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Charlton Heston, auf einer Trage liegend, die Wahrheit über „Soylent Green“ aus sich herausbrüllend. THX 1138, das erste Mal das Licht der Sonne am Ende des Tunnels spürend. Ein Mann mit einer Kapuze über dem Kopf auf einem Folterstuhl, dessen Geist in die Freiheit geflohen ist. Logan 5, der sich das erste Mal den Spuren des Alterns gegenüber sieht. Wieder Charlton Heston, christus-like von einem Speer durchbohrt, in einem Brunnen verblutend.
Früher war Hollywood voll von interessanten und düsteren Uto- und Dystopien, die uns spielerisch vorführten, was aus der Welt werden könnte, wenn wir nicht auf sie oder auf uns selbst Acht geben. In den letzten Jahren ertranken solche Versuche immer öfter im Kitsch.

Jetzt ist Alphonso Cuaron mit „Children of Men“ fertig und er bläst frischen Wind ins utopische Genre, denn was er vor unseren Augen erstehen lässt, ist vor allem eines: düster, negativ und dennoch höchst realistisch.

Rein narrativ ist es Geschichte über eine nicht mehr allzu ferne Zukunft, in der die Frauen nicht mehr fähig sind, Kinder auszutragen, ohne das es bisher gelungen ist, den Grund dafür festzustellen. Doch plötzlich tritt an einen desillusionierten Einzelgänger eine politische Gruppierung heran, die ein heißes Eisen in der Hand hat – eine Schwangere im 8.Monat.
Doch weil die Mutter eine sogenannte illegale Einwanderin ist, eine „Fugee“, muß sie außer Landes geschafft werden.

Basierend auf dem Roman von P.D.James entwirft Cuaron vor unseren Augen wie beiläufig das Bild einer nahen Zukunft, wie sie düsterer nicht sein könnte. Die Welt ist im Zerfall begriffen, Terrorismus und militante Gruppen bestimmen das Bild, in England kann die Ordnung nur deswegen halbwegs aufrecht erhalten werden, weil das Militär rigide durchgreift.
Da sonst das Chaos regiert, ist die Insel natürlich der Fluchtpunkt für Auswanderer aus allen Ländern, doch die Regierung deportiert sämtliche Nichtbriten als Illegale erst in Lager und später außer Landes, notfalls mit Gewalt. Während die Umweltzerstörung voranschreitet und religiöser Wahn überall ist, entzieht das Fehlen von Kindern der Welt ihre Existenzgrundlage, die Regierung gibt kostenlos Selbstmordpakete ab.

Diesen Mix aus Chaos und Schmutz, aus Resignation und Hysterie, aus Verzweiflung und Aggression, taucht Cuarons Kameramann Emmanuel Lubezki in graue, ausgebleichte, sterbende Nichtfarben, während der Zuschauer wie nebenbei aus Schilderungen, Alltagserlebnissen und Zeitungs- oder TV-Meldungen sich ein Bild vom Stand der Dinge machen kann.

In dieser Einöde des Ausweglosigkeit macht sich Theo Faron, dargestellt von Clive Owen, hervorragend. Als desillusionierter Ex-Aktivist hat sich die Hoffnungslosigkeit mit einem trüben Sarkasmus wie ein Krebsgeschwür in ihm verbreitet, er vegetiert nur noch dahin.
Doch dann verpflichtet ihn seine Exfrau gegen Geld, eine Frau außer Landes zu schaffen, in die Sicherheit des „Human Project“, das für eine sichere Welt forscht und kämpft – denn die Frau bekommt ein Baby und das recht bald.

Was sich dann entwickelt, ist eine Mischung aus Flucht und Road Movie, in dem niemand immer so ganz das ist, was er zu sein vorgibt. Cuaron entwickelt seinen Film und die Reise seiner Protagonisten zu einer Irrfahrt in den Schrecken, denn alles ist noch viel schlimmer, als es scheint. Politische Gruppierungen erweisen sich als kriegslüsterne Terrortreiber, das Militär lädt seinen Frust in Gewaltaktionen und Massenmorden ab, die meisten kämpfen für sich allein, die alten Werte bleiben auf der Strecke.

