Review
von Alex Kiensch
Pünktlich zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christopher Kolumbus inszenierte Ridley Scott ein monumentales Historien-Epos über diesen Meilenstein der Menschheitsgeschichte: von Kolumbus' Widerstand gegen engstirnige Kirche und Königshaus über die mühevollen Reisen bis hin zum Aufbau erster zivilisatorischer Punkte in der „neuen Welt". Und auch die Schattenseiten dieser Ära werden nicht verschwiegen...
Im Stil klassischer Historien-Epen aus Hollywoods goldener Ära der 50er-Jahre lässt Scott hier die spätmittelalterliche Welt des ausgehenden 15. Jahrhunderts in überlebensgroßen Bildern wiederauferstehen: Gigantische Panoramen, phänomenale Bilder der Meeresüberquerung und der wilden karibischen Dschungel, unterlegt mit einem bombastischen Choralsoundtrack, erzeugen eine quasi sakrale Atmosphäre, die das Gezeigte weniger der harten Realität der damaligen Zeit als einem leicht idealisierten, beinahe mystischen Geschehen angehören lassen. Das macht den Film weniger zu einem authentischen Historienabbild als viel mehr zu einer beeindruckend inszenierten Legende im modernen Gewand.
Dieses Prinzip der Übersteigerung geht voll auf: Allein Gérard Depardieu als Christopher Kolumbus ist eine Wucht. Mit ausgefeilter Mimik und pathetischen Gesten vermag er die riesenhafte und überlebensgroß wirkende Kulisse auch in seinem Charakter widerzuspiegeln - wenn er die ersten Schritte auf unentdecktes Land tut, sein Lebenswerk durch Gier und Gewalt zerstört sieht oder seinen wissenschaftlichen Ehrgeiz durch Kirchengesetze eingeengt sieht, verleiht er seinem Handeln einen Nimbus mystischer Überhöhung. Vielleicht hat es zur Entstehungszeit von „1492" keinen Schauspieler gegeben, der besser in diese Rolle gepasst hätte.
Inhaltlich beschränkt sich Scott nicht darauf, nur die historischen Geschehnisse nachzuerzählen - zumal vieles hier sicher nicht oder nur ungewiss historisch verbürgt ist - sondern nutzt die faszinierende Situation des Aufbaus einer neuen Welt, um anthropologische Kommentare auch zur Moderne zu platzieren. Gier, Rassismus und Engstirnigkeit bedrohen das neue Paradies, und weder die koloniale Überlegenheitshaltung selbst der sonst sympathischsten Figuren noch die Gewalt gegen die Ureinwohner werden ausgespart (auch wenn der eigentliche Genozid an den indigenen Völkern nicht mehr dargestellt wird, wodurch hier alles ein wenig verharmlosend wirkt). Was ein wenig aufstößt, ist die unreflektierte Darstellung Kolumbus' als ehrgeizig-visionärer Mann, dem sich alles zu unterwerfen hat - insbesondere seine Ehefrau wird hier zum Symbol für weibliche Entbehrung im Dienste des Mannes. So etwas hätte man dann doch gerne vielschichtiger darstellen können. Überhaupt bleibt hier trotz einiger drastischer Gewalt- und Schlachtbilder alles doch hollywoodtypisch zu sauber und glatt.
Trotzdem ist „1492" ein bombastischer Film, der mit seiner schieren Bildgewalt überwältigt, einen spektakulären Soundtrack und enorm aufwendige Settings zu bieten hat - trotz der etwas theaterhaft aussehenden Schiffskulissen - und mit einer gehörigen Portion Pathos eine der größten Entwicklungen der modernen Menschheitsgeschichte darstellt. Ein monumentaler Klassiker des 90er-Hollywood-Kinos!