Review

Nachdem der „Borat“-Hype abgeklungen ist, leiste ich mir heute einen (wahrscheinlich selten gelesenen) Rückblick bevor die endgültige Verwurstung des Konzepts in den Videoläden seinen Lauf nimmt.

Selten hat es einen Film gegeben, der schon im Voraus so viel besprochen, diskutiert, eingeordnet – „is dat jetz ne Doku oder ne Satire ?“ - und in Szenen veröffentlicht wurde. Alle waren darauf vorbereitet, die Massen fieberten auf die Premiere in den Kinosälen hin und entsprechend mannigfaltig fielen auch die Reaktionen aus.

Im Zusammenhang mit dieser Vorgehensweise stellt sich mir die Frage, warum sich Sasha Baron Cohen nicht still und heimlich an uns Endverbraucher angeschlichen hat ? - Wäre die Wirkung bei unvorbereiteten Kinogängern nicht ein Vielfaches extremer gewesen ? - Da bin ich mir ganz sicher und so schwanke ich in meiner Antwort noch zwischen Cohens Angst genau vor dieser Reaktion oder eben doch seinem Streben nach möglichst viel Kohle, die er ja nachweislich mit seinem Konzept verdient hat – bei einem Film dieser Machart sonst ein Ding der Unmöglichkeit.

Überhaupt der Film – über den Inhalt wird allgemein die Form vergessen. Cohen konfrontiert uns hier bewußt mit einem Filmchen, daß in seiner optischen Qualität nur wenig über privaten Homevideos liegt. Eingerahmt wird es von gespielten Szenen in einem kasachischen Dorf, die die erzählerische Klammer für Borat Sadiyevs Reise in die ferne USA bieten. Dort tritt der englische Komiker Cohen als vermeintlicher Kuturbeauftragter seines kleinen Landes auf und ihm gelingen einmalige Szenen – jenseits von normalen Dokumentationen oder Spielereien mit der „versteckten Kamera“.

Trotz seiner offensichtlichen Kamera verlieren seine jeweiligen Gesprächspartner auf Grund seines Auftretens und seiner behaupteten Funktion jegliche Vorsicht und lassen sich zu Aussagen hinreißen, die Cohen als eine Art Katalysator zwar herauskitzelt, inhaltlich aber immer die jeweilige Denkweise seines Gegenübers verdeutlichen. Doch diese Szenen machen nur einen geringen Teil des Films aus und merkwürdigerweise fällt mir bei der Nachbetrachtung des Films und der Reaktionen dazu auf, wie wenig die überraschend souveränen Reaktionen benannt werden.

Während sämtliche offensichtlich rassistische, antisemitische und sonstige reaktionäre Reaktionen immer wieder zitiert werden, spricht Niemand über die lässige Reaktion des Besitzers für Andenken , in dem Borat beträchtlichen Schaden anrichtet, oder des Fahrlehrers oder der Lehrerin für Benimm, die sich den Penis seines vermeintlichen Neffen ansehen darf. Diese Personen lassen sich keineswegs zu abwertenden Bemerkungen hinreißen, vielleicht auch wegen der Kamera, aber die Voraussetzungen sind ja für alle handelnden Personen die Selben...

Es stellt sich auch die Frage, wer über Reaktionen von Waffenhändlern, Teilnehmern bei Rodeos im schönen amerikanischen Süden oder Burschenschaftenmitgliedern überrascht ist – auch die Szenen in der „Erweckungskirche“ dürften schon häufiger betrachtet worden sein, auch wenn sie hier sehr schön dokumentiert sind. Und das Feministinnen bei Borats Bemerkungen nicht in Begeisterung ausbrechen würden, war doch wohl vorhersehbar ?

Größtenteils sorgt Cohen selbst für die Provokationen. Die offensichtlich antisemitischsten Szenen – die Dokumentationsaufnahmen der Jagd auf antjüdische Fratzen, die Spielszenen mit den Schaben im Haus des netten jüdischen Ehepaares – sind von ihm hinzugefügt oder inszeniert worden. Genauso seine ständigen sexistischen Bemerkungen, die vor keiner Abart halt machen, seine Bemerkungen zu den Gay-Auftritten, seine Jagd auf Pamela Anderson und sein Nackt-Ringkampf mit seinem fetten Partner.

