Ein kleines Dorf im Ungarn des Herbstes 1953: Zwischen den Bauern entbrennt ein Streit, wer in der Agrargenossenschaft bleibt und wer austreten will, um zukünftig selbst für sich verantwortlich zu sein. Zu leiden hat darunter auch die junge Generation: Mari, Tochter eines Bauern, der gerade ausgetreten ist, soll dessen Kumpan Sándor heiraten. Doch sie und der junge Máté sind verliebt, und Máté denkt gar nicht daran, sein Lebensglück aufzugeben – und handelt sich eine Menge Ärger ein...
Das ungarische Milieudrama „Karussell“ wird als Klassiker des ungarischen Films gehandelt, und tatsächlich zeigt es erstaunliche filmische Qualitäten, die auch heute noch beeindrucken können. So erzählt der Film seine klassische Geschichte geradlinig und schnörkellos, bleibt formal streng und in ausdrucksstarken Bildern eingefangen, überrascht aber auch immer wieder mit Momenten, in denen Kamera und Komposition die emotionalen Ausbrüche der Figuren mitgehen.
Als Einblick in das bäuerliche Leben des sowjetischen Ungarns der 50er überzeugt „Karussell“ von der ersten Minute an. In authentischen Kulissen, mit zahlreichen echten Komparsen und Laiendarstellenden ersteht hier ein naturalistisches Bild des simplen, aber nicht immer leichten Lebens auf dem Lande, zwischen Naturidyll, Volksliedern, Dorffesten und harter Arbeit – aber auch engstirnigen Weltsichten, tratschenden und alles beobachtenden Nachbarn und Nachbarinnen und hart miteinander umgehenden Patriarchen. Von Anfang an wird diese Zweischneidigkeit des ländlichen Lebens kommentarlos dargestellt, hier geht es vor allem darum, einen umfassenden Einblick zu ermöglichen.
In diesem Sinne entwickelt sich auch das tief humanistische Menschenbild des Films leise und zurückhaltend. Alle Figuren, wie engstirnig oder egoistisch sie auch handeln mögen, werden als Menschen mit Hoffnungen, Träumen und Emotionen gezeigt, die durchaus darunter leiden, wenn diese nicht in Erfüllung gehen. So zeigt „Karussell“ zwar politische Debatten über Für und Wider der landwirtschaftlichen Kolchosen des Sowjetreiches – und das so neutral, dass es seinerzeit hinter dem Eisernen Vorhang für Kontroversen und Anfeindungen sorgte – bezieht selbst aber nie Stellung, sondern zeigt gleichberechtigt die Sorgen und Nöte der Einzelnen. So unsympathisch der Zuschauende den selbstherrlichen Sándor vielleicht finden mag, wenn er seine sicher geglaubte Verlobte in einen anderen verliebt vorfindet, weint und leidet er wie jeder andere Mensch. Dieser humanistische Ansatz macht den Film zu einem großen Werk, das in seiner Ruhe und Unaufgeregtheit doch eine intensive Wirkung zu entfalten vermag.
Das wiederum wird auch durch die durchdachte formale Inszenierung bedingt. Die Kamera bleibt die meiste Zeit ruhig und zurückhaltend, fängt das Geschehen in klarem Schwarz-Weiß und einfachen Bildern ein. Nur in einigen Situationen – einer Karussellfahrt, die aus allen möglichen Perspektiven, auch den herumwirbelnden Sitzen, eingefangen wird, oder einem Hochzeitsfest, das in einem Eklat endet – wird sie geradezu entfesselt, nimmt erstaunliche und technisch nicht einfach umzusetzende Perspektiven ein und intensiviert so formal die starken Gefühle der Agierenden. Auch der Score bleibt die meiste Zeit leise und unaufdringlich, kann aber einzelne Momente gekonnt verstärken. So zeigt sich „Karussell“ auf einer ausgereiften formalen Höhe, die sich vor großen Produktionen jener Zeit nicht zu scheuen braucht.
„Karussell“ ist ein einfach wirkender Film, der aber vieles auf einmal schafft und sich so als enorm vielschichtig erweist: politische Debatten in gewagter Offenheit, emotional komplexe Verstrickungen, bei denen alle Agierenden, wie sympathisch oder unsympathisch, als Menschen berücksichtigt werden, authentische soziale Einblicke in ein vor allem für westliche Zuschauende eher wenig bekanntes Milieu. Dass die Erzählung insgesamt vielleicht einen Hauch zu unaufgeregt ausfällt und manche Details doch aufgrund der fremden Gesellschaftsform nicht ganz verständlich bleiben, kann dabei ebenso leicht übersehen werden wie die Tatsache, dass die Geschichte einer gesellschaftlich behinderten Liebe nicht gerade neu ist. Für Cineasten ist „Karussell“ ganz klar eine interessante Entdeckung, die unter ihrer scheinbar simplen Oberfläche so einiges zu bieten hat.