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von Stefan M

Interview Hitchcock/Truffaut

Truffaut: Wir sind jetzt bei “Suspicion” angekommen. Als wir über “Rebecca” sprachen, habe ich vergessen, Sie zu fragen, was Sie von Joan Fontaine halten. Ich habe den Eindruck, daß sie eine wichtige Schauspielerin für Sie gewesen ist.

Hitchcock: Als wir “Rebecca” vorbereiteten, hat Selznick darauf bestanden, daß wir von vielen Frauen Probeaufnahmen machten, bekannten und unbekannten, um den Star des Films zu finden. Ich glaube, er machte das, weil er den Reklamefeldzug wiederholen wollte, der der Wahl der Scarlett O’Hara vorausgegangen war. So hat er alle großen Stars von Hollywood dazu gebracht, Probeaufnahmen für “Rebecca” zu machen. Mir war das peinlich, alle diese Frauen einer Prüfung zu unterziehen, obwohl ich vorher wußte, daß sie für die Rolle nicht in Frage kamen. Gleich bei den ersten Aufnahmen mit Joan Fontaine wußte ich, daß sie der Figur am nächsten kam. Anfangs fand ich, daß sie sich ihrer spezifischen schauspielerischen Fähigkeiten wenig bewußt war, aber ich sah, daß sie das Talent zu einem kontrollierten Spiel besaß, und hielt sie für fähig, die Rolle auf eine stille, scheue Weise zu verkörpern. Zu Beginn übertrieb sie die Furchtsamkeit ein wenig, aber ich spürte, daß sich das geben würde, und so kam es auch.

Truffaut: Sie hat eine gewisse Zerbrechlichkeit, die weder Ingrid Bergman noch Grace Kelly hatten.

Hitchcock: Das finde ich auch. Im Fall von “Suspicion” müssen Sie bedenken, daß es mein zweiter englischer Hollywoodfilm war: englische Schauspieler, englisches Milieu, englischer Roman. Ich habe mit einem ehemaligen Theaterautor gearbeitet, Samson Raphaelson, der an beinahe allen Tonfilmen von Lubitsch mitgearbeitet hat.

Truffaut: Und neben ihm der Familien-Braintrust: Alma Reville und Joan Harrison.

Hitchcock: Ganz richtig. Der Roman hieß “Before the Fact”, und der Autor Francis Iles hieß in Wirklichkeit A. B. Cox. Er hat außerdem unter dem Namen Anthony Berkely geschrieben. Ich hatte mir immer gewünscht, sein erstes Buch, “Malice Aforethought”, zu verfilmen. Es begann mit dem Satz: “Erst einige Wochen, nachdem er sich entschlossen hatte, seine Frau zu töten, schickte sich Dr. Bickley an, zur Tat zu schreiten.” Aber ich habe immer gezögert, weil es sich dabei um einen reifen Mann handelt und es sehr schwierig ist, die richtige Besetzung für so eine Rolle zu finden. Vielleicht Alec Guinness.

Truffaut: Mit James Stewart wäre das nicht möglich?

Hitchcock: James Stewart würde nie einen Mörder spielen.

Truffaut: Einige Kritiker, die den Roman “Before the Fact” kannten, haben Ihnen vorgeworfen, das Thema des Buches völlig verändert zu haben. Der Roman handelt von einer Frau, die nach und nach dahinterkommt, daß sie einen Mörder geheiratet hat und sich schließlich, aus Liebe zu ihm, von ihm umbringen läßt. Ihr Film handelt von einer Frau, die entdeckt, daß ihr Mann sprunghaft, verschwenderisch und etwas verlogen ist und anfängt, ihn für einen Mörder zu halten, sich fälschlicherweise einbildet, er wolle sie umbringen. Als wir über “The Lodger” sprachen, haben Sie “Suspicion” schon einmal erwähnt. Die Produktion, sagten Sie, sei dagegen gewesen, aus Cary Grant einen Mörder zu machen. Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn er es gewesen wäre?

Hitchcock: Ich mag den Schluß des Films nicht, ich hatte einen anderen, der ganz verschieden war von dem des Romans. Wenn am Ende des Films Cary Grant Joan Fontaine das Glas vergiftete Milch bringt, hätte sie gerade einen Brief schreiben sollen, und zwar an ihre Mutter: “Liebe Mutter, ich liebe ihn wahnsinnig, aber ich will nicht länger leben. Er will mich töten, und da will ich lieber sterben. Aber ich finde, die Gesellschaft muß vor ihm geschützt werden.” Wenn Cary Grant ihr also das Glas Milch reicht, sagt sie: “Liebling, würdest du bitte diesen Brief an meine Mutter abschicken?” Und er sagt: “Ja.” Sie trinkt die Milch und stirbt. Abblende, Aufblende und eine kurze Szene: Cary Grant kommt pfeifend daher und wirft den Brief in einen Briefkasten.

Truffaut: Das war genial. Ich habe den Roman gelesen, der wirklich gut ist, aber ich finde, Ihr Drehbuch ist auch sehr gut. Es wäre ungerecht zu behaupten, das Drehbuch sei ein Kompromiß. Es ist einfach eine ganz andere Geschichte. Die Situation des Films, daß eine Frau glaubt, ihr Mann sei ein Mörder, ist weniger ungewöhnlich als die Situation im Roman, daß eine Frau herausfindet, ihr Mann ist ein Mörder. Und ich finde, der Roman hat einen größeren psychologischen Wert als der Roman, die Charaktere sind nuancierter.

Im Fall von “Suspicion” kann man der Meinung sein, daß die verschiedenen Zensurinstanzen und Gesetze von Hollywood eine Kriminalgeschichte durchaus zu ihrem Vorteil verändert haben - genau das Gegenteil von dem, was im allgemeinen bei Adaptationen passiert. Ich will nicht behaupten, der Film sei besser als das Buch. Aber zweifellos wäre ein Roman, der der Linie des Drehbuchs folgen würde, ein besserer Roman als “Before the Fact”.

Hitchcock: Das weiß ich nicht, jedenfalls hatte ich große Schwierigkeiten mit dem Film. Als er fertig war, bin ich für zwei Wochen nach New York gefahren, und als ich zurückkam, gab es eine große Überraschung für mich. Ein Produzent von der RKO hatte sich den Film vorführen lassen und gefunden, daß viele Szenen den Eindruck vermitteln, Cary Grant sei ein Mörder. Daraufhin hatte er alle diese Hinweise rausschneiden lassen, und der Film dauerte nur noch 55 Minuten. Glücklicherweise hatte der Chef der RKO dann auch eingesehen, wie lächerlich das Ergebnis war, und ich durfte den Film so wiederherstellen wie er vorher war.

Truffaut: Sonst sind Sie zufrieden mit “Suspicion”?

Hitchcock: Nur bedingt. Die Elemente, aus denen sich ein Film dieses Genres zusammensetzt, haben mir nicht zugesagt, die eleganten Salons, die üppigen Treppen, Luxusschlafzimmer usw. Mit “Rebecca” hatten wir dasselbe Problem: einen englischen Schauplatz in Amerika zu rekonstruieren. Für diese Geschichte hätte ich wirklich gern einen authentischen Rahmen gehabt. Ein anderes Handicap ist die zu geleckte Fotografie.

Aber mochten Sie die Szene mit dem Milchglas?

Truffaut: Wenn Cary Grant die Treppe raufgeht? Das ist wirklich gut.

Hitchcock: Ich hatte eine Lampe in das Milchglas getan.

Truffaut: Sie meinen, einen Scheinwerfer auf das Glas gerichtet?

Hitchcock: Nein, in die Milch, ins Glas. Weil es wirklich strahlend erscheinen mußte. Cary Grant geht die Treppe hinauf, und man muß wirklich nur das Glas schauen.

Truffaut: Das war wirklich sehr gut.

Quelle: “Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?” von Francois Truffaut

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