Auf der Suche nach dem nächsten großen Aufhänger, den man reißerisch als Statistik an den Vorspann pappen kann, stieß man bei MGM Mitte der 00er Jahre auf das Phänomen des „intraoperativen Wachzustands“, bei dem Betroffene einen chirurgischen Eingriff unter Vollnarkose indirekt oder sogar ganz direkt bei vollem Bewusstsein miterleben. Eine unangenehme und dabei überaus greifbare Vorstellung, die auf den ersten Blick durchaus filmisches Potenzial andeutet. Aber taugt der handlungsunfähige Patient auf dem Operationstisch am Ende wirklich als Protagonist für einen ganzen Komplott in Spielfilmlänge?
Gerade nach den Verschwörungsthrillern der 90er, in denen die Harrison Fords („Auf der Flucht“, 1993), Michael Douglasses („The Game“, 1997), Mel Gibsons („Fletchers Visionen“, 1997), Will Smiths („Staatsfeind Nr. 1“, 1998) und Nicolas Cages („Spiel auf Zeit“, 1998) vor Tatendrang nur so strotzten, erscheint die passive Hauptfigur von „Awake“ von der Wurzel an fehlkonzipiert: Ein junger Milliardenerbe ist es, