folgt, wo er ein verschwundenes Mädchen ausfindig machen soll und dabei ausschließlich auf kauzige Insulaner trifft, die ihm den Aufenthalt mangels Kooperationswillen so schwer wie möglich machen. Der streng gottesgläubige Howie, der trotz seines fortgeschrittenen Alters noch enthaltsam lebt, wird durch das sehr freizügig mit der Sexualität umgehende Völkchen, das durchweg einem heidnischen Fruchtbarkeitskult anzugehören scheint, mehr als einmal in Verlegenheit gebracht und kommt nur sehr langsam – zu langsam? – der Wahrheit auf die Schliche.
Der Inhalt vermittelt zwar einen groben Überblick über das, was der unbeleckte Zuschauer hier zu erwarten hat, doch wird er dabei ähnlich wie die Hauptfigur ständig überrumpelt: Der Clash zwischen dem hoffnungslos verstockten Howie und den sehr offenen Bewohnern sorgt nicht selten für humorvolle Einspieler, und dann wären da auch alle Nase lang noch Songs, die die eigentümliche, mitunter traumhaft anmutende Atmosphäre noch weiter verstärken – egal ob nun Folk oder laszive Verführung, bei der Britt Ekland splitternackt durch ihr Zimmer tanzt und den keuschen Howie damit gehörig ins Schwitzen bringt, jeder Song für sich ist einprägsam. Wenn dann schließlich gar ein alter Kanon mit Angstschreien gekoppelt wird und der titelgebende "Korbmann" seinen Auftritt hat, sind wir schließlich doch in reinem Horror-Terrain angekommen, das dem lächerlichen US-Remake mit Nicolas Cage, dessen "No! Not the bees!"-Ausruf zu einem beliebten Meme geworden ist, turmhoch überlegen ist.
Angefüllt mit einer Reihe hervorragend aufgelegter bekannter Schauspieler – Christopher Lee spielt den exzentrischen Eigentümer der Insel augenzwinkernd und absolut mitreißend, aber da wären neben Edward Woodward und Britt Ekland auch noch Ingrid Pitt, Diane Cilento und Lindsay Kemp – ist "The Wicker Man" immer noch ein Fest für jeden, der sich auch mal überraschen lassen will und von wilden Genre-Mixen nicht abgeschreckt wird. Persönlicher Tipp: der Director's Cut. Der ist nicht nur 15 Minuten länger als die Originalfassung (99 vs. 84 Minuten), sondern bringt auch die Songs in eine sinnvollere Reihenfolge.
Robert Hardy ließ seinem Klassiker übrigens 2011 noch eine späte Fortsetzung mit dem Titel "The Wicker Tree" folgen, die überwiegend abgelehnt wird.
Gerade erst ist bei Arthaus / Studiocanal eine Neuveröffentlichung des Films erschienen in preiswerter wie hochwertiger Form erschienen: Fassungseintrag von Stringmaster
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