Viel wurde über Oliver Stones "World Trade Center" diskutiert. Darf ein solcher Film nur wenige Jahre nach dem 11. September 2001 schon gezeigt werden? ist es pietätslos, reaktionär oder schlicht ein erster gewagter Versuch einer Aufarbeitung?
Zweifellos lassen sich für alle Positionen plausible Gründe und Indizien anführen - aber auch so manche sonderliche Auswüchse entdecken.
Beim Studieren diverser Kriken zum Thema "World Trade Center" manifestierte sich bei mir schnell ein Gedanke: Oliver Stone steht im Falle von "World Trade Center" zumindest aus europäischer Sicht weniger des Filmes als vielmehr der Thematik wegen am Pranger. Ähnlich dem berühmten "Uwe Boll-Phänomen" (dort ist es schlicht der Name des zu Recht umstrittenen Regisseurs) scheint auch "WTC" aufgrund seines Inhaltes eine gewisse willkommende Angriffsfläche zu bieten, die sich vermutlich recht genau auf vermeintlichen Hurra-Patriotismus und emotionsgeladene Amerika-Glorifizierung präzisieren lässt.
Hier will ich Einspruch erheben: Man sollte sich einmal ernsthaft fragen, was eine spielfilmische Umsetzung der bisher größten Tragödie des 21. Jahrhunderts denn anderes zeigen soll, als die kleinen und großen Helden des 11. Septembers - zumal auf realen Figuren beruhend? Soll die Realität ins Groteske verzerrt werden im pseudokritischen Stile etwa eines Michael Moore? Sollen in Parallelmontage actionreiche Kriegsszenen vorweggenommen werden, um die vermeintliche inhaltliche Leere bzw. die schlichte, nichts anderes zulassende Hilflosigkeit der Begrabenen zu kaschieren? Muss man sich nun in nichtigen Details verbeißen wie vermeintlich zu vielen und von der Kamera zu fokussierten Rettern auf den Trümmerbergen?
Mir kommen da doch einige Zweifel an der Legitimität mancher Kritikerstimme. Sicher wäre eine Dokumenation in Spielfilmlänge möglich gewesen, solche gibt es sogar schon in ausreichender Menge! Oliver Stone versucht mit "World Trade Center" hingegen eine frühe und ganz sicher gewagte Aufarbeitung des großen Traumas für die Hollywood-Kinoleinwand und eben diese braucht zwingend Helden, ebenso wie christliche Symbolik in Form der durchaus realistischen Jesuserscheinungen der verschütteten Feuerwehrmänner im Angesicht des allgegenwärtigen Todes.
Technisch gibt sich Oliver Stone jedenfalls keine Blöße. Gerade das Nicht-Zeigen der Einschläge stellt eines der beeindruckenden Highlights des Filmes dar und beweist eine respektable Portion Feingefühl gegenüber den fast 3000 Opfern der Anschläge. Auch im weiteren Verlauf des Filmes charakterisieren Schlichtheit und Routine das Erscheinungsbild.
Außer einem lauten Knall und einem unheimlichen Schatten haben vermutlich 95% der New Yorker zunächst einmal nichts von den Anschlägen wahrgenommen! Authentisches (Live)Fernsehmaterial ist erst zeitverzögert im Film zu sehen, ganz wie es damals auch der Realität entsprach. Hier gelingt Stone der Spagat eindrucksvoll.
Jede andere Form der Umsetzung wäre umgehend als ultimativ effekthascherisch zerrissen worden...
Parallel zu den Ereignissen am "Ground Zero" schildert Regisseur Stone einen zweiten Handlungsstrang, der Ungewissheit, Trauer und Verzweifelung der Katastrophenhelfer-Angehörigen recht ausgiebig darstellt. Er verleiht dem Film eine weitere, wichtige Perspektive. Eine, die kaum in den Nachrichten dieser Tage zu sehen gewesen ist und selbstverständlich hier auch (aber nicht nur) dem breiten, emotional anleitbaren Kinopublikum geschuldet ist. Der regelmäßige Wechsel zwischen den beiden höchst kontrastintensiven Schauplätzen tut dem Filmfluss sichtlich gut, gibt es in den rauchenden Trümmern des World Trade Center doch in der Tat nicht viel mehr zu visualisieren als das endlose Warten und Hoffen auf Rettung.
"WTC" ist folgleich ein bewusst wenig handlungsintensiver Film geworden, das ist unstrittig. Er fordert seine Darsteller dementsprechend auch nicht sonderlich (und hätte im Sinne der Authenzität auch auf einen szenariobedingt völlig austauschbaren Hollywood Star wie Nicolas Cage verzichten sollen). Nicht von ungefähr sind es dann eher die Nebenrollen (Maggie Gyllenhaal, Maria Bello), die sich hier mindestens auf Augenhöhe mit den "verschütteten Stars" spielen.
Die Schockstarre Amerikas - und der ganzen Welt - jener Stunden wird jedoch auch mit pro forma vorhandenem Staraufgebot adäquat eingefangen. Die vielfältigen Emotionen des Trotzes und des Unglücks sind erscheinen gerade auf der Kinoleinwand mehr als nur legitim, ja sie sind ein fester Teil jenes Ereignisses, das die Welt nachhaltig veränderte. Fester Bestandteil ist auch der einsame Marine, der später "zwei Touren im Irak" absolvieren wird. Nicht wenige junge Amerikaner zogen seinerzeit motiviert und zweifelsohne teils blauäugig in den "Kampf gegen den Terror", der bis heute nicht gewonnen ist und wohl auch nicht gewonnen werden wird.
Fazit: Oliver Stone beweist mit seinem gut zweistündigen Werk viel Mut, indem er sich an ein gewichtiges, immer noch äußerst emotionales Thema wagt. Es versteht sich von selbst, dass die Reaktionen hierauf rund um den Globus und quer durch politische Verwurzelungen äußerst unterschiedlich ausgefallen sind. Eine Existenzberechtigung besitzt das vorliegende filmische Resultat - neben den ein anderes Konzept verfolgenden, semidokumenatorischen Aufarbeitungen vom Schlage eines "Flug 93" - aber denfitiv.
Vielleicht sollte man sich Stones "World Trade Center" mit dem Gedanken nähern, hier zweifelos realitätsnahe Einblicke in traumatisierte amerikanische Seelen erlangen zu können, die wir als Europäer jedoch nur bedingt nachvollziehen können. Die Interpretationsgrenze zwischen echten Emotionen und plattem Kitsch verschwimmt gerade dann verständlicherweise nur allzu schnell.
"World Tade Center" ist kein Film, der viel zu erzählen hat. Das möchte er vermutlich auch garnicht...
Keep remembering: It's only a movie!