Wollte man einfach ein paar Schlüsselworte nennen, die in einem inhaltlichen Zusammenhang mit "Liu-San" stehen, dann wäre mit den Begriffen Waisenkind, Schamanismus und Opferritual wesentliches über die Verfilmung von Jean-Christophe Grangés Roman ( "Die purpurnen Flüsse") gesagt.
Man könnte noch Tierverwandlung, Sekte und Verschwörung hinzufügen, würde damit aber mitunter Erwartungen, ja gar gewisse Ansprüche beim Zuschauer wecken, denen der Film von Guillaume Nicloux letzlich aber nicht gerecht wird. Zumindest nicht als Mystery-Thriller, einer Etikettierung, der man dringend das Adjektiv light hinzufügen sollte, genau wie auch bei den anderen genannten Begriffen, die im Hinblick auf die Story zwar zutreffen, von der Umsetzung her jedoch sagenhaft oberflächlich realisiert wurden. Im Hinblick auf diese Inhaltsarmut erhalten weitere handlungsrelevante Begriffe im folgenden Review unvermeidlich fast schon Spoilerqualitäten.
Die Literaturvorlage mag deutlich komplexer und gehaltvoller sein als das filmische Ergebnis, auf das Nicloux und sein Produzent Grangés Roman schließlich heruntergebrochen haben, nur leider kann sich der Zuschauer vor der Mattscheibe dafür nichts kaufen. Wenn nun aber eine derart schlappe Story auch noch auf eine absolut einfallslose Dramaturgie trifft, die leider völlig undynamisch Ereignis an Ereignis reiht, dann kann man sich an fünf Fingern abzählen, wie viel Unterhaltungswert das am Ende wohl hat. Apropos Ende: obwohl bis zum Finale wirklich schon alle Luft raus ist, schließt sich an den mitleiderregend kümmerlichen Showdown noch eine ganze Reihe breitgetretener Szenen an, die schließlich die Geduldsprobe perfekt machen. Man könnte meinen, Nicloux hatte zu keinem Zeitpunkt das Gesamtergebnis im Blick, sondern lediglich einen Zettel mit Stichworten abgearbeitet und die Einzelszenen schließlich zusammengebastelt.
"Liu-San" bietet somit wohl keinen Thrill und ist überhaupt arm an Tempo, dafür gibt sich die Inszenierung aber in reichlich vielen, fürchterlich lahmen Dialogszenen auch noch als Drama aus. In dem zumindest teilweise ähnlich gelagerten "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" hatte diese Kombination aus Thriller und Drama ja auch sehr gut funktioniert, was Bernd Eichingers und Bille Augusts Produktion immer wieder sehenswert macht. Eben jene Verfilmung von Peter Hoegs Roman konnte sich aber auch auf eine insgesamt starke Cast und mit Julia Ormond auf eine absolut überzeugende Hauptdarstellerin stützen, die der Protagonistin nicht nur Leben einhauchte, sondern ihr auch Tiefe verlieh.
Diese Tiefe ist in "Liu-San" - trotz nicht gerader unerfahrener Schauspieler - nicht einmal zu erahnen. Wollte man ein Charakterprofil für die Hauptrolle erstellen, dann müsste man entweder eins erfinden oder aber zumindest das making of anschauen, wo Monica Bellucci mit ein paar oberflächlichen Worten auf ihre Rolle eingeht. Im Film ist davon jedenfalls nichts zu bemerken.
Die Bellucci sagt ebenso schlafwandlerisch wie alle übrigen Beteiligten ihre Zeilen auf und man fragt sich, warum sie selbst im gebotenen tragisch-seriösen Kontext ihr Oberteil am Ende nicht einfach einmal anbehalten hat. Der Bub ist ohnehin rein funktional, an seiner Stelle hätte es eigentlich auch irgendein Datenträger oder ein Artefakt getan, aber dann wäre die geplante Opferung wohl nicht ganz folgerichtig integrierbar gewesen. Moritz Bleibtreu versucht sich mit versteinerter Miene als russischer Agent und unterstreicht wie auch Catherine Deneuves unbedeutende Darbietung lediglich noch einmal die Beliebigkeit der ganzen Inszenierung.
Da darf man sich auch als Zuschauer wohl zurecht gelangweilt fühlen.
Geradezu kränkend ist dagegen die Redundanz, die entsteht weil man dem Zuschauer überhaupt nicht zutraut, die simple Handlungsentwicklung zu überschauen auch ohne dass man ihm die entsprechenden Zusammenhänge doppelt und dreifach erklärt. Somit stehen für mich jedenfalls die Tags fest, die "Liu-San" am ehesten charakterisieren: seicht, langatmig und uninspiriert.