Im Jahr 1983 drehte Carlos Saura CARMEN, die Nacherzählung der klassischen Geschichte von Prosper Mérimée in Form einer Probe für eine Tanzaufführung von, eben, [i]Carmen[/i]. Der Regisseur verliebt sich in seine Hauptdarstellerin, die ihn fortwährend betrügt und ausnutzt, und geht am Ende an seiner eigenen Eifersucht zugrunde und ersticht Carmen. Die Verbindung von Flamenco, (getanzter) Erotik und Gewalt war äußerst eindringlich, und sorgte damals dafür, dass der junge Maulwurf sich unsterblich in die Musik und die dazugehörige Geschichte verliebte. Bis heute ein Film, der in meiner ewigen Bestenliste unter den ersten 20 rangiert.
Meine Liebe zum Carmen-Stoff geht nun allerdings nicht soweit, dass ich alle entsprechenden Verfilmungen kenne, wobei das sicher mal eine interessante Beschäftigung wäre. Die OFDB listet die erste Carmen im Jahre 1909 und die derzeit letzte 2011, es gibt Verfilmungen von Jean-Luc Godard (VORNAME CARMEN, 1984), Radley Metzger (CARMEN, BABY, 1967) und Francesco Rosi (CARMEN, 1984). Auch eine Art Italo-Western gab es (MIT DJANGO KAM DER TOD, 1967), und Charlie Chaplin hat das Thema genauso verarbeitet (A BURLESQUE ON CARMEN, 1915) wie Lotte Reiniger (CARMEN, 1933), um nur einige wenige zu nennen. Und es gibt DIE NACKTE CARMEN …
Natürlich bietet sich die Kombination geradezu an. Carmen war immer eine Frau die zu ihrer Erotik stand, die ihren Körper in den Vordergrund rückte, und deren einziges Begehr es war, ihr Ego, vor allem aber die Bedürfnisse ihrer Lust zu befriedigen. Was lag da näher, als Carmen sich ausziehen zu lassen und die Männer mit nackten Brüsten und offensiver Sexualität in den Abgrund zu stürzen?
Man nehme also eine junge und zeigefreudige Frau die sich seit ein paar Jahren in Nebenrollen durchwuselt, füge die Musik von Georges Bizet hinzu, und, Carlos Saura hat es ein Jahr vorher erfolgreich vorgemacht, würze das ganze mit einem ausgiebigen Schuss Flamenco. Und das Ergebnis ist dann … Nicht so dolle …
Denn leider hat Albert López, um dessen einzige Regiearbeit es sich treffenderweise handelt, vergessen das Wichtigste dazu zu packen: Die Gefühle, die der Geschichte innewohnen. Denn es reicht halt nicht, einfach nur die bekannte Story herzunehmen, 1:1 abzufilmen und mit nacktem Busen zu garnieren, da gehört dann schon ein klein wenig mehr dazu. Gerade vor allem auch deswegen, weil Saura im Jahr zuvor etwas Neues und Anderes aus der Story gemacht hatte, weil er in seinem Tanzfilm CARMEN die Trennung zwischen Realität und Tanztheater dramatisch und packend aufheben konnte. Zugegeben schwer zu übertreffen, aber López versucht ja nicht einmal an dieses große Vorbild heranzukommen.
Stattdessen gefällt er sich darin, sein kaum vorhandenes Budget abzufilmen (die Festung die er immer und immer wieder zeigt ist heruntergekommen und brüchig, und beherbergt sichtlich nicht einmal ein paar Wachsoldaten, sondern nur Staub und Dreck), Pamela Prati sich ausziehen zu lassen, und die Musik von Bizet zu den unpassendsten Momenten kurz einzublenden. Wenn die Schmuggler bei (amerikanischer) Nacht ihr Boot entladen, dann passt die an den Einmarsch der Toreros erinnernde(!) Musik einfach nicht, Punkt! Im Gegenzug fehlt besagter Einmarsch völlig, der gegen Ende plötzlich auftauchende Torero ist einfach da um die Handlung zu einem Ende zu bringen, nicht weil es die Geschichte so erfordert. Plopp, Torero aus der Kiste, einfach so. Entsprechend wirkt die dazu gezeigte Eifersucht Josés aufgesetzt und künstlich, das ist nichts, was aus dem Bauch kommt. Die Gefühle, welche die Handlung in Gang bringen kann, existieren einfach nicht.
Flamenco kann eine unglaublich erotisierende Musik sein. Das musikalische Gebalze der spanischen Machismen kann sich, wenn es in der richtigen Atmosphäre dargebracht wird, unweigerlich auf die Libido auswirken. Was würde also näher liegen, als gerade solche Szenen, die durchsetzt sind von Eifersucht, Begehren und heftigster Anmache, solche Szenen mit Flamenco zu hinterlegen, um die entsprechende Stimmung zu kreieren? López kommt zwar mit der Musik durchaus immer wieder zurande, lässt dann aber zu, dass der stümperhafte Schnitt, der zum Beispiel zwischen Carmen auf der Bühne und Raufbolden im Publikum hin- und herlaviert, jegliche Stimmung zerstört. Für die miese deutsche Synchro kann der arme Mann nichts, aber das ist dann der letzte Tritt auf den Film, wenn der schon längst am Boden liegt.