5. Mai 2017

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von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: Skandalträchtige Mediensatire aus Belgien

C'est arrivé près de chez vous (1992)

Rémy Belvaux, André Bonzel und Benoît Poelvoorde hatten zu dritt Regie geführt bei "C'est arrivé près de chez vous"; während die Filmemacher später nichts mehr inszenieren sollten - zumal sich Belvaux vor knapp 10, 11 Jahren das Leben nahm! - und bloß Poelvoorde, der auch die Hauptrolle in "C'est arrivé près de chez vous" spielte, seit ebendieser Rolle eine bis heute anhaltende, kleine Karriere als Schauspieler hinlegen konnte, stößt der Film noch immer als berüchtigter Kultfilm der 90er Jahre auf anhaltendes Interesse: Neben Stones "Natural Born Killers" (1994) und Hanekes "Funny Games" (1997) dürfte es sich bei "C'est arrivé près de chez vous" wohl um die umstrittenste Mediensatire der Dekade handeln.

Der im Mai 1992 in Cannes uraufgeführte "C'est arrivé près de chez vous" ist nicht bloß der letzte Film der drei Regisseure, sondern auch ihr erster Langfilm: vorangegangen waren bloß ein bis zwei kurze, amateurhafte Fingerübungen, darunter der Kurzfilm "Pas De C4 Pour Daniel Daniel" (1987), der in Form eines überlangen Fake-Trailers einen Spaß am Zitieren & Parodieren des populären Films erkennen ließ. (Schon dort gab Poelvoorde die Hauptrolle.)
Dieses Zitieren & Parodieren tritt in "C'est arrivé près de chez vous" ziemlich zurück; einmal zitiert die Hauptfigur Robert Enricos "Le vieux fusil" (1975), eine Nebenfigur sinniert über die Slips von Brigitte Bardot, es überwiegen aber eher die indirekten Einflüsse eines sehr direkten Kinos, des New American Cinema eines Cassavetes oder der frühen Arbeiten Scorseses; auch Godard gaben die Filmemacher als Vorbild an. Und natürlich wären die mockumentaries, die gefaketen Found Footage-Dramen und semi- oder pseudo-dokumentarischen Filme zu nennen, denen sich "C'est arrivé près de chez vous" verdankt: den Arbeiten eines Peter Watkins, Deodatos "Cannibal Holocaust" (1979) oder Reiners "This is Sp?nal Tap" (1984)... ganz zu schweigen vom snuff-Mythos und den dystopischen Filmen über das Morden vor der Kamera ("Das Millionenspiel" (1970)). Vor allem aber ist es ein Film unentgeltlich arbeitender Independent-Filmer über Independent-(Dokumentar-)Filmer, deren Filmmaterial knapp bemessen ist - handelt der Streifen doch von einer kleinen Filmcrew, deren Mitglieder einen sympathisch-zynischen Auftragskiller bei der Arbeit begleiten und dabei mehr und mehr zum Mittätern werden. Es wurde der billigste Film Belgiens, der bis dahin (und vermutlich bis heute) auf dem Cannes Filmfestival gelaufen ist. Doch die rüde, herbe Ästhetik täuscht nicht darüber hinweg, dass hier eingefleischte Cineasten am Werk waren: Das Zurückspulen des Materials, die Zeitlupe, unsaubere Bilder vom Bildschirm und eine teils nuanciert ausgefeilte Tonspur weisen auf die inszenatorische Qualität des Films hin. Mit Poelvoorde verfügt der Film darüber hinaus über einen faszinierend-charismatischen Hauptdarsteller. Und die satirische Handlung entfaltet ihr ganzes subversives Potential, indem sie das Publikum zunächst mit schwarzhumorig-satirischen Gags umgarnt und mit dem sympathischen Charme der Hauptfiguren konfrontiert, um immer wieder auch geschmacklose und unangenehme Szenen einzubauen: Der Film geht manchmal mit Berechnung zu weit - und indem er sein Publikum bewusst vor den Kopf stößt, hievt er die Satire über den Voyeurismus auf eine überdurchschnittlich hohe Ebene. (Streifen wie "The Last Horror Movie" (2003) oder "August Underground" (2001), die diesem belgischen Klassiker einiges verdanken, muten im direkten Vergleich reichlich plump an.)
Mehr? Review von Arminowitsch.

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