Jahrelang hat sich ein wohlbetuchter Graf in aller Herren Länder herumgetrieben, um seiner kunstsammlerischen Leidenschaft zu frönen. Nun, ins heimatliche Schloss zurückgekehrt, erkennen seine Bediensteten ihn kaum wieder. Aus dem einst lebensfrohen, adretten Herrn scheint alle Fröhlichkeit gewichen zu sein. Stattdessen plagen ihn Panikattacken und Schlaflosigkeit. Sein erster Befehl an die versammelte Dienerschaft lautet, die Tore des Schlosses verriegeln zu lassen, damit niemand mehr herein und heraus kann. Nachts irrt er, getrieben von Todesangst, in den weitläufigen Korridoren seines Anwesens umher. Erst dem Bürgermeister des nahen Dorfes, der zugleich einer seiner ehemaligen Lehrer ist, offenbart er, was es mit seinem seltsamen Benehmen auf sich hat. Als er auf seinen Reisen in Indien Station machte, fiel ihm in einem heidnischen Tempel eine Götzenstatue auf, die er wegen ihrer unbeschreiblichen Schönheit unbedingt besitzen musste. In einem unbeobachteten Moment verschaffte er sich also Zutritt in den Tempel und entwendete die Kostbarkeit, von der die Legende sagt, dass sie dem, der sie besitze, unermessliches Glück bringen solle. Glücklich ist der Graf, wie sein jetziger Zustand beweist, mit der Göttin allerdings nicht geworden, vielmehr verfolgen ihn seit er sie widerrechtlich in seinen Besitz brachte Angstträume, in denen ihm regelmäßig der indische Hohepriester erscheint, und die ihn an den Rand des Wahnsinns bringen. Alles kulminiert in einem Traum, in dem der Graf seine Situation nicht mehr aushält, dem Priester sein Leben anbietet, er solle es ihm ruhig nehmen, denn es bedeutete ihm nichts mehr. Der Inder hingegen weigert sich, ihn zu töten, verkündet, dass er ihm eine Frist von sieben Jahren einräume, nach deren Ablauf er von dem umgebracht werden solle, was ihm im Leben am Teuersten ist. Als die Morgensonne den Grafen aus seinen fiebrigen Träumen weckt, kann er sein Glück kaum fassen. Sieben Jahre soll er von nun an von den Visionen und Paranoia verschont bleiben, sieben Jahre in Frieden, die er, diesen Entschluss fasst er gleich nach dem Aufstehen sich im Spiegel angrinsend, nutzen möchte, um die Freuden der Welt bis zum letzten Tropfen auszukosten. Wieder erkennen die Bediensteten ihn nicht wieder, sind irritiert von seinem plötzlichen Stimmungsumschwung, leisten aber seinen Befehlen Folge, die darauf zielen, das Schloss mit einem rauschenden Fest zu beleben. Es wird getrunken, getanzt und gespielt. Eine Party folgt der nächsten. Der Graf verausgabt sich völlig, verschleudert sein halbes Vermögen für die Festlichkeiten, lässt sich nicht mal davon beirren, dass sein Lebenswandel den Unmut der nahen Dorfbevölkerung erregt, und der Bürgermeister ihm ins Gewissen redet, er solle den sündigen Pfad verlassen, den er eingeschlagen hat. Das tut er auch, jedoch unter anderen Vorzeichen als denen, die dem Bürgermeister gefallen hätten. Eines Tages hat der Graf genug von den Partyräuschen, trinkt sein letztes Glas Champagner und setzt die gesamte illustre Gesellschaft, die er um sich scharte, von einer Sekunde zur nächsten vor die Tür, um sich einer neuen Herausforderung zuzuwenden: er möchte, bevor er stirbt, auch noch Ruhm erlangen, indem er Stickstoff in Protein verwandelt, wozu er in seinem Keller ein Labor einrichten lässt, in dem er Tag und Nacht verbringt, kaum mehr isst, sich mit der gleichen Leidenschaft in seinen Studien versenkt wie der, die er für die Partys aufbrachte. Als es so weit ist, und er tatsächlich eine Lösung gefunden hat, den Hunger aus der Welt zu schaffen, lädt er renommierte Wissenschaftler in seine Kellerräume, und führt ihnen die Apparatur unter Staunen vor – nur um sie danach sofort zu zertrümmern und sich an den entsetzten Gesichtern zu weiden. Nachdem er von einer Feier zur nächsten taumelte, nachdem er sich selbst und anderen bewiesen hat, dass er fast schon auf einer Stufe mit Gott steht, indem er etwas erfindet, das der Menschheit nur Nutzen brächte, und es danach zerstört, hat der Graf noch einen letzten Punkt auf seiner Liste der vor seinem Tode zu erledigten Dinge, nämlich die Liebe. Aber die Zeit wird knapp…
Meiner Meinung nach ist FURCHT kein wirklich passender Titel für dieses Frühwerk von Robert Wiene. Weder ist Furcht die Triebfeder für die dargestellten Ereignisse noch kann man davon sprechen, dass sie einen besonderen Stellenwert innerhalb der Handlung einnimmt, schon eher würde ich das, was Bruno Decarli als Titelfigur durchleben muss, als nackte Panik bezeichnen. Ansonsten gibt es allerdings nicht viel, was ich an dem Film auszusetzen habe. FURCHT ist ein unterhaltsamer, kurzweiliger Stummfilm, der sich Versatzstücke verschiedenster Genres bedient, und dabei nie langweilig wird, solide in Szene gesetzt, wenn auch ohne besondere Höhepunkte, die ihn zu einem vergessenen Stummfilmmeisterwerk adeln.
Trotz des Titels und der Tatsache, dass sich auch einige unheimlichere Szenen finden lassen (die allerdings im Kontext heutiger Sehgewohnheiten wohl kaum noch unheimlich wirken), sollte niemand auf die Idee kommen, FURCHT für einen frühen Horrorfilm zu halten, vielmehr lässt sich der Film als reines Charakterdrama bezeichnen. Neben Ausflügen in den exotischen Abenteuerfilm (die Rückblenden, die erklären, wie der Graf in den Besitz der verhängnisvollen Statue gelangte) hat die Struktur der Handlung allerdings auch viel Märchenhaftes, wofür auch die Moral steht, die das Verhalten der Hauptfigur am Ende zutiefst missbilligt, und den zuvor gezeigten Ereignisse schon fast den Eindruck eines Moralkodexes in bewegten Bildern verleihen. Tatsächlich habe ich selten einen Film gesehen, dessen zentraler Protagonist ein derartiger Unsympath ist wie der hier dargestellte Graf. Hat man anfangs noch etwas Mitleid mit dem schlaflosen Nervenbündel, legt sich das spätestens, wenn man erfährt, dass seine zerrüttelte Psyche von einem Verbrechen herrührt, das er aus reiner Gier begangen hat. Als er dann beginnt, die ihm verbleibenden sieben Jahre zu nutzen, um sich in reiner Selbstliebe zu ergehen, sich Frauen und Räuschen an den Hals zu werfen, und eine der Menschheit mehr als nützende Erfindung vernichtet, nachdem er sie ins Leben setzte, wird ihm wohl niemand mehr ein glückliches Ende wünschen. Der Zuschauer bleibt von nun an relativ unbeteiligt, schaut zu wie sich der Graf immer weiter seinem Verderben nähert und alles in einem Finale gipfelt, das keine Überraschungen bereithält. Von der Hand zu weisen ist die simple Erzählweise von FURCHT nicht, was den Film allerdings auch narrativ in Richtung Märchen rückt. Es gibt Schwarz und Weiß und keine Zwischentöne. Wenn der Graf einfach mal quasi aus dem Stegreif herausfindet, wie man Stickstoff in Proteine verwandeln kann, ist das natürlich außerordentlich naiv, wirkt innerhalb des Films aber nicht im Geringsten lächerlich.
Gefallen hat mir, dass sich fast die gesamte Handlung im begrenzten Raum des Schlosses entwickelt, das vollgestellt ist mit Kunstwerken, die der Graf aus aller Welt zusammengetragen hat. Ein wenig Abwechslung von dem dumpfen, tristen Inneren des Schlosses bieten einzig ein paar poetische Landschaftsaufnahmen, die den Graf mit einem Mädchen für das Jahr 1917 einigermaßen leidenschaftlich liebkosend in der Natur zeigen, und die schon erwähnte Rückblende, ansonsten spielt sich die gesamte Handlung hinter den Schlossmauern ab. Zu diesem Minimalismus trägt auch bei, dass es keine einzige Szene gibt, in der Decarli, der die wahnsinnigen Anfälle des Grafen in einer selbst für Stummfilmverhältnisse schier unglaublichen Overacting-Performance darstellt, die man gesehen haben muss, um sie zu glauben, nicht im Mittelpunkt steht. Seine Figur bestimmt den Film, und sämtliche restlichen Personen sind nichts weiter als bloße Staffagen, die dazu dienen, ihn zu charakterisieren, und selbst farblos bleiben. Selbst ein Schauspieler wie Conrad Veidt, der den indischen Priester verkörpert, der dem Graf ständig in seinen Visionen erscheint, hat im direkten Vergleich mit dem sich die Haare raufenden, von Sinnen umhertorkelnden und tobenden Decarli nicht viel mehr zu tun als unheilschwanger durch das Schloss zu geistern und eine bedrohliche Miene zu ziehen.
FURCHT ist sicherlich kein Pflichtprogramm, kein verschollenes Juwel, aber nichtsdestotrotz auch kein Film, den gesehen zu haben ich bereue.