Neues aus der Endzeit (3)
CHILDREN OF MEN
(CHILDREN OF MEN)
Alfonso Cuarón, USA/Großbritannien/Japan 2006
Alfonso Cuaróns Children of Men ist ein bei Publikum und Kritik hoch angesehenes Big-Budget-Endzeitdrama – und darf damit zu den Vorzeigewerken eines vorwiegend von TV-Dutzendware und billigen Independent-Produktionen stark schwankender Qualität dominierten Genres gezählt werden. Allerdings ist nicht alles, was fleißig vorgezeigt wird, auch von besonderem Wert, weshalb es zumindest keinen Schaden anrichtet, wenn man diesem Streifen (wie eigentlich allen, bei denen die Millionen im Dutzend angefasst werden) mit einer gewissen Skepsis begegnet – es könnte immerhin eine mögliche Enttäuschung abmildern.
Wir schreiben das Jahr 2027, und in dem sieht’s gar nicht gut aus. Weltweit ist die Menschheit dabei, in Chaos, Gewalt und Dreck zu ersticken. Auf der britischen Insel gibt es wenigstens noch einen Hauch von Zivilisation, aber der ist teuer erkauft: Großbritannien hat sich zu einem brutalen faschistoiden Polizeistaat entwickelt, der gnadenlos gegen aus allen Teilen der Welt anrückende Flüchtlinge vorgeht. Noch wesentlich schwerer als Chaos, Gewalt und Dreck wiegt allerdings der Umstand, dass seit über achtzehn Jahren auf unserem gesamten Planeten kein menschliches Baby mehr geboren wurde – unsere Spezies droht auszusterben.
Damit steht, auch wenn ihm die Weltgeschichte längst widersprochen hat, ein zweifelsohne interessanter und angenehm finsterer Ansatz (sein Ursprung ist die 1992 erschienene Novelle „The Children of Men“ von P. D. James), aber der aus ihm erwachsene Film birgt leider ein beträchtliches Problem: Es lässt sich schon nach kurzer Zeit fast haargenau ahnen, wie hier der sprichwörtliche Hase laufen wird. Und ja, schon bald läuft er los.
Wir lernen unseren Helden Theo kennen, einen missgelaunten, desillusionierten und (Klischee, komm raus!) selbstverständlich auch dem Alkohol verfallenen Mann, der eigentlich mit allem abgeschlossen hat und sich nicht einmal ernsthaft erschüttern lässt, als in dem Imbiss, den er gerade mit einem Becher Kaffee verlassen hat, eine Terroristenbombe explodiert. Eines Tages wird er auf ziemlich ruppige Weise von seiner Ex-Frau kontaktiert (man kidnappt ihn), die eine Widerstandsgruppe leitet und ihn um einen Gefallen bittet: In ihrer Obhut befindet sich das große Wunder schlechthin – eine schwangere junge Frau, welche Theo unter Nutzung seiner Beziehungen außer Landes schleusen soll, weil das Baby in England Gefahr laufen würde, für unlautere Zwecke missbraucht zu werden. Da man ihm auch ein wenig Geld anbietet, übernimmt Theo den Job. Mit der Beschaffung von Ausreisepapieren ist es jedoch leider nicht getan: Bald schon geraten er und die afroeuropäische Schwangere in blutige Auseinandersetzungen und können niemandem mehr trauen – am wenigsten den Leuten, die sie losgeschickt haben ...
Man möchte nicht mit ihnen tauschen: Alfonso Cuarón inszeniert ihre Reise beziehungsweise Flucht durch das halb verwüstete und sozial bis an den Rand der Anarchie kollabierte England als veritablen Albtraum, illustriert durch verstörende Bilder und Szenen, die vor allem dann, wenn sie den Umgang verrohter Polizisten und Soldaten mit den zum Teil in Käfigen eingesperrten Flüchtlingen zeigen, echt hart und schwer verdaulich sind. Natürlich fällt eine solche Dystopie, die neben gesellschaftlichen auch ökologische Aspekte einschließt, ganz unmittelbar auf unsere Gegenwart zurück – aus dieser Sicht ist Children of Men durchaus ein Film von beträchtlichem Gewicht, dessen Autoren Alfonso Cuarón, Timothy J. Sexton, David Arata, Mark Fergus und Hawk Ostby verstanden haben, woran die Menschheit krankt. Zu ihrer Heilung fällt ihnen jedoch nichts ein. Statt dies aber auch einzuräumen, was völlig okay wäre, versteigt sich ihr Skript letztlich in diffusen Erlösungs-Schwulst.
Bis dahin gibt es allerdings noch einige tatsächlich extrem spannende Sequenzen und eine Menge an überzeugend ins Bild gesetzter wuchtiger und blutiger Action – sowohl die Bilder als auch die Tonspur sind dabei derart authentisch geraten, dass man sich mitten im Geschehen wähnt und wohl des Öfteren unwillkürlich den Kopf einzieht. Am Ende aber legt unser sprichwörtlicher Hase eben doch eine präzise Punktlandung hin (Spoiler bis zum Absatz): Die Schwangere bekommt ihr Baby und die beiden werden von Theo zu einem rettenden Schiff namens „Tomorrow“ gerudert, das sie an einen verklärten „besseren Ort“ bringen soll. Und damit auch keiner, aber wirklich keiner aus diesem Finale herauskommt, ohne bis in den nächsten Tag hinein ergriffen zu sein, muss Theo, nachdem er seine letzten Ruderschläge gemacht hat, tot dahinsinken.
Ich persönlich hatte über diese schmalztriefende Melodramatik hinaus auch noch ein weiteres massives Problem – es betrifft wieder einmal das Personal. So ist Theo eine extrem konturlose und wie schon angedeutet lediglich durch ein paar Klischees definierte Figur, die man über weite Strecken eher distanziert begleitet, bis sie gegen Ende durch ihr Handeln etwas einnehmender wird. Leider ist auch ihr Darsteller Clive Owen nicht in der Lage, sie interessanter zu gestalten, weil ihm einfach die nötige Ausstrahlung fehlt. In Andrew Niccols Science-Fiction-Thriller Anon bin ich zuletzt etwas besser mit ihm zurechtgekommen. Überhaupt nicht zurechtgekommen bin ich hier jedoch mit der Figur der Schwangeren, gezeichnet als unsympathische, rotzige und sorry, strunzdumme junge Frau. Ihrer Darstellerin Clare-Hope Ashitey kann man in dieser Sache allerdings nichts vorwerfen – sie macht ihr Ding den Umständen entsprechend recht ordentlich. Umso deutlicher soll dafür die Kritik an der Auswahl ihrer deutschen Synchronsprecherin sein, die sich, noch mal sorry, wirklich schwer nach Gosse anhört. Neben Clive Owen und Clare-Hope Ashitey hält der Cast noch ein paar große Namen bereit – so begegnen wir der hier erschreckend schwachen Julianne Moore als Ex-Frau des Helden, dem zuverlässigen und charismatischen Chiwetel Ejiofor als Mitglied ihrer fragwürdigen Widerstandsgruppe und schließlich Michael Caine, der als kiffender alter Bekannter des Helden das eindeutige darstellerische Highlight des Streifens markiert und ehrlich gesagt auch die einzige sympathische Figur verkörpert. Immerhin: Wenigstens eine.
Die Optik wird maßgeblich von den Endzeitsets geprägt, was dazu führt, dass der gesamte Film in die Farben Graublau und Graugrün getaucht ist – wen man denn überhaupt noch von Farben reden kann. Das passt natürlich, und sämtliche Schauplätze sind auch sehr eindrucksvoll und aufwändig gestaltet. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass Children of Men kein billiger B-Film ist: Alfonso Cuarón konnte über ein Budget von gut 75 Millionen Dollar verfügen – von daher war es Pflicht, hier etwas visuell Überzeugendes auf die Beine zu stellen. Dass der Film im schnöden 1.85:1-Format daherkommt, schränkt ihn zumindest in meinen Augen allerdings deutlich ein. Dafür weiß der Score zu gefallen: Er stützt sich vorwiegend auf betont emotionale, von Frauenstimmen dominierte Motive, was vielfach gut funktioniert, gegen Ende aber immer schmalziger wirkt. Umso erfreulicher, und zwar richtig erfreulich sind ein paar integrierte Songs – so gibt es eine schöne Coverversion von „Ruby Tuesday“ und sogar „In the Court of the Crimson King“ von King Crimson (!) zu hören. Auch an Pink Floyd wurde, obgleich nicht direkt musikalisch, gedacht: In einer Szene schwebt ein großes Schwein zwischen den Schornsteinen einer sehr bekannten Fabrik ...
Den Film macht das indes kaum besser – Children of Men ist eine erstklassig in Szene gesetzte, dichte und angemessen krasse Dystopie, die aber letztlich den Fallstricken ihrer Grundidee zum Opfer fällt und sich mit großer Geste in plakativer Holzhammersymbolik, Pathos und Melodramatik verliert. Die oben angesprochene und empfohlene Skepsis war also zumindest in meinem Fall berechtigt: Ja, Children of Men spricht relevante Themen an, findet starke Bilder, hat mordsspannende, wuchtige und verstörende Momente und ist in einigen Szenen auch wirklich bewegend, aber davon will irgendwie nichts übrig bleiben – schon fünf Minuten nach dem Abspann hatte ich das Gefühl, hier vor allem einen Haufen Kitsch gesehen zu haben.
(04/21)
Knappe 6 von 10 Punkten.