„Children of Men“ analysiert nicht die Situation, forscht nach Grundlagen oder bietet Lösungen an – und liegt damit genau richtig. Es ist das Ausmalen der schlimmstmöglichen Zustände, in dem man sich nur noch auf eins verlassen, auf sich selbst, den persönlichen Einsatz und Individualismus.
Es geht nicht um die Suche nach einem Sinn, es gibt nicht mal ein Motiv für Theos Einsatz für die junge Schwarze. Sein Antrieb, bis zum Äußersten zu gehen, wird durch nichts begründet, allenfalls durch ein wenig Hoffnung und die Aussicht, ein Ziel zu haben, die Ziellosigkeit zu überwinden. „Children of Men“ wird so zum Appell an den Menschen selbst, ohne die einfachste Lösung, wie im Film üblich, mitzuliefern.
Und auch die reaktionärste Möglichkeit wird ausgeschlossen, konsequent geht Theo seinen Weg unbewaffnet und in keiner Szene und gegenüber keiner Bedrohung verlangt er danach, Gegenwehr als reiner Selbsterhaltungstrieb im Affekt.
Ohne den Zuschauer auch nur eine Minute auf Distanz zu halten, führt die Kamera ihn auf direktestem Weg durch die sieben Kreise der Hölle und auf dem Weg dorthin zermahlen die Mühlen des Schreckens jeden Begleiter, der Theo je geholfen hat, eine konsequent unmenschliche Welt. Das finale Gefecht in einem Gebäude einer Hafenstadt zwischen Terrorkommandos und Armee ist dabei so konsequent ultrarealistisch, das es locker an „Der Soldat James Ryan“ herankommt.

Auch die Gefahr, mit der Geburt des Kindes (übrigens eine sehr realistische Geburtsszene, bei der jeder „Anteil nehmen darf“), ein Übermaß an christlicher Erlöserbotschaft ins Spiel zu bringen, weiß der Regisseur zu unterbinden. Zwar gönnt er dem flüchtenden Pärchen einen messianischen Augenblick, bricht dann aber auf dem Höhepunkt der Szene, indem er das Gefecht neu beginnen lässt.
Wie überhaupt die Unerträglichkeit der Stimmung immer wieder durch spöttischen Humor gebrochen wird, ohne in unpassende Albernheiten zu verfallen.

Und dennoch serviert uns Cuaron die Schrecken der Utopie praktisch in all ihrer Fürchterlichkeit im Vorbeigehen, streift Entwicklungen, die ihren praktischen Anfang schon in unserer Realität genommen haben.
Da stecken Immigranten in Käfigen, werden durchsucht, bestohlen und hingerichtet, herrscht militärische Willkür in kaum verhohlener Wut. Da gibt es beiläufige Terroranschläge und Ausbombungen, ist die Zerstörung der Kunst weit fortgeschritten, siecht das Land, liegen tote Tiere herum, ist ein Leben nichts mehr wert.

Konsequent geht Cuaron seinen Weg zuende und bietet auch ganz am Schluß keinen wahren Lösungsansatz, sondern lässt den Funken Hoffnung als solchen bestehen. Wie es für die Überlebenden weitergeht, bleibt völlig unergründet, die Hoffnung an sich ist es, was zählt – während der Rest der Welt im Hintergrund zugrunde zu gehen scheint.

„Children of Men“ wirft sicher viele Fragen auf, liefert aber keine Antworten.
Die Antworten finden in wir in unserer heutigen Zeit, denn nichts in diesem Film ist so fremd, das es unmöglich wäre.
Wenn also jemand wissen möchte, „warum?“, dann mag er nur die Zeitung aufschlagen.

Cuarons Werk ist ganz großes Kino, das sich niemals den Erwartungen des Zuschauers anbiedert, eine sehr wichtige, weil unpopuläre Art, Filme zu machen.
Es wird abzuwarten sein, ob das heutige Publikum noch Willens sein wird, so etwas zu verarbeiten oder ob die Ignoranz zugunsten einer halbgaren Form leichter Unterhaltung sich schon zu sehr in uns festgesetzt hat.
Ich für meinen Teil muß gestehen, das es der berührenste Film war, dem ich in diesem Jahr im Kino begegnet bin. (9,5/10)

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