Am Anfang ist die Naturkatastrophe: Insektenplage über L.A. zwingt die Ököhelikopter (eventuell) giftiges Spray über die Stadt in den Vereinigten Staaten zu verstreuen. Auch am Ende von "Short Cuts" ist Naturkatastrophe angesagt: Ein Erdbeben bricht mehrere Sekunden über die glitzernde Metropole herein. Beide Ereignisse werden gleichzeitig von 22 verschiedenen Menschen erlebt und mitverfolgt. Zwischen beiden Ereignissen erstrecken sich 188 Minuten Film. Und in diesen 188 Minuten spinnt Independent-Regisseur Robert Altman ein tolles Geflecht zwischen all den 22 Charakteren...
Da hätten wir die hoffnungslos einsame Cellistin Zoe Trainer (Lori Singer), die ein Konzert gibt. Ihre Mutter, Tess (Annie Ross) ist ebenfalls sehr musikalisch; sie ist Jazzsängerin. Beide leben in an einander vorbei, Stille beherrscht ihr Miteinander. Während des Konzertes freunden sich die zufälligen Sitznachbarinnen Claire Kane (Anne Archer) und Marian Wyman (Julianne Moore) an. Beide beschließen sich bald für einen Abend zu treffen, natürlich mit ihren jeweiligen Gatten. Jedoch nicht bevor, Claires Ehemann Stuart (Fred Ward) mit seinen Kumpels Gordon Johnson (Buck Henry) und Vern Miller (Huey Lewis) Fischen gefahren ist. Während ihres Anglerausflugs entdecken die drei Männer eine Wasserleiche, berühren sie aber nicht, noch suchen sie Hilfe. Die Kühle, die Stuart an den Tag legt, erschüttert Marian, versucht sich aber während des Diners nichts anzumerken. Obwohl auch Marians Mann zerknischt wirkt. Kurz vor Eintreffen des eingeladenen Paares muss Ralph (Matthew Modine) von einem Seitensprung seiner Frau erfahren. Ralph, praktizierender Arzt in einem Los Angeles-Krankenhaus hatte zuvor einen schwer zu Herzen gehenden Fall: Der Nachrichtensprecher Howard Finnegan (Bruce Davison) und seine Frau Ann (Andie MacDowell) haben den Verlust ihres kleinen Caseys zu beklagen. Der Junge wurde auf dem Schulweg angefahren. Noch am morgen hatte Mutter Ann den Partyclown Claire Kane engagiert und beim Konditor Andy Bitkower (Lyle Lovett) einen Kuchen in Auftrag gegeben - für Caseys Geburtstag. Angefahren wurde Casey von der Kellnerin Doreen Piggott (Lily Tomlin), die Stunden später von Stuart und seinen Anglerkollegen begafft wird. Ihr Mann Earl (Tom Waits) kann sich nicht entscheiden zwischen seiner Frau und dem Alkohol. Außerdem lastet das Gerücht, er hätte sich vor Jahren an seiner Tochter Honey (Lili Taylor) vergangen, auf seinen Schultern. Honey jedoch pflegt mittlerweile ausgefallene Liebespiele mit dem coolen Bill Bush (Robert Downey jr.), und geht gerne mit dem befreundeten Ehepaar Lois (Jennifer Jason Leigh) und Jerry Kaiser (Chris Penn) in den Jazzklub von Tess Trainer. Auch die Beziehung zwischen Jerry und Lois ist am bröckeln: Während Jerry den Pool von Tess und den Finnegans säubert, stöhnt Lois als Telefonsexmädchen in den Telefonhörer. Dies treibt Jerry allmählich in den Wahnsinn. Nicht zu vergessen die Schwester von Marian Wyman: Sherri Shepard (Madeleine Stowe), die von ihrem Mann, dem Prollcop Gene (Tim Robbins) mit der geschiedenen Betty Weathers betrogen wird. Gene tischt ihr dafür schon fast amüsant-absurde Erklärungen auf, warum er letzte Nacht nicht nach Hause kam. Doch auch die geschiedene Ehe von Betty scheint noch nicht ganz am Ende zu stehen - jeden Fall nicht für den eifersüchtigen Stormy Weathers (Peter Gallagher), der als letzte Konsequenz Bettys Wohnung in zwei Hälften teilt...
Ein schier unüberschaubare Liebes-, Frust- und Trauerreigen wird uns hier von Altman geboten. Seine Geschichten sind wahr, hübsch, traurig und wunderschön und talentiert ineinander verflochten. Sein Ensemblefilm schafft es, die abwinkende Analyse der Menscheit nicht völlig trist und pessimistisch wirken zu lassen, sondern bringt als "Up" ein wenig Tragikomik mit ein. Den scharfen, cleveren Witz á la "The Player" oder "M*A*S*H" vermisst man bei "Short Cuts" allerdings sehr. Natürlich ist "Short Cuts" unglaublich kurzweilig, schon allein wegen der in Masse auftretenden Stars, jedoch überfordert Altman den Zuschauer schon mit seinen durchgängig hoffnungslosen Schicksalsschlägen.
"Short Cuts" ist ein sehr guter Film. Bei 188 Minuten ist es bemerkenswert, wie Altman es geschafft hat, 11 individuelle Beziehungskisten glaubhaft und traurig-schön darzustellen, ohne je in Klischee oder Hollywood-Schemata abzudriften. Jedoch ist "Short Cuts" nicht das ganz große Meisterwerk, für das es immer gehalten wird. In Erzählung und Storybalance gibt es vermutlich keine bessere Referenz im Episodenfilm, in der Würze leider schon.