Was will er damit erreichen ? - Dokumentation ? - Satire über das amerikanische und kasachische Volk ? - Wohl kaum. Dafür ist es viel zu offensichtlich, daß diese Extreme bewußt von ihm inszeniert wurden und kaum als durchschnittliche Verhaltensweise durchgehen können.

Mit ein wenig Abstand sollte jeder Betrachter des Filmes zu dem Bewußtsein gelangen, daß Cohen vor allen Dingen für uns diese Ereignisse zelebriert, wir seine „Opfer“ sind. Egal, ob wir uns die ganze Zeit kaputtlachen, empört sind, den Film entweder für besonders schlecht oder gut halten – wir werden zu einer Reaktion gezwungen- einfach abtun und zur Tagesordnung übergehen, wie wir das bei einer Menge normaler Actionfilme oder Komödien machen, können wir hier nicht und ich bin sicher, es wird kaum einer vergessen, daß er diesen Film gesehen hat.

So sollte man sich selbst fragen, ob man die hier geschilderte Tragweite tatsächlich erkennt. Auch wenn wir Kasachstans heutigen Ärger über die Verunglimpfung verstehen – denken wir dabei nicht eher an die Szenen mit Borats Schwester ? - Hält irgendjemand von uns Kasachstan nicht für rückständig ? - Ist Jemand überrascht oder beklagt sich gar darüber, daß die filmischen Mittel, die Cohen hier verwendet, primitivstes Niveau haben ?

Ob wir ab sofort Borats Nacktkampf als Dauerpräsent auf unserem Desktop haben oder bei der bloßen Erinnerung an das „Fatsitting“ das Kotzen kriegen, sagt nichts über die Qualität des Films aus und wer möchte behaupten, er hätte ähnlich viel Geduld mit Borat gehabt, als er sein Häufchen mit zum Abendessen bringt? Kurz, unsere Reaktionen auf Cohens Provokationen sagen viel über uns aus, ob wir wollen oder nicht und ob wir das merken oder nicht...gerade die immer wieder gern gemachte Behauptung, es handele sich um eine Sezierung der amerikanischen Gesellschaft, sagt viel über unseren Hang zur Selbstverleugnung aus.

Doch abschließend muß die Frage gestattet sein, ob in diesem Werk eine Leistung steckt, die über das Feeling dafür, wie man heutzutage noch provozieren kann, hinaus geht. Wäre es nicht viel hintergründiger gewesen, Cohen hätte den Film in Top-Qualität gedreht, hätte zwischendurch auch bewußt positive Dinge hervorgehoben und unsere Erwartungshaltung damit ad absurdum geführt ?

Nein, hintergründig wollte Cohen nicht sein – im Grunde ist er „Ali G“ und hat hier nur noch mehr über die Stränge geschlagen - vielleicht wurde er sogar selbst überrascht davon, wie sehr er damit bestimmten Leuten auf die Füße getreten hat, denn die Betonung, daß er selbst Jude ist (die hier auch in kaum einer Review fehlt),zeigt ja deutlich, wo die tatsächlichen Grenzen liegen, die er letztendlich auch nicht überschritten hat.

Eine abschließende Bewertung nach unserem üblichen Zahlensystem halte ich hier für schwierig – für soziologische Betrachtungen, an denen ich immer viel Freude hab, eignet sich der Film perfekt und es macht selten so viel Spaß sämtliche Reviews zu lesen (wann jemals hätte sich Blade Runner zu so einer Reaktion hinreißen lassen ?) - ob aber Cohen das tatsächlich beabsichtigt hat, wage ich zu bezweifeln und ob sein Film eine längere Haltbarkeit besitzt,glaube ich nicht – nichts unterliegt mehr dem Zeitgeist als die Form der Provokation.

So ist Cohens Werk vor allem ein Ausdruck der Gegenwart – das was wir uns 2006 verdient haben.

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