Keinerlei Erwartungen, weder gute noch schlechte, brachte ich in diesen Film mit, besonders nicht hinsichtlich der Frage, in welchen Genres er eigentlich beheimatet ist. Die Ankündigung als Mysterythriller mit Horroreinschlägen in der Kinozeitschrift, die ich erst beim Lesen nach Ansicht des Films so richtig bemerkte, ist ein reichlich irreführender Marketinggag. So aber konnte ich ohne falsche Erwartungen das Drama betrachten, das sich dann tatsächlich entwickelte.
Der Film spielt zu Beginn süffisant mit Teenie-/Highschoolfilmattitüden. Wir sehen den reichen, klugen und gut aussehenden Nick auf seiner Geburtstagsfeier im heimischen Edelambiente. Seine Mutter hält eine Ansprache, bei der klar wird, dass ihre emotionale Beziehung zum Sohn bei gefühlten 2 Grad Celsius liegt; so weit, so Klischee. Nick steht auf, schneidet sich ein Stück aus einem Kuchen mit seinem Gesicht darauf (es ist die Augenpartie, die er dann isst), geht in den Werkzeugraum, nimmt sich eine Schrotflinte von der Wand und bläst sich den Schädel vom Kopf. Diese schicke Sequenz ist so montiert, als wäre sie ein einziger Schnitt und ist ein sehr starker Eingang zu einem Film, der seine Stilrichtung damit allerdings noch nicht festgelegt hat.
Ach ja, das Ganze war nur ein Traum. Dieser kommt aber nicht von ungefähr, denn obwohl Nick sich oberflächlich betrachtet nicht beschweren kann, brodelt es unter der Oberfläche gewaltig. Sein Leben scheint von der Mutter bis ins letzte Detail geplant, Freunde hat er nur, weil er ihnen gegen Bezahlung Hausarbeiten schreibt und niemand teilt sein dichterisches Interesse. Nick ist einsam. Nur einen wirklichen Freund hat er; dieser hat sich dummerweise auf ein Geschäft mit Annie gelassen. Diese scheint genau das Gegenteil Patricks zu sein: Aus armem, problematischem Elternhaus kommend, ist sie es gewohnt, für alles kämpfen zu müssen. Ihre Wut und Rebellion schlägt sich in einer frühen kriminellen Karriere nieder. Nicks Pech, dass er sich für seinen Freund bei ihr einsetzt und sie dabei böse provoziert. Eine Konfrontation entflammt und nach einigen Missverständnissen liegt Nick tot im Wald. Annie hat ihn in ihrem Zorn aus Versehen umgebracht
- halt, nein, er lebt noch! Doch das Problem an der Sache ist, das dies keiner weiß; und obwohl Nick als Geist Zutritt zum Lebensbereich aller Personen dieses Films hat, kann er sich (zunächst) nicht mitteilen, denn niemand sieht, niemand hört ihn. Wie also schafft er es, seinen sterbenden Körper zu retten?
Bevor die Wende eintritt und mit Nicks Halbtod das eigentliche Drama beginnt, ist Unsichtbar ein wirklich brauchbarer Hichschoolthriller, der bereits erahnen lässt, dass die Charaktere vielleicht nicht gar so einfach gestrickt sind, wie sie zunächst scheinen. Sobald Nick aber ein Geist ist, ändert sich der Film grundlegend. Denn die Hauptperson wird plötzlich aus dem Spiel ausgeschlossen und in eine bloße Betrachterrolle gedrängt. Wir erleben die Reaktionen seiner Mitmenschen auf sein vermeintliches Ableben. Der Zuschauer kann damit durchaus zunächst Probleme haben, schließlich muss er erst wieder Fuß fassen bei diesem abrupten Richtungswechsel von Thriller hin zu Drama, spannender Geschichte hin zu differenzierter Ausleuchtung der Charaktere. Dann aber weiß der Film wieder zu überzeugen. In US-untypisch leisen Tönen und kleinen Gesten werden die Personen genauer umrissen, werden neue Charakterzüge enthüllt und das genaue Warum erhellt. Denn mitnichten leitete sich Annies Überreaktion aus nur einem Grund ab; auch Nicks Hin und her zwischen dem Wunsch nach Flucht und der Suche nach Geborgenheit wird genauer beleuchtet, bis schließlich klar wird, dass Annie und Nick bei all den offensichtlichen Unterschieden ihrer Biographie im Grunde ein ganz ähnliches Schicksal teilen.
Mit dieser Erkenntnis leitet der Film dann wiederum eine Wende ein, die dann zu einer recht versöhnlichen Auflösung führt, die mit einem meiner Meinung nach sehr gelungenen, da zwar emotionalen, aber nicht kitschigen Endbild gewählt wurde.
Was Unsichtbar dann aber doch zu einem leicht getrübten Filmgenuss macht, ist der zum Glück zurückgehaltene, aber manchmal eben doch durchbrechende Drang, Ausdrucksstärke mit Bombast und Holzhammermetaphorik zu verwechseln. Wenn etwa der ob seiner Hilflosigkeit verzweifelte Geist Nick mit ausgestreckten Armen in den Himmel schreit, entlockt mir das nicht mehr als ein enttäuschtes Kopfschütteln. Es gibt ähnliche Beispiele, die die amerikanische Herkunft deutlich machen (das zugrunde liegende Buch und dessen Originalverfilmung, beide schwedisch, habe ich nicht gelesen bzw. gesehen). Dabei bezieht dieser Film gerade daraus seinen Reiz, mit den eben typisch amerikanischen Filmklischees zu spielen - auf eine meist leise, unaufdringliche Art, die dafür umso mehr wirkt. Auch emotionale Ausbrüche werden meist ohne kitschigen Anklang dargestellt, was vor allem an dem ordentlich spielenden Justin Chatwin (als Nick) und der noch ein ganzes Stück besser, nämlich sehr gut agierenden Margarita Levieva (als Annie) liegt. Diese tragen den Film und sorgen für die nötige Bodenständigkeit.
Insgesamt ein überraschend leiser Film, der mit scheinbar nebensächlichen, aber sehr eindrucksvollen Szenen punkten kann und nach und nach die Schichten der handelnden Personen aufdeckt, bis am Ende nichts mehr so ist, wie es am Anfang zu sein schien. Ein gelungenes Drama!