Eine herbe Enttäuschung!
Etwa zur gleichen Zeit, zu der die damals minderjährige Desiree Nosbusch mit ihrem Nacktauftritt in der kuriosen deutschen Filmproduktion „Der Fan“ von Eckhart Schmidt kontroverse Diskussionen auslöste, betrat Regisseur Edward Bianchi in den USA ähnliches Terrain, sogar mit nahezu identischem Titel (Original: „The Fan“). Hier geht es allerdings nicht um ein Mädchen, das einen Schlagerfuzzi auf eine krankhafte Art und Weise anhimmelt, daß einem angst und bange wird. Vielmehr steht die alternde Filmschauspielerin Sally Ross (Ex-Bogart-Gattin Lauren Bacall) bei dem jungen Douglas (für mich überraschenderweise wirklich richtig gut: Michael Biehn, drei Jahre vor seinem Durchbruch in „Terminator“) im Mittelpunkt des Interesses. Er vergöttert sie und bombardiert sie aus dem Grund regelmäßig mit Briefen, in denen er ihr gesteht, wie sehr er sie liebt. Natürlich nimmt Sallys persönliche Sekretärin (Maureen Stapleton) die kindischen Schwärmereien nicht sonderlich ernst und beantwortet die in der Vielzahl unerwünschten Briefe zunehmend pampiger und bald gar nicht mehr. Ein Fehler: Douglas, der längst nicht mehr Realität und seinen Wunschtraum, mit Sally ein Paar zu bilden, voneinander unterscheiden kann, fühlt sich ungerecht behandelt und beschließt, aktiv in Sallys Leben einzugreifen. Unerwünschte Personen wie die Sekretärin und angebliche Nebenbuhler werden schnurstracks aus dem Weg geräumt.
„Der Fanatiker“ ist mal wieder der lebende Beweis dafür, daß eine auf dem Papier erfolgversprechende Story (wenn das Thema „Stalking“ nicht für einen spannenden Unterhaltungsfilm geradezu prädestiniert ist, dann weiß ich auch nicht), hervorragende Darsteller, ein fähiger Regisseur sowie ein erstklassiger Komponist nicht viel ausrichten können, wenn es am Drehbuch hapert. Denn obwohl alle notwendigen Zutaten vorhanden sind, will der Film auf Gedeih und Verderb einfach nicht funktionieren.
Das Skript ist nämlich ein uneinheitliches Kuddelmuddel, das mehrere Subgenres in sich vereint, aber keins so richtig. Es schiebt die wenig interessanten Aspekte unnötig in den Vordergrund und läßt dafür Aspekte außen vor, die man gern vertieft gesehen hätte. Anstatt sich eingehend mit dem Douglas-Charakter auseinanderzusetzen, nimmt der Film lieber hauptsächlich die Perspektive der Figur Sally Ross ein. Ausführlicher, als wir eigentlich wollen, nehmen wir an ihrem Leben teil, beobachten sie minutenlang bei Proben für ihr demnächst anstehendes Broadway-Musical (der von Lauren Bacall dargebotene Filmsong „Hearts, Not Diamonds“ wurde für die Goldene Himbeere nominiert) und dabei, wie die Liebe zu ihrem Ex-Mann Jake (James Garner), der sich in der Zwischenzeit eine wesentlich jüngere Freundin angelacht hat, wiederaufflammt. Das ist ja alles schön und gut, romantische Intermezzi können durchaus anrührend sein, diesem Film, der vorrangig ein Psychothriller sein möchte, bringt das aber nicht nur nicht sonderlich viel, sondern genau genommen rein gar nichts. Sie dienen einzig und allein der Laufzeitstreckung, was am Ende bei Rekapitulation der Ereignisse besonders deutlich wird, wenn man sich die Frage stellt, wozu genau James Garner nochmal nütze war. Der wird phasenweise als zweiter Hauptdarsteller etabliert, dabei ist er absolut entbehrlich. Darunter leidet sichtlich der Spannungsbogen, dem man keine Zeit gibt, sich zu entwickeln, zumal wir durch diese breit ausgelegten Störfaktoren überhaupt nicht die Möglichkeit erhalten, die Person Douglas näher kennenzulernen und seine späteren Taten nachvollziehen zu können.
Nur anfangs bemühen die Autoren sich, dem jungen Mann etwas Tiefgang zu verleihen, ein alltäglicher Loser, der in einem Schallplattenladen arbeitet und Probleme hat, Kontakte mit anderen Menschen zu knüpfen, weshalb er genug Freizeit hat, um sich in eine Zukunft mit seinem Schwarm Sally hineinzuträumen. Wenn ihm etwas nicht paßt, schluckt er seine Verärgerung eher runter, als daß er sie offen und ehrlich äußert. Einmal steht er zu Hause vor dem Spiegel und trainiert, wie er seinem Chef lautstark seine Meinung geigen will, um dann doch, als er ihm am nächsten Morgen von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, den Schwanz einzuziehen. Später macht er es sich auf seiner Couch gemütlich, möchte in aller Ruhe einen Film mit „seiner“ Sally in der Hauptrolle gucken, bis er unerwartet von seiner Schwester gestört wird, die sich um Douglas sorgt – doch anstatt das Gespräch zu suchen, schickt er sie unwirsch weg, Sally und ihr Film stehen vor seiner Familie an erster Stelle. Dies sind kleine aufkommende Strohfeuer, die andeuten, daß aus diesem Film mehr hätte werden können, hätte das Drehbuch Douglas mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Das wäre wichtig gewesen, damit der Zuschauer Douglas’ Wahn, in den er sich hineinsteigert, nachvollziehen kann. Was in seinem Kopf vorgeht, das ist das Interessante. Leider haben die Autoren das nicht erkannt und zeigen Douglas ungefähr ab der zweiten Hälfte nur noch sporadisch, und dann zumeist nur noch auf Mord- und Zerstörungstour. Warum er auf einmal so durchdreht, kann man zwar erahnen, doch sein Wandel zum eiskalten Psychopathen kommt zu abrupt, ist zu sprunghaft erzählt, um restlos glaubwürdig wirken zu können. Schade, Chance vertan.
„Der Fanatiker“ zugute kommt auch nicht die Tatsache, daß sich seit „Halloween“ Ende der 70er/Anfang der 80er eine Epidemie namens Slasher auf den Leinwänden ausbreitete. Dadurch sahen sich die Leute in der Produktionszentrale nach Beendigung der Dreharbeiten dazu verpflichtet, den Film mit Blut anzureichern. (Grund genug für die entrüstete Bacall, bei Kinostart nicht für „Der Fanatiker“ zu werben, Biehn zog sich nach eigenen Angaben frustriert für zwei Jahre aus dem Geschäft zurück.) So orientieren sich die nachträglich eingefügten, den Film nicht entscheidend besser, aber auch nicht schlechter machenden Gewaltsequenzen (inzwischen nur noch wenig schockierend und unspektakulär), in denen Douglas seine Opfer mit seinem Rasiermesser verletzt oder gar tötet (darunter ein geschmackloser Mord an einem Schwulen, der, während er Douglas einen bläst, die Klinge an der Kehle zu spüren bekommt, was so manchen Homosexuellenverein seinerzeit auf die Barrikaden getrieben haben dürfte), unübersehbar an dem kurz zuvor entstandenen „Dressed to Kill“. Der erste Angriff auf die bemitleidenswerte Sekretärin lehnt sich geradezu unverschämt offensichtlich an den brutalen Fahrstuhlmord im de-Palma-Thriller an. (Freundlicherweise brachten es die Autoren nicht übers Herz, Maureen Stapleton, die hier weit und breit mit Abstand liebenswürdigste Figur, einen derart jämmerlichen Tod sterben zu lassen.) Auch die markante Musik erinnert an ebenjenen Film – nicht verwunderlich, weil Pino Donaggio dort wie hier für die Musikuntermalung verantwortlich zeichnete.
Diese ist (neben der wundervoll gestalteten Eröffnungsszene, über die der Vorspann läuft, und einem noch verhältnismäßig jungen Hector Elizondo als netten Ordnungshüter, der allerdings ebenfalls nicht viel zur Geschichte beiträgt) dann auch das einzig Erwähnenswerte. Ansonsten (zu) viel Routine mit nicht wenigen inhaltlichen Unebenheiten, die mitunter störend auffallen, wie die hochgradige, aber folgenlose Schwachsinnsaktion von Sally, die sich der sehr viel sicheren Obhut der Polizei entzieht, um sich in einem weit abgelegenen und ungeschützten Haus so lange zu verstecken, bis der frei rumlaufende Stalker gefaßt ist – und daß es so leicht ist, seinen Tod vorzutäuschen – wie hier eindrucksvoll geschildert –, wird die Gerichtsmedizin sehr erstaunen. Spannungstechnisch werden keineswegs neue Maßstäbe gesetzt, die finale Konfrontation im Theater gerät erstaunlich unaufgeregt und ruhig, wenn sie sich auch als laues Lüftchen entpuppt, weshalb die Enttäuschung überwiegt.
Letzten Endes bleibt „Der Fanatiker“ leider ein Film der verschenkten Möglichkeiten, ein Film der Sorte „hätte, wäre, wenn“. Hätte man doch die Tatsache, daß Michael Biehn wahrscheinlich selten bis nie so gut war wie hier, besser ausgenutzt, hätte man seinem Charakter doch mehr Aufmerksamkeit gewidmet und dafür den Sally/Jake-Liebesplot sowie die umfangreichen (und ziemlich schauerlichen) Gesangseinlagen aus dem Skript geworfen, dann wäre voraussichtlich ein ansprechender Genrebeitrag dabei herausgesprungen, gerade da er eine immer aktuelle Thematik anspricht (heutzutage womöglich noch aktueller als zur Entstehungszeit). Weil die Realität jedoch anders aussieht, fallen mir abschließend zu diesem Thriller, der mit seinen knapp über 25 Jahren auf dem Buckel bereits Staub angesetzt hat, lediglich die Attribute „langatmig“, „oberflächlich“, „nicht sonderlich spannend“ und „überflüssig“ ein. 4/10.