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von ratz

Vor 25 Jahren: Ein Hamlet für die Generation X

Stichwörter: 2000er Almereyda Drama Hawke Jubiläum Klassiker Literaturverfilmung MacLachlan Shakespeare Spielfilm Thriller USA


Hamlet (2000)

Es war wohl Kenneth Branagh, der 1989 mit seinem furiosen „Henry V“ eine wahre Shakespeare-Renaissance auf der großen Leinwand auslöste, und während der 90er Jahre stürzten sich verschiedenste Filmemacher auf die fast 400 Jahre alten Texte des englischen Dichters und hatten damit viel Erfolg bei Kritik und Publikum. (Häufiger) historisierende und (seltener) modernisierende Adaptionen gaben sich die Klinke in die Hand, zu den letzteren gehörte die „Hamlet“-Verfilmung des US-amerikanischen Independent-Regisseurs Michael Almereyda, die am 24. Januar 2000 beim Sundance-Festival Premiere feierte.

Almereydas „Hamlet“ weiß sehr wohl um seine Filmvorbilder und -vorgänger, erst 1996 hatte Branagh eine stargespickte und pompös-schwergewichtige Version dieses düsteren Stoffes abgeliefert, und Baz Luhrman hatte im selben Jahr mit „Romeo + Juliet“ gezeigt, wie man mit Shakespeare auch junge Zuschauer begeistern kann. Gleichsam Anti-Branagh und Pro-Luhrman wählt Almereyda einen dritten Weg, verlegt „Hamlet“ ins New York der Jahrtausendwende und verleiht ihm den betont unspektakulären, authentischen Look eines kostengünstigen Indie-Films. Dabei werden ausschließlich echte New Yorker Drehorte von der Luxussuite im Wolkenkratzer über das Guggenheim-Museum bis zum schmuddeligen Waschsalon an der Ecke genutzt, die Dialoge drohen manchmal im Verkehrslärm unterzugehen. Ethan Hawke, spätestens seit „Reality Bites“ (1994) das Gesicht der unentschieden ins Erwachsenenleben trudelnden Generation X, spielt die Hauptrolle als nerdiges, grüblerisches Rich Kid, das vom Geist seines toten Vaters (Sam Shepard) zur Rache an seinem Onkel Claudius („Twin Peaks“-Star Kyle MacLachlan) aufgefordert wird. Julia Stiles (in jenen Jahren in gleich mehreren Shakespeare-Verfilmungen zu sehen) als Ophelia und Bill Murray als ihr Vater Polonius garantieren weitere Starpower und setzen wie auch die übrige Besetzung das Shakepeare-Englisch unprätentiös wie Alltagssprache ein, statt es bedeutsam zu proklamieren. Besonderes Vergnügen bereitet Almereyda das Einbetten der Tragödie in einen postmodern-medialen Kontext: die Omnipräsenz von Markenlogos bekannter globaler Konzerne, von Fotos, Filmzitaten, Bildschirmen, Telefonen und Faxgeräten bestimmt den Plot mit, sie läßt Hamlet (der selbst ein Videotagebuch führt) sich nicht nur in der familiären Gemengelage verlieren, sondern beinahe noch mehr in der modernen Kommunikationssituation, die Distanz zugleich aufhebt und herstellt. Ironischerweise bewirkt die gezeigte frühdigitale Technologie, die „Hamlet“ in die Gegenwart der Jahrtausendwende holen soll, daß der Film im Heute der Smartgeräte um so mehr gealtert wirkt. Allerdings: wenn Hamlet seinen „To be or not to be“-Monolog ausgerechnet in einer „Blockbuster“-Videothek vorträgt, dann kann man nicht umhin zu vermuten, daß Almereyda nicht nur einen augenzwinkernden Meta-Gag zündet, sondern eben genau diese Kurzlebigkeit der zeitgenössischen Ton- und Bildmedien in den Blick genommen hat, wohl wissend, daß einige Jahre später sich alles grundlegend geändert haben würde.

Im Bonusmaterial der Blu-ray-Ausgabe von „Hamlet“ (Fassungseintrag) berichtet MacLachlan, er habe seine Rolle des Claudius an die reale Figur von Donald Trump angelegt – einen neoliberalistischen Turbokapitalisten, der genau wisse, wie er die Medien und sein eigenes mediales Abbild zu seinen Gunsten manipulieren könne. Diese Aussage hat sich natürlich im Jahr 2025 selbst überholt, insofern ist Almereydas „Hamlet“ sowohl eine Zeitkapsel des Jahres 2000 als auch ein prophetischer Kommentar zu gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen der westlichen Welt.







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