Die nukleare Katastrophe als Serie – das hört sich radikaler an, als es letztendlich ausfällt, andrerseits wäre es schwer eine Schote wie „The Day After“ auf Serienlänge zu dehnen.
Der Big Bang ist aber der Startpunkt des Ganzen, wenn gleich in der ersten Folge in mehreren amerikanischen Großstädten Atombomben hochgehen. Darunter auch Denver, in dessen Umgebung auch das kleine Städtchen Jericho liegt. Überall in den USA brechen Kommunikation und Infrastruktur zusammen, der Fallout droht am Horizont. Von nun an beschreibt „Jericho“ das Leben der Einwohner, das auf ganz eigene Weise mit den Terrorattacken verknüpft ist…
Es ist schon eine eigenwillige Mischung verschiedener Genres, die „Jericho“ dem Zuschauer da vor den Latz knallt. Oft kritisiert wurden die fehlende Radikalität und das Pochen auf amerikanische Werte und so ganz sind diese Kritikpunkte nicht von der Hand zu weisen. Jericho bietet als Städtchen den Entwurf einer Gemeinde, die sich auch nach einer Art Weltende noch die Menschlichkeit bewahrt, in dem die Familie ein hohes Gut und das nur in Zeiten der Not das verteidigt, was rechtmäßig ihm gehört. Doch den Gegenentwurf gibt es mit New Bern, das zwischendurch den Antagonisten spielt, aber nie so ganz böse ist – ähnlich wie Jonah Prowse (James Remar), Chef einer lokalen Räuberbande, der von der einstigen Nemesis des Ortes zum zwischenzeitlichen Retter in der Not wird, aber dabei seine ambivalente Rolle nie aufgibt.
Tatsächlich ist die Katastrophe wenig drastisch dargestellt: Ein paar Falloutopfer hier, relativ schnelle und wirksame Schutzmaßnahmen, die man mit allem, was man im Ort findet, bewerkstelligen kann, dort. Jedoch erzählt „Jericho“ durchaus konsequent wie man nach und nach mit Problemen wie radioaktiv verseuchtem Regen, einer EMP-Welle und der problematischen Nahrungsmittelversorgung fertig wird. Dass man dabei mehr und mehr die Charaktere in den Fokus nimmt, liegt in der Natur der Sache – ebenfalls ein gern geäußerter Kritikpunkt, aber eine Serie kann und muss über ihre Figuren funktionieren, weshalb Vorwürfe dagegen kaum haltbar sind.
Tatsächlich ist „Jericho“ teilweise dann am stärksten, wenn es zur Ruhe kommt und den Figuren Zeit zur Entwicklung lässt. Einiges ist absehbar, wie die Liebesgeschichte zwischen Farmer Stanley Richmond (Brad Beyer) und Steuerfahnderin Mimi Clark (Alicia Coppola), anderes kommt überraschend, gerade die Tode mancher Haupt- und Sympathiefiguren, und manches ist wunderbar ungewöhnlich, wie die Geschichte des von seinen Klassenkameraden gemobbten Dale Turner (Eric Knudsen), der im Verlauf der Serie zum Megakapitalisten der Ersatzökonomie wird und fast wie eine Art 16jähriger Syndikatsboss mit mafiösen Zügen wirkt.
Kernpunkt der Serie sind allerdings zwei bestimmte Figuren. Zum einen Jake (Skeet Ulrich), der Sohn des Bürgermeisters Johnston Green (Gerald McRaney), der just am Tag des Anschlags heimkehrt und nun zum Helden wider Willen wird. Jake ist der Held der Arbeit, ein ehemaliger Söldner im Irakkrieg, dessen Backstory etwas leer bleibt, was aber wohl an der frühen Einstellung der Serie liegt, die gute Seele in der rauen Schale, dessen Heroismus manchmal schon groteske Züge annimmt. Mit diesem romantischen Helden (gleich zwei Frauengeschichten wollen hier abgehandelt werden und treten in Konflikt miteinander) ist natürlich auch mal Action angesagt, denn im postnuklearen Chaos ist natürlich nicht nur Friede Freude Eierkuchen, sondern öfters auch mal Rambazamba angesagt. Die Action ist stets bodenständig inszeniert, greift auf einen realistischen, aber nicht unübersichtlichen Handkamerastil zurück und sorgt immer wieder für den nötigen Adrenalinschub zwischen den Ruhephasen.
Kernfigur Nummer zwei ist Robert Hawkins (Lennie James), ein angeblicher Ex-Cop, der mit den Anschlägen in Verbindung steht. Über diese Figur wandert „Jericho“ ins Reich des Politthrillers und klärt gleichzeitig über die Hintergründe der Anschläge auf. Der Zuschauer darf Hawkins bei seinen dubiosen Aktionen und seinem eigenwilligen Familienleben beiwohnen, dennoch ist lange nicht klar, wer er genau ist, was er vorhat und ob man ihn nun auf guter oder böse Seite einordnen soll. *SPOILER* Und selbst nach der Aufdeckung behält Hawkins seine dunklen Seiten als geübter Killer. In einigen wunderbaren Szenen versuchen dahergelaufene Marodeure sich mit dem scheinbaren Zivilisten anzulegen – hämisches Gelächter vom Wohnzimmersofa des Zuschauers ist dann gewiss. *SPOILER ENDE*
Irgendwo zwischen Szenariobeschreibung, Action, Politthriller und einigen Anteilen Soap Opera ist „Jericho“ eine eigenwillige, nicht immer runde Serie, in manchen Folgen etwas uninteressant, in anderen dafür hochspannend, die in der zweiten Hälfte der ersten Staffel zu Höchstform aufläuft. Leider waren die Quoten nicht so pralle, auf Fanwunsch wurde noch eine kürzere zweite Season (7 Folgen) hinterher geschoben, bei welcher die Macher leider nur teilweise gelernt hatten. Der Politpart in einem mittlerweile immerhin halbwegs geordneten Amerika wird betont, es gibt mehr Action und Verschwörung, dafür fallen leider viele angefangene Stränge unschön unter den Tisch und viele Figuren, wie z.B. Dale, kommen nicht mehr zur Geltung. Doch auch Staffel zwei macht Freude, nicht zuletzt aufgrund ihres Drives, nur leider glaubten die Macher dummerweise an eine potentielle dritte Staffel (warum auch immer) und beendeten nicht alle Erzählstränge – ein auf DVD bestaunbares Alternativende baut sogar noch einen Cliffhanger auf.
Skeet Ulrich, in Hollywood nie so richtig zum Leading Man aufgestiegen, macht sich als All American Hero der hemdsärmeligen Sorte recht gut, ein Heimkehrer mit Westernkonnotation, ein romantischer Held und damit irgendwie uramerikanisch, aber auch irgendwie gut in der Rolle. Lennie James als undurchsichtiger Hawkins legt noch eine Schippe drauf und James Remars Gastrolle ist ein wahres Highlight – schade, dass er in nur 5 Folgen Auftritt. Doch auch der restliche Cast, darunter Pamela Reed, Ashley Scott und Kenneth Mitchell, vollbringt durchweg überzeugende Leistungen und schafft vor allem das Wichtigste: Dass man sich über die gesamte Serienlänge hinweg für die Figuren und ihre zwischenmenschlichen Probleme interessiert.
Trotz einiger Seitenhiebe gegen die Bush-Politik und platte Feindbilder (man denke an die Achse des Bösen) ist „Jericho“ weniger ein Politikum, sondern ein ungewöhnlicher, meist packender und sehr sympathisch gespielter Genremix. Leider werden viele angefangene Subplots nicht zu Ende geführt, woran das frühe Serien-Aus, aber auch die Verblendung der Macher, die glaubten, mit der Notlösungsstaffel zwei doch noch mal das Ruder rumzureißen, Schuld sind. Sehenswert ist „Jericho“ trotz seiner Schönheitsfehler aber allemal, von mir gibt es 7,5 Punkte.