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Hautnah am Sportlerleben, doch selbst kein Sportler. Dicht an dicht mit der Prominenz dieser Welt, doch keiner von ihnen. Das Leben eines Journalisten ist mehr ein Hineinriechen, ein geduldeter Besuch oder ein privilegierter Blick hinter die Kulissen anderer. Mit keiner anderen Berufsgruppe konnte Fellini besser eine nach Identität, Authentizität und Bedeutung suchende Existenz ausstatten. Überall dabei, aber nirgends wirklich dazugehörig. 

Es fehlt was, aber was?
Ganz anders als in seinen neorealistischen Frühwerken, in denen seine Figuren nach vermeintlich selbstverständlichen Dingen wie Geborgenheit, Respekt und menschlicher Wärme gesucht und gestrebt haben, weiß hier die Hauptfigur, Marcello (Marcello Mastroianni), offenbar selbst nicht was er braucht. Mit Liebe schüttet ihn seine Verlobte zu und Anerkennung findet er unter seinen Kollegen sowie unter seinen zahlreichen Geliebten. Eine Leerstelle in seinem Leben existiert dennoch, doch was sie füllen kann, bleibt unklar. Alles wird ausprobiert: das Intellektuellenleben eines Schriftstellers, das gleichmütige Treiben lassen des Bohemien sowie die spirituelle Mystik der Kirche. Es wird probiert und nach kurzer frustrierender Zeit wieder fallen gelassen. Selbst das Auftauchen seines Vaters, das Richtungsweisendes verheißt, bleibt unbefriedigend. Von dem wilden feuchtfröhlichen Leben seines Sohnes beeindruckt und auch schnell dem schnellen Sex und oberflächlichen Reizen jener glitzernden Welt verfallend, ergreift er noch in der selben Nacht befremdet und gesundheitlich angeschlagen die Flucht. Bis auf hohle Phrasen und – die von billigem Pomp geblendet – bewundernden Blicke, will nichts Ergreifendes, Richtungweisendes oder Tiefsinniges aus der Begegnung mit seinem Vater entstehen. Enttäuscht über diese Entfremdung bleibt Marcello in seiner Welt zurück. 

Fellini zeigt eine Generation, denen das Wirtschaftswunder der 50er Jahre die Glückseeligkeit der vielen Möglichkeiten und des Luxus versprochen hat. Doch dieser neu gelebte Pluralismus stellt sich als ein Labyrinth heraus, das ausschließlich in Sackgassen zu münden scheint. Es wird niemals gänzlich klar, was imstande ist Marcellos Leben zu füllen. Welche Gesinnung, welcher Glaube, welche Berufung oder welche Erscheinung ist die für Marcello Identitätsstiftende? Fellini bleibt die Antwort konsequent schuldig. Das junge, hübsche Mädchen am Strand, das am Ende wieder auftaucht, hat vielleicht die Antwort auf den Lippen, doch der (Lebens-)Lärm, der Marcello umhüllt, verhindert ihr Verstehen. Mit entschuldigendem Schulterzucken zieht er weiter in die nächste Episode seines Lebens.

Es verwundert auch heute kaum, dass La dolce Vita zum heftig umkämpften Skandal wurde. Wurden doch die Eckpfeiler der Gesellschaft, die sich zusammensetzten aus Intellektuellen, Bürgerlichkeit, kirchlichen Vertretern, verblasstem Adel sowie der Prominenz aus Film und Musik heftig als frustriert dekadente und obszöne Ober(flächen)schicht attackiert. Anders als Luis Bunuel, der in seinen surrealen Kompositionen die Absurdität des Bürgertums kenntlich machte und nur spöttische Blicke zuließ, blickt Fellini fast schon milde und mitleidig auf seine suchenden und gestörten Figuren. Denn wie so oft bei Fellini, ist der zur Muse stilisierte Marcello Mastroianni alter Ego sowie Stellvertreter des großen Regisseurs selbst.
Fellini schuf hier ein zeitloses Meisterwerk, dessen Brisanz und Aktualität eher zugenommen denn abgenommen hat.

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