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Bei einem Unfall verliert der Konzertpianist Paul Orlac seine Hände, doch der Chirurg Dr. Serral kann dem gebrochenen Mann helfen: Er transplantiert Orlac die Hände des hingerichteten Mörders Vasseur. Orlac kann die Virtuosität seines Klavierspiels nicht mehr erreichen, stattdessen hat er Alpträume und hasst seine Hände. Als Orlacs Vater ermordet wird, finden sich die Fingerabdrücke Vasseurs auf der Tatwaffe – und Orlac muss erfahren, das Vasseur noch lebt. Ohne Hände …

Ein faszinierendes Sujet: Ein Pianist, der die Hände eines Mörders anoperiert bekommt, und fortan die Psychose entwickelt, kraft seiner Hände ein Mörder zu sein. Gänzlich in den Wahnsinn führt dieser Gedanke spätestens dann, wenn uns der guillotinierte und wiederauferstandene Mörder begegnet: Ein Experiment, genauso wie bei den Händen, und die Narbe am Hals ist klar und deutlich zu sehen. Orlac, der dem Mann mit den künstlichen Händen begegnet, steht in diesem Augenblick kurz vor dem Durchdrehen, und dem Zuschauer geht es im ersten Augenblick nicht anders. Sitzen sich in diesem düsteren Kellerloch doch zwei vollkommen unterschiedliche Lebensentwürfe, ja sogar Welten gegenüber: Hier der feinsinnige und liebende Künstler, dort der brutale und verbrecherische Gangster (mein erster Eindruck von Fritz Kortners Vasseur war, dass er aussieht wie Al Capone). Hier das traumatisierte Opfer das sich als Täter wähnt, dort der erpresserische Täter der sich als Opfer geriert. Und außenrum, so wie der Seele der beiden Personen, nur Schwärze …

Überhaupt, diese Schwärze. Eine Welt voller Düsternis und Schatten, voller Enge und Ausweglosigkeit. Um die Verzweiflung seiner Figuren zu zeigen, wählt Robert Wiene zwei Mittel: Zum einen arbeitet er mit kompletten Räumen als Kulisse, das heißt die Wände und die Decken sind vollständig zu sehen und erzeugen damit ein Gefühl der Enge. Eine Klaustrophobie, die den eingesperrten und eingezwängten Geist Orlacs auf das Treffendste charakterisiert. Diese Räume sind aber oft fast völlig leer. Wiene platziert nun seine Personen meistens nicht in der Mitte sondern am Bildrand. Der Effekt ist umwerfend: Die Leere der Charaktere, ihre innere Zerrissenheit und das Chaos ihres Gefühlslebens werden deutlich spürbar, werden durch die Bildkomposition erfahrbar - Wir begleiten Orlac hautnah auf seinem Weg in den Wahnsinn.

Wobei, was heißt hier Wahnsinn? Bereits sehr früh ist klar, dass Orlac unter etwas leidet, was man heute eine Psychose nennen würde: Der gefeierte Klavierspieler kann sich mit seinen fremden Händen nicht abfinden (was ich mir zugegegeben auch fast unmöglich vorstelle), worunter sein Klavierspiel leidet. Er kann nicht mehr arbeiten, und die Familie rutscht allmählich ab ins Elend. Heutzutage würde dem Mann von Beginn an eine psychologische Betreuung zur Seite gestellt werden (und in der folgenden filmischen Darstellung würde der Psychiater dann Orlac einreden, das dies die Hände eines Mörders usw.), aber so etwas gab es in der damaligen Zeit halt noch nicht. So wie nach dem ersten Weltkrieg die Überlebenden mit ihren Ängsten, Traumata und Schmerzen alleine gelassen wurde, so wird auch Orlac alleine gelassen, und die geliebte Frau kann ihm, dem sensiblen Feingeist, einfach nicht den Halt geben den er benötigen würde. Somit ist ORLAC’S HÄNDE nicht nur ein spätexpressionistischer Horrorfilm, sondern auch als Drama zu verstehen: Was passiert mit einem Mann, der einen schrecklichen körperlichen Verlust erleidet, und in dieser Situation alleine gelassen wird? En Schicksal, das damals sehr viele Menschen erlitten, viele der Zuschauer persönlich nachfühlen konnten …

Nichtsdestotrotz ist der Film natürlich in erster Linie immer noch ein Horrorfilm mit starkem Krimieinschlag. Oder umgekehrt. Es geht um den Mord an Orlacs Vater, und um eine Erpressung, denn immerhin sind am Messer die Fingerabdrücke von Orlac. Verzeihung: Die Fingerabdrücke von Vasseur, dessen Hände Orlac hat. Was aber nur sehr wenige Menschen wissen. Dieser Horror/Krimi-Crossover ist so finster wie die Nacht, und er ist ausgesprochen eindringlich. OK, die Schauspieler agieren so theatralisch wie nur irgend möglich, aber das war der Stil der Zeit, auch wenn es heute ein mitunter schwer fällt dieses Overacting ernst zu nehmen. Aber die neo-klassische Musik, die kargen und düsteren Kulissen, diese desolate und trostlose Atmosphäre, das alles hat eine ganz enorme Sogwirkung mit Endstation Verzweiflung. Sehr sehenswert!

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