Review

Vorsicht, Spoiler!

Auf einer Zugfahrt lernt die attraktive, aus reichem Hause kommende Lina McLaidlaw (Oscar für Joan Fontaine!) den charmanten Johnny Aysgarth kennen. Die beiden heiraten Hals über Kopf, doch schon bald bereut Lina, Johnny geheiratet zu haben. Des Tunichtguts liebste Freizeitbeschäftigungen sind Wetten und Lügen. Als eines Tages Johnny und sein bester Freund Beaky eine Geschäftsreise unternehmen, auf der letzterer ums Leben kommt, hegt sie einen grausamen Verdacht: Hat ihr Mann Beaky umgebracht? Und will Johnny jetzt auch sie töten?
Es steht außer Frage, daß „Verdacht“ ganz bestimmt nicht zu Alfred Hitchcocks besten Werken gehört. Diese Meinungen vertreten seine Kritiker - und das meine auch ich, obgleich ich es lange Zeit als Geheimtip betrachtete. Das mag vor allem daran gelegen haben, daß mir das überraschende Ende außerordentlich gut gefallen und sich folglich in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Bis dato hatte ich noch die Vorstellung - damals muß ich gerade mal um die zwölf Jahre alt gewesen sein -, daß in jedem Thriller mindestens ein Mörder vorkommen mußte. „Verdacht“ belehrte mich eines Besseren: Letztendlich sollte sich doch tatsächlich herausstellen, daß der Hauptdarsteller Cary Grant weder Beaky umbrachte noch die Absicht hatte, seine Filmfrau Joan Fontaine zu vergiften. Alle Verdachtsmomente stellten sich im Rückblick als völlig unbegründet heraus, Lina hat sich ganz umsonst Sorgen gemacht. Wow, das war ein Paukenschlag, wie man ihn nicht alle Tage sieht.
Ein paar Jahre später als objektiver Zuschauer sieht man das natürlich anders: Bei näherer Betrachtung sind es nämlich gerade die letzten Minuten, die den positiven Gesamteindruck arg nach unten ziehen. Die Produzenten waren der Meinung, daß die Kinobesucher Cary Grant als Mörder nicht akzeptieren würden - so sah es die Romanvorlage von Anthony Berkeley vor -, weshalb der gute Hitch gezwungen war, den Schluß gegen seinen Willen umzuwandeln. Das Resultat bleibt enttäuschend: Sicherlich ist die Szene, in der Johnny seine Ehefrau mit dem Wagen zu ihrer Mutter fahren will und dabei an gefährlichen Klippen vorbeirast, ungeheuer spannend - die gänsehauterzeugende Musik tut ihr Übriges (übrigens wurde exakt das gleiche Stück später noch in „Ich kämpfe um dich“ während der riskanten Skifahrt von Bergman/Peck eingesetzt) -, aber die grobe Wendung mag man dem Film nicht so recht abnehmen. Johnny verwandelt sich vom egoistischen Playboy von einem Moment auf den nächsten in einen verantwortungsbewußten Ehemann? Schwer bis gar nicht vorstellbar, wenn man ihn die Minuten zuvor erlebt hat. Der Zuschauer muß sich so mit ein paar klärenden Sätzen begnügen, ohne daß er befriedigt zurückgelassen wird. Das Finale wirkt schaurig schlampig rangeklatscht, sehr gehetzt - und es wird beim wiederholten Ansehen immer auffälliger und demzufolge nicht besser. (Eine Tatsache, die mich auch noch bei Hitchcocks übernächstem Werk, dem ansonsten wirklich hervorragenden „Im Schatten des Zweifels“, stören sollte. Auch dort wird die Geschichte im Sauseschritt zu ihrem Ende gebracht.)
Hitchcock hätte am liebsten ein anderes Ende durchgesetzt, das ungleich passender gewesen wäre. Darin ist das berühmte, dämonisch leuchtende Milchglas (erzeugt durch eine Glühbirne im Glasinneren), das Johnny Lina ans Bett bringt, vergiftet. Bevor sie es trinkt und stirbt, schreibt sie ihrer Mutter einen Brief und bittet ihren Mann, diesen abzuschicken. Der nimmt das Papierchen an sich und schmeißt es fröhlich pfeifend in einen Briefkasten. Wenn er nur über den Inhalt Bescheid wüßte: „Liebe Mutter, ich liebe ihn wahnsinnig, aber ich will nicht länger leben. Er will mich töten, und da will ich lieber sterben. Aber ich finde, die Gesellschaft muß vor ihm geschützt werden.“ (zitiert aus „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“)
Doch wenn wir das Ende einfach mal außen vor lassen, dann erkennen wir ein mustergültiges Beispiel eines perfekten Thrillers. Zunächst sind es nur harmlose Lügen, die Johnny Lina auftischt, mit fortschreitender Dauer zeigt er sich immer stärker an Linas Erbe interessiert, um seine Spielschulden bezahlen zu können, und als er eine befreundete Schriftstellerin nach einem Gift fragt, das keine Spuren im Körper hinterläßt, werden die Zweifel immer verständlicher. Weil auch der Zuschauer nie mehr weiß als die Hauptfigur selbst, tappt er bis zum Schluß genauso im Dunkeln, zumal sich Johnny größte Mühe gibt, so undurchsichtig wie nur möglich zu bleiben. Klar, Lina verhält sich derart naiv - warum vergibt sie ihrem Mann immer und immer wieder? -, daß man mitunter nur noch den Kopf schüttelt, das ändert aber nichts daran, daß man sich voll und ganz mit ihr identifiziert.
Darüber hinaus spielt Hitchcock händereibend mit der Erwartungshaltung des Kinogängers: Als Lina befürchtet, Johnny habe Beaky an einer Steilküste in den Abgrund stürzen lassen, findet sie an der besagten Stelle Reifenspuren, was ihren Verdacht erhärtet. Wieder zuhause öffnet Lina die Haustür, und eine dunkle Wolkenfront legt sich vor die Sonne, verfinstert die Eingangshalle, die Dachkonstruktion wirft Schatten eines riesigen Spinnennetzes. Doch plötzlich hört man Beakys Stimme, und helles Licht fließt wieder durch die Räume. Dann beginnt Beaky zu erzählen, wie er beinahe gestorben wäre, als er mit Johnny die Klippe entlangfuhr. Diese Szene beweist auch Hitchcocks Vorliebe für Licht- und Schattenspiele, die er hier laufend zur Geltung kommen läßt.

Fazit: Über weite, weite Strecken ein grandios gelungener kleiner Hitchcock-Thriller, der aber eben durch das verpfuschte Ende einen krönenden Abschluß verpaßt, sogar an Qualität einbüßt. Daß Cary Grant kein Mörder ist, mag zwar dem Publikum damals sehr gefallen haben, ich persönlich hätte liebend gern das von Hitchcock favorisierte Finale gesehen. Dennoch ausgesprochen spannend und mitreißend.
GESAMT: 8/10

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