Nach der Trennung von seiner Frau kehrt der Allgemeinmediziner Dr. Meluzin Paris den Rücken und in seine Heimat zurück, wo er die Praxis eines Kollegen in einem kleinen, ärmlichen Bauerndorf im tschechischen Hinterland übernimmt. Die Dorfbewohner stehen dem Neuankömmling misstrauisch gegenüber, tun sich schwer damit, ihn so einfach als Ersatz seines verstorbenen Vorgängers zu akzeptieren. Selbst nachdem Meluzin nach und nach einen freundlichen Umgang zu dem weiblichen Teil des Ehepaars, in dessen Haus er untergekommen ist, und zu seinem Assistenten entwickelt hat, ist die Gesamtstimmung immer noch gegen ihn gerichtet. Eines Tages allerdings lernt er eine weitere Außenseiterin des Ortes, ein junges, eigenwilliges Mädchen namens Marketa kennen, und damit jemanden, der seine Hilfe nicht nur dringend nötig hat, sondern auch bereit ist, sie anzunehmen…
DÝM BRAMBOROVÉ NATE ist der erste größere Spielfilm, den Frantisek Vlácil seit 1969 drehen konnte. Im Jahre 1977 liegt die Tschechische Neue Welle längst in Trümmern. Die meisten namhaften Regisseure verstummten oder wandten sich leichter Unterhaltungskost wie beispielsweise Märchenfilmen zu. Vlácil inszenierte mit DÝM BRAMBOROVÉ NATE zwar nun keinen anspruchslosen Film, allerdings ist er mit ihm schon ziemlich weit von einstigen Glanztaten wie MARKETA LAZAROVÁ entfernt. Inwieweit nun das Studio oder allgemein äußere Umstände dafür verantwortlich sind, kann ich nicht beurteilen, allerdings sieht der Film zu keiner Sekunde anders aus als ein TV-Film, dessen optische Schauwerte gegen Null tendieren, was gerade bei einem Regisseur wie Vlácil, der in der Vergangenheit Filme komponierte, bei denen jedes einzelne Bild ein Gemälde darstellte, überrascht und wehmütig stimmt. Der Stil von DÝM BRAMBOROVÉ NATE ist noch minimalistischer als der in ADELHEID, wo Vlácil sich eindrucksvoll von seinen vorherigen, überladenen Mittelalterepen distanzierte, aus visueller Sicht gibt es keine Überraschungen, die Bilder erwecken einen schlichten, kühlen Eindruck, die, und das muss man ihnen zugutehalten, perfekt mit der Schauspielkunst Rudolf Hrusínskýs harmonieren, der den Dr. Meluzin verkörpert und Freunden tschechischer Filmkunst vor allem durch Juraj Herzs SPALOVAC MRTVOL bekannt sein dürfte. Hrusínský, selbst Regimekritiker, in dessen Filmographie wie in der von Vlácil vor DÝM BRAMBOROVÉ NATE eine beachtliche Lücke klafft, ist für mich das Highlight des Werks, seine Darstellung der Titelfigur schlicht großartig. Nur selten, in wenigen Momenten, schiebt sich ein Ausdruck in sein sonst unbewegtes, verschlossenes Gesicht. Hrusínský drückt die Emotionen, die in dem verbitterten, zutiefst traurigen und das alles hinter einer nüchternen, professionellen Fassade versteckenden Arzt schlummern, mittels winziger Gesten, einem Blinzeln, einer minimalen Veränderung in seiner Miene aus. Der Film an sich passt sich dabei Hrusínskýs Charakter an, vermittelt Gefühle eher unterschwellig als offensichtlich, verzichtet auf allzu emotionale Szenen, hält sich in allem zurück, womit er zwar eine zusätzliche Distanz zwischen sich und dem Zuschauer aufbaut, allerdings auch verhindert, dass die teilweise ordentlich tragische Geschichte ins allzu Dramatische umkippt.
Was auffällt, ist, dass Vlácil bei DÝM BRAMBOROVÉ NATE offensichtlich einfach nur eine anrührende Geschichte erzählen wollte – oder durfte. Nur zu Beginn witterte ich kurz politische Untertöne, wenn Meluzin sich in dem Dorf einer Atmosphäre von stetem Misstrauen gegenübersieht, und als Fremdling sofort wie eine potentielle Gefahr für den Dorffrieden behandelt wird. Diese Stimmung, die man problemlos als Anspielung auf das Klima im kommunistischen Ostblock hätte verstehen können, verfliegt indes schnell, wenn Meluzin sich mit der Zeit dann doch innerhalb der Dorfgemeinschaft etabliert, Freundschaften mit Eltern schließt, deren Kinder er heilt, und selbst reservierte Figuren wie seine Arzthelferin für sich gewinnt. Von da an konzentriert sich der Film auf das Schicksal der jungen Marketa, dargestellt von Marie Logojdová, die den zweiten schauspielerischen Höhepunkt neben Hrusínský bildet, und für die wenigen ein bisschen überraschenden, ein bisschen surrealen Szenen des Films sorgt, auch wenn gegen Ende hin auch diese leicht verrückten Passagen immer weniger Raum finden, und die Stimmung sich noch mehr zuzieht, düsterer und hoffnungsloser wird.
Nicht dass man mich falsch versteht: DÝM BRAMBOROVÉ NATE ist beileibe kein schlechter Film, und es stört mich auch nicht, dass Vlácil eine eher ruhige, alltägliche Geschichte erzählt, die in der Form wohl auch als TV-Film im hiesigen Fernsehen nicht unangenehm auffallen dürfte, was allerdings enttäuscht ist das vollkommene Fehlen der persönlichen Handschrift des Regisseurs, den ich niemals hinter diesem Werk vermutet hätte, wenn ich nicht vorher gewusst hätte, dass er es inszenierte. Vielleicht hat Vlácil auch von sich gesprochen, wenn er Meluzin eines Abends auf einem Kartoffelfeld zeigt, wo er einen Brauch aus seiner Kindheit wiederaufleben lässt, indem er ein offenes Feuer anzündet und sich davor setzt. Nach nichts sonst steht ihm der Sinn. Er hat lediglich ein Feuer in Gang gesetzt und betrachtet den Rauch, der von ihm aus über die Kartoffelfelder dahinzieht. Plötzlich allerdings ist aus der Ferne eine Stimme zu hören. Sie gehört einem Mann auf der andern Seite des Felds. Was das solle?, ruft er ihm zu. Er könne hier doch nicht einfach ein Feuer entfachen. So etwas mache hier niemand. Meluzin knickt ein und tritt die Flammen aus. In DÝM BRAMBOROVÉ NATE züngeln sie genauso selten empor, und wenn, dann kontrolliert, unter ständiger Beobachtung, damit sie nicht Überhand nehmen. Die Zeiten von Marketa Lazzarová, Adelheid und allen andern schien endgültig vorbei.