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Was war das für eine Zeit. Und wie fing alles an. Im November 1992 entstand bei einer Präsidiumssitzung des DFB die Idee, sich für die 18. Fußball-Weltmeisterschaft zu bewerben. Vor 14 Jahren. 1996 wurde Franz Beckenbauer zum WM-Botschafter ernannt, und trat somit eine seiner größten Missionen an. Im Juli 2000 kam dann die entscheidende Schlacht gegen Südarfika in Zürich. Mit 12 zu 11 Stimmen entschied man sich für Deutschland als Austräger. Ob da alles mit rechten Dingen zu ging, wurde bezweifelt. Angeblich existierte ein Bestechungsfax, das die 12. Stimme für Afrika verhindert hat. Wen kümmert’s? Am Ende stand fest, dass 2006 ein großes Jahr für Deutschland und den deutschen Fußball werden würde. So wie ich das schreibe, klingt es verdammt heroisch, wie ein großes Ereignis der deutschen Geschichte. Ich bemühe mich, das Ganze nicht über zu bewerten. Aber man muss objektiv feststellen: Die WM 2006 hat Deutschland aus den Fugen gerissen. Eine nie dagewesene Euphorie habe ich mit Millionen Menschen erleben dürfen und denke gerne daran zurück. Jahrelang freute sich Deutschland auf dieses Ereignis. Viel wurde vorher spekuliert, wenig wurde der Mannschaft zugetraut und Unglaubliches hat sie erreicht. Was wurde nicht alles diskutiert, nicht zuletzt über die Torhüterentscheidung für Jens Lehmann. Dass die deutsche Mannschaft in’s Halbfinale kommen könnte, haben nur die Wenigsten erwartet. Noch viel weniger hätten erwartet, dass mehr drinnen gewesen wäre. Trotzdem war es eine fantastische WM, die seit Langem wieder patriotische Gefühle in den deutschen Bürgern hervorgerufen hat. Im Juni und im Juli 2006 hat die Welt auf Deutschland geschaut.

Söntke Wortmann wollte zunächst nur eine Dokumentation für’s Fernsehen drehen. Dass die WM ein solcher Erfolg werden würde, konnte auch er nicht erahnen. Doch es kam so und so gewann auch sein Filmprojekt an Format und wurde schließlich zum Kinoknüller. An den Kassen konnte er nämlich „Die Reise der Pinguine“ als erfolgreichsten Dokumentarfilm in Deutschland ablösen. 4 Millionen Menschen strömten in die Säle. Ich war nicht unter ihnen, was daran lag, dass schon heute, am 06.12.2006, die Free-TV Premiere auf der ARD angekündigt wurde. Meine Vorfreude war groß. Ein weiteres Mal wollte ich in diese unglaubliche WM-Stimmung versetzt werden. Wir stellten unsere Städte auf den Kopf und waren eine Einheit. Wir waren DeutschlandJ. Ob Herr Wortmann („Wunder von Bern“) mich zurückversetzen konnte, will ich nun berichten.

Alles fängt mit den Trainingslagern in Sardinien und Genf an. Man kann miterleben, wie sich die deutschen Helden vorbereitet haben und erkennt, was für ein luxuriöses Leben sie dabei hatten. Das sei ihnen gegönnt, soviel Freude wie sie uns bereitet haben. Die Spannung in diesen Minuten hält sich selbstverständlich in Grenzen, doch da es eine Dokumentation ist, stehen Informationen nicht im Hintergrund. Daher sollte man das nicht zu kritisch betrachten. Dann durchleben wir noch einmal in knapp zwei Stunden das gesamte Turnier, vom ersten Anpfiff gegen Costa Rica (09.06.2006, 18 Uhr) bis zum Spiel um den dritten Platz. Dabei werden zahlreiche Stimmungen eingefangen, die man in dieser Form nie zu Gesicht bekommen konnte. Die grenzenlose Trauer nach dem Halbfinale, die Freude nach dem phänomenalen Sieg gegen Argentinien, die Witzeleien der Intelligenzbestien Schweini und Poldi, der berühmt-berüchtigte Elfmeterkillerzettel von Jens Lehmann, so Vieles, was uns bewegt hat, bekommen wir in tiefgehender Form erneut zu Gesicht. Den Blick hinter die Kulissen kann mich nicht schlechtreden, da wurde Einiges geboten. Verblüffend ist, dass insgesamt über 100 Stunden Filmmaterial zur Verfügung standen, aus denen lediglich 2 Stunden herausgefiltert wurden. Ob das gerechtfertigt ist, wage ich anzuzweifeln, vermutlich werden wir eines Tages noch mehr Material zu Gesicht bekommen.

Eines muss man dann aber vehement kritisieren, auch wenn das nicht alle unterschreiben würden, die mit mir das Sommermärchen gesehen haben. Die Stimmung von damals kommt nicht rüber. Es wird deutlich, wie abgeschottet die deutsche Mannschaft zu dieser Zeit gewesen ist. Bis auf ein paar Autogramme und Fernsehnachrichten bekamen die wenig mit von der unfassbaren Euphorie, die im Lande herrschte. Diese Erkenntnis ist auf der einen Seite interessant, auf der anderen Seite finde ich es absolut unpassend, die Doku darauf aufzubauen. Denn ein großer Teil des Spektakels waren die unvergleichlichen Emotionen, die in den Straßen ausgelöst wurden. Die werden leider komplett vernachlässigt, das hat mich sehr gestört. Denn in absehbarer Zeit ist es nicht wesentlich, ob die deutsche Mannschaft während des Turniers abgekapselt war, sondern was in unserem Lande los war. Das kann Wortmann nicht wirklich vermitteln. Ich hoffe schwer, dass es Dokumentationen geben wird, die die Stimmung zu dieser Zeit einfangen können. Denn wenn nicht, bleiben uns nur unsere Erinnerungen an wunderbare 4 Wochen, die es in dieser Form vielleicht nie wieder geben wird. Denn kein anderer Sport als der Fußball kann bewirken, dass Millionen auf die Straße gehen und die Farben Schwarz-Rot-Gold zusammen feiern.

Fazit: Wortmanns Dokumentation über die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland ist gelungen. Freunde waren zu Gast bei Freunden. Das Ganze hat einen großen Schatten voraus geworfen und schöne Erinnerungen hinterlassen. Wortmann gewährt nie gesehene Einblicke in die Bereiche neben dem Fußballplatz und was da so passiert. Sämtliche Stimmungsschwankungen werden gut dargestellt, meiner Meinung nach wurde das Potential des Themas jedoch bei Weitem nicht ausgenutzt. Vor allem die deutschen und ausländischen Bürger aus aller Welt, die zusammen eine schöne und emotionale Zeit hatten, werde vernachlässigt. Da das aber ein sehr wesentlicher Teil der Weltmeisterschaft war, erhält das Sommermärchen starke Abzüge von meiner Seite. Ich hoffe auf bessere Dokumentationen über die WM und kann Wortmann nur 6 Punkte verleihen. Alles in Allem trotzdem ein faszinierender Blick zurück. Euer
Don

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