“The City“ (1939) wurde von der American Documentary Films Inc. finanziert und von Ralph Steiner und Willard Van Dyke umgesetzt. Der Film beschäftigt sich mit der Frage wie es mit dem Gemeinschaftsleben der amerikanischen Gesellschaft in naher Zukunft weiter gehen soll. Dazu wird der Film in 3 große Teile geteilt: Vergangenheit, Gegenwart und die partikular schon existierende Zukunft. Die Gegenwart wird dabei noch einmal aufgeteilt in die Industriestadt, die Bürostadt und den Highway. Eine Erzählerstimme spricht direkte Aufforderungen mit „We“, was die Problematisierung für alle Menschen bedeutet.
Die Vergangenheit wird durch ruhige und lange Aufnahmen ohne viel Schnitte verdeutlicht. Das Schnittkonzept passt sich dadurch dem gesamten Leben an. Alles geschieht langsamer sowohl die Produktion als auch die Fortbewegung durch das Pferdefuhrwerk. Der Blick der Kamera wird nicht eingeengt, man spürt die Ferne. Alle Häuser sind von der Natur umgeben dadurch ist zwischen den Häusern sehr viel Platz. Damals hatten die Menschen einfach alles was sie brauchten. Alles war vor Ort und das Leben war in Ordnung. Allerdings mussten sie alles selbst anfertigen. Welche schweißtreibende Arbeit das war, davon vermitteln die Halbtotalen einen richtigen Eindruck. Durch sie fühlt sich der Zuschauer mit dem Arbeiter verbunden und er kann die körperliche Anstrengung besser nachvollziehen.
Während in der vergangenen Zeit die Arbeit schwer fiel und man alles per Hand machen musste, hatte die Industriestadt einen entscheidenden Vorteil: Viel Arbeit wurde dem Menschen von der Maschine abgenommen. Einige Bereiche musste der Mensch ganz aufgeben, weil sie zu gefährlich für ihn geworden waren. In den Fabriken kommt der Mensch deshalb auch nur am Rande vor. Er hebt sich nur noch im Kontrast zu den Rauchschwaden und dem glühendem Metall ab. Selbst die Kamera, so scheint es, ist nicht mehr Herr der Dinge. Sie überblickt nicht das weite Areal sondern ist auch durch Rohre, Schornsteine und Fabrikhallen eingeengt. Verzweifelt versucht sie zwischen den Stahlträgern und Rauschschwaden ein kleines Stückchen Himmel zu entdecken doch vergeblich.
Nicht nur die Arbeiter sind von der Schwerindustrie betroffen. Auch die Menschen in den Arbeitersiedlungen rund um die Industrieanlagen leiden unter dieser Vergiftung der Luft. Die Kinder sind verschmutzt und arm, sie spielen mit Abfall und bringen sich selbst in Gefahr wenn sie auf den Gleisen spielen, während Züge kommen. Die dazwischen geschnittene Mutter sieht dem gefährlichen Treiben resigniert zu. Hier ist sprichwörtliche Tristesse. Der Blick der Kamera gleitet über die baufälligen Hütten und nimmt dabei, relativ unbeteiligt, die abgearbeitet Gesichter der Menschen im Vordergrund mit. Familienleben als solches gibt es kaum. Die Erwachsenen werden meist einsam, die Kinder in gesichtlosen Gruppen, oder in deprimierenden Nahaufnahmen gefilmt. Der Erfolg soll durch den Rauch kommen, das ist das Versprechen. Doch wer hat darunter zu leiden? Die Arbeiter, denn sie müssen glücklich sein, für jeden Tag den sie in ihrem Job verbringen dürfen. Glücklich sein für jede Minute im tödlichen Dreck und Rauch. Doch nicht nur die Großindustrie wird angeklagt. Mit Hilfe schneller Schnitte wird der Bogen zwischen der Frau am Herd die gerade Kohle nachlegt, über die Industrieschornsteine hin zu den Eisenbahnen, die den Rauch in alle Richtungen transportieren, gezogen. Dies kommt einer Anklage gegen die fossilen Brennstoffe gleich. Die Alternative dazu wird später die erneuerbaren Energiequelle Wasserkraft sein.
Aus diesen noch relativ langsamen Sequenzen kommt der plötzliche Wechsel in die Gegenwartsstadt. Hier ist alles hektisch. Die Schnitte, die Kameraschwenks und -neigungen, ja sogar der Erzähler wird scheinbar von dem unnachgiebigen Strudel der rastlosen Großstadt mitgerissen.
Es wird der Mensch aus der Vogelperspektive innerhalb einer gesichtslosen Masse gezeigt. All tragen ähnliche Kleidungsstücke, ihre Bewegungen gehen kreuz und quer. Bewegten sich die Menschen in der vergangen Stadt noch ziel- und zweckgerichtet, ist es der Kamera in der Großstadt unmöglich ein Ziel für so viele Menschen zu definieren, deswegen sehen wir meist Fußgänger die dem nicht definierten Raum hinter der Kamera zustreben, in einem Spielfilm wäre dies ein ungerngesehenes Stilmittel.
Ähnlich wie der Zuschauer keine Möglichkeit mehr hat den Handlungen der Personen zu folgen, kann er in der Bürosequenz auch dem Ton nicht mehr auseinander halten. Indem hier zahlreiche Stimmen aus dem Off gemixt werden, entsteht für den Zuschauer eine unverständliche bedrohliche Atmosphäre. Zusammen mit den kalten emotionslosen Einstellungen der Hände und schließlich des gesamten Großraumbüros entsteht einmal mehr der Eindruck vom Menschen als Maschine. Dieser Eindruck bestätigt sich auch in der Montage der Essengesellschaft. Gäste eines Restaurants werden in Detailaufnahmen mit den Maschinen der Nahrungsmittelzubereitungsindustrie gleich gesetzt. Ähnliche Bewegungen, wie das wenden der Pfannkuchen und das trinken von Kaffe werden zueinander in Beziehung gesetzt und zeigen eine Industrialisierung der Essengesellschaft.
Wieder die Kinder reflektieren die Welt der „Großen“. Die Kinder bekriegen sich – Ausdruck des beruflichen Machtkampfs – und spielen im Schmutz – Eltern haben keine Zeit mehr für sie. Außerdem nehmen sie z.B. Obdachlose als ein ganz normales Phänomen war.
In einer schnellen Schnittfolge von Gefahrenschildern über Krankenwagen hin zu den Kindern wird versucht eine subtile Logikkette zu schaffen. Eine weitere Schnitt/Logikkette besteht in der Problematisierung von einer Art Jugendkriminalität. Erst sind nur kleiner Verstöße der Kinder zu sehen, z.B. das Spielen auf der Straße, dann kommt es zu immer größeren Konflikten, bis schließlich eine Scheibe zu Bruch geht. All dies wird von der Kamera in relativ distanzierten Bildern aufgenommen, deren Blick stets durch die Hochhäuser begrenzt und eingeengt wirkt. Durch die Froschperspektiven auf den Gehwegen, fühlt sich der Zuschauer zusätzlich bedroht. In diesem (wahrscheinlich) schnellsten Teil des Films gibt es nur dann lange Sequenzen wenn sich der Mensch einer Maschine unterordnen muss, zum Beispiel wenn stark befahrene Straßen überquert werden müssen. In einer Schwindelerregenden Montage aus Verbotsschildern, der Ordnungsmacht und der Orientierungslosigkeit der Passanten wird die Verwirrung immer größer bis der Kulminationspunkt erreicht ist und plötzlich Ruhe ist. Es ist Sonntag.
Doch nur die Bürostadt hat Ruhe. Nun wälzen sich Blechlawinen über die engen Highways. Hier sind die Einstellungen sehr beschränkt. Der Wechsel von Groß und amerikanischer Totale zu Supertotale, oder gar Weit, und wieder zurück zeigen uns die Ausmaße des Staus und die individuellen Reaktionen – meist Wut – der Autofahrer. Hier hat der Zuschauer die Möglichkeit sich in die betroffenen Menschen zu versetzen.
Doch ist die angestrebte Natur wirklich frei? Nein! Der Straßenrand ist durch Mauern begrenzt, die Verkehrs- und Verbotsschilder sind auch bis hierher gekommen. Ja sogar der Polizist, als mahnende Pappfigur, hat den Umzug in die Natur überstanden. Und wieder einmal löst der Schnitt eine unheilvolle Logikkette aus. Mit der immer schneller werdenden Schnittfolge aus reparierenden Männern, weinenden Kindern und nervtötenden Gehupe rast die Autogesellschaft einer Katastrophe entgegen, verdeutlicht durch den Unfall eines Autos.
Diesen ganzen Szenarien tritt nun die moderne, zukünftige Stadt entgegen. Hier ist nicht die dreckige Kohle und ihr Rauch der Energielieferant, sondern ökologisch erneuerbare Energie, dargestellt durch ein Wasserkraftwerk. Diese neue Stadt stellt das Gleichgewicht zwischen Mensch, Natur und Maschine wieder her. Im Gegensatz zu den andern Lebensräumen, wird die moderne Stadt durch Luftaufnahmen, aus einem Flugzeug heraus, eingeführt. Hier stehen sowohl der symbolische Gehalt (Flugzeug = modernstes Fortbewegungsmittel) als auch die Möglichkeit die Verwebung von Natur und Stadt, als Ganzes zu demonstrieren, im Vordergrund. Die breiten Highways sind fast leer und werden auch aus der Vogelperspektive gezeigt, was zur Folge hat, dass sich der Zuschauer nicht fürchtet. Er steht ja jetzt über den Dingen. Dieses Mittel wenden Ralph Steiner und Willard Van Dyke ebenfalls bei den Fabriken an. Auch sie werden von oben oder in Weit-Aufnahmen gezeigt um so dem Zuschauer die Furcht vor einem unüberschaubaren Fabrikkomplex – wie er in der Industriestadt gezeigt wurde – zu nehmen.
Erstmals sehen wir auch Innenaufnahmen von hellen sauberen Räumen in privaten Wohnungen. Und erneut erfolgt ein wichtiger Teil der Argumentationskette über die Thematisierung der Kinder. Gute saubere Schulen, die in der Nähe der elterlichen Wohnungen sind. Höfliche, kreative Kinder, die bereits arbeiten und trotzdem spielen und Spaß am Leben haben. Außerdem sehen die Väter ihre Kinder auch einmal bei Tageslicht, denn die neuen Fabriken sind über einen kurzen Weg, durch die Natur von den Wohnsiedlungen aus, erreichbar.
In der neuen Stadt ist der Übergang zwischen Natur, Technik und Mensch fließend, was immer wieder durch Kameraschwenks, von den Häusern in den Wald, demonstriert wird. Auch Kameraneigungen werden eingesetzt um den Zuschauer von den Vorzügen zu überzeugen. Wurde das Hochhaus in der alten Stadt durch eine Neigung eingeführt, so wird nun dieselbe Neigung an einem Strommasten vollzogen. Der Effekt ist, dass der Strommast den Blick aufs weite Land frei gibt, während das Hochhaus den Zuschauer einengte, vor allem da die Neigung von Oben nach Unten erfolgte.
Die Arbeiter werden in ruhigen Einstellungen gezeigt, kein Vergleich zu der hektischen Collage in der Essensequenz der alten Stadt.
Mit den Kinderzeichnungen beginnt das Fazit des Films. Alte und Neue Stadt werden in direkten Schnitten gegenübergestellt. Am Ende setzen die Regisseure sogar noch metaphorische Bildsprache ein um zu zeigen dass die alte Stadt von Gras überwuchert und vom Wasser weggespült wird.
Fazit
Der Film hat einen gewissen propagandistischen Charakter. Es wird eindeutig Stellung für das neue Gemeindeleben bezogen. Erzeugt wird dies durch eine Logikkette die entfernt an die Hegelsche Dialektik erinnert:
These (Vergangenheit: Mensch und Natur im Einklang, keine Technik)
--> Antithese (Mensch und Natur werden von der Technik zurückgedrängt)
--> Synthese (Mensch, Natur, Technik sind im Einklang)
Aber nicht nur im Gesamten findet sich diese Dreiteilung wieder. Auch in den stilistischen Mitteln, die der Film einsetzt, kommt es immer wieder zu solchen Ketten. Beispielsweise die Gegenüberstellung der Weite des Raums im Land (Vergangenheit) und der eingeengten Stadt (Gegenwart) zur der gelungenen Kombination aus beidem in der zukünftigen Stadt.
Oder, die schwere Arbeit der Vergangenheit vs. der unmenschlichen Gegenwart wird zur Synthese in der neuen Stadt in der die Menschen sich nicht von den Maschinen beherrschen lassen aber sehr wohl ihre Vorzüge genießen.
„The City“ ist kein realhistorisches Dokument welches uns aufzeigt wie die Menschen damals gelebt haben, dazu ist es zu subjektiv und mit zu vielen künstlerischen Mitteln unterlegt die unterbewusst auf die Einstellung des Rezipienten einwirken. Nein, es ist ein Dokument in soweit, als das er uns aufzeigt wo Probleme erkannt wurden und mit welchen Mitteln versucht wurde dagegen anzugehen. Wobei hier nicht nur der Inhalt des Films (die neue Stadt) entscheidend ist, sondern auch der Film selbst.
Die neue Technik mit der man, mit relativ geringem Aufwand, große Massen publikumswirksam erreichen konnte, war gut geeignet um den Menschen die Scheu vor neuen Dingen zu nehmen.
Die Suggestion des Auges, eigentlich unbewegte Einzelbilder werden durch schnelles Aneinanderreihen zu einer bewegten Sequenz, wird durch genaue Kenntnis der Technik von Kamera, Ton und Schnitt um die Suggestion des Verstandes erweitert.
Das Kino als Werbewerkzeug für eine neue sauberere Stadt- und Lebensform auch wenn es – wie wir heute wissen – leider zu zumeist Utopie bleiben musste.