Review

Vor der langen Reihe von guten bis sehr guten Beiträgen im Bereich des Giallo und Poliziesco, die er in den frühen 70ern ablieferte, drehte Sergio Martino nicht nur einen eher unbekannten Italo-Western, sondern auch zwei noch seltenere Mondo-Filme. Mich persönlich wundert es nicht, dass sowohl AMERICA COSÍ NUDA, COSÍ VIOLENTA als auch MILLE PECCATI… NESSUNA VIRTÙ heutzutage vollkommen in Vergessenheit geraten sind. Schon eher kann es einen überraschen, dass der gleiche Mann, der nur wenige Monate zuvor für Schund wie diesen hier verantwortlich zeichnete, später Klassiker wie LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH oder LA CODA DELLO SCORPIONE inszenierte. 

Um es kurz zu machen: AMERICA COSÌ NUDA, COSÌ VIOLENTA ist wohl einer der schlechtesten Mondos, die ich jemals gesehen habe. Im Grunde besteht das gesamte Werk aus einer völlig sinnlosen Aneinanderreihung kurzer Szenen, die einzig und allein die Tatsache verbindet, dass sie allesamt in den Vereinigten Staaten entstanden. Martino und sein Team haben sich demnach kein Land der sogenannten Dritten Welt ausgesucht, um die dortigen Riten und Bräuche mit abfälligen Kommentaren zu bewerten, sondern tun dasselbe, wie schon bei MILLE PECCATI… NESSUNA VIRTÚ,  mit Aufnahmen, die sie ausschließlich in den USA einfingen. Es muss wohl nicht explizit erwähnt werden, dass die Perspektive, aus der der Film diese Szenen beäugt, stets eine von oben herab ist, von einer Person, die es besser weiß und über den dargestellten Dingen steht, es sich erlauben kann, sich über zu amüsieren und sie zu verlachen. Dabei wird der Titel dem Film nicht im Geringsten gerecht. In AMERICA COSÌ NUDA, COSÌ VIOLENTA geht es weder besonders nackt noch besonders brutal zu. Werden mal entblößte Frauenbrüste gezeigt, dann nimmt die Kamera immer die prüdeste Position ein, die sie finden kann, filmt die weiblichen Oberkörper derart ungünstig und aus solch weiter Entfernung, dass hier kein Voyeur auf seine Kosten kommen wird. Was die Brutalität anbelangt, hat der Film eigentlich nur eine einzige wirklich schockierende Szene, und verläuft ansonsten zahm wie man es vom Mondo-Genre normalerweise nicht gewohnt ist.  

Die Aufnahmen in AMERICA COSÌ NUDA, COSÌ VIOLENTA lassen sich in zwei Kategorien aufteilen. Zum einen haben wir den wesentlich kleineren Bereich der wohl spektakulär sein sollenden Szenen, darunter die Jagd einiger Rednecks auf einen Schwarzen, der es wagte, eine weiße Frau zu berühren, und dem deshalb die Hand zertrümmert wird. Es wird nicht verwundern, dass diese und fast alle andern Szenen, in denen etwas halbwegs Aufregendes passiert, von vorne bis hinten gestellt worden sind, viel mehr hat mich beeindruckt, dass die stümperhafte Machart des Films daran keine Sekunde einen Zweifel lässt. Fast wirkt es so, als wollte man den Fake-Charakter dieser Aufnahmen bewusst herausstellen, wenn man völlig unerwartet einen schlechten Schnitt setzt oder mitten in einer Szene einen unnötigen Perspektivwechsel vollzieht. Besonders peinlich wird es, wenn eine vom Off-Sprecher als authentisch bezeichnete Schwarze Messe gezeigt wird, in der eine junge Frau sich das Blut eines eben erst geköpften Hahns auf den nackten Körper spritzen lässt, damit andere Satansjünger sie danach sauberlecken, oder wenn ein angeblicher Anti-Vietnam-Gegner sich in der einzigen Splattersequenz des Films, falls man dieses Beispiel mieser Spezialeffektkunst überhaupt so nennen möchte, freiwillig die Finger abhacken lässt, damit er ja nie in Versuchung kommt, jemals eine Waffe in Händen zu halten. Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Verantwortlichen ernsthaft der Ansicht waren, solche lächerlichen Aufnahmen irgendwem als tatsächlich dokumentarisches Material verkaufen zu können. Immerhin haben diese, die im Film vielleicht etwa zwanzig bis dreißig Prozent einnehmen, gegenüber den restlichen Szenen den Vorteil, dass es in ihnen immerhin so etwas wie eine Handlung gibt, selbst wenn sie noch so unfreiwillig komisch ausfällt. Die Frage, die man über den Rest des Films schreiben könnte, wäre nämlich, wen das interessieren soll, was da an Bildern aufgeboten wird. Minutenlang werden Leute am Strand gefilmt. Es gibt mehrere Aufnahmen von Motorrad- und Autorennen. Ein paar Betrunkene torkeln durch New York. Biker rasen durch die Straßen. Prostituierte bieten am Straßenrand ihre Dienste an. Die meisten Minuten seiner Laufzeit bringt der Film damit zu, seinen Zuschauer mit Aufnahmen zu versorgen, die schlicht sterbenslangweilig sind, und sich in nichts von dem unterscheiden, was man auch sehen könnte, wenn man in einer beliebigen Großstadt einen Abendspaziergang unternimmt, und zudem den Eindruck erwecken, Martino und sein Team seien einfach mal ziellos ein paar Tage durch die Staaten gereist, und hätten ohne Konzept eben das gefilmt, was ihnen vor die Linse geriet. Der Off-Kommentar, der sich genretypisch mit zynischen, das Dargestellte ins Lächerliche ziehenden Sprüchen nicht zurückhält, und stellenweise in Stilblüten verfällt, die an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten sind (zum Beispiel wird einmal behauptet, laut einiger namhafter Psychologen sei der amerikanische Mann in seinem Herzen noch immer ein Kind, wozu Szenen präsentiert werden, die Herren in Casinos und Schaubuden von Las Vegas zeigen), hilft nicht sonderlich viel dabei, die öden, belanglosen Sequenzen in irgendeiner Form aufzuwerten. Noch weniger Hilfe darf man vom Score erwarten, bei dem man seinen Ohren teilweise kaum traut, besteht er doch zumeist aus nervtötender Zirkusmusik, die niemals wirklich zu den Bildern passen will.  

Neben all den unglaubwürdigen, idiotischen Fake-Szenen gibt es dann noch die oben bereits angedeutete Tiersnuff-Sequenz, die es mir schließlich nicht mehr schwer fallen lässt, den Film mit dem Punkteminimum zu versehen und mich zu dem Schluss führt, dass ich AMERICA COSÌ NUDA, COSÌ VIOLENTA wirklich keinem empfehlen kann. Ich persönlich kenne zumindest niemanden, der sich durch neunzig Minuten gähnende Langeweile kämpft, nur um zu sehen zu bekommen wie einige selbsternannte Cowboys zu ihrem Spaß eine Unmenge von Kaninchen an den Hinterläufen aufhängen, um ihnen danach mit ihren Flinten die Körper zu zerfetzen, was die Kamera freundlicherweise in Großaufnahme einfängt, damit uns kein Gehirnspritzer und kein aus der Höhle gerissenes Auge entgeht. So sehr ich Martinos spätere Gialli schätze: dieses Frühwerk ist einer der wenigen Filme, von denen ich sagen kann, dass sie ehrlich kein Mensch braucht.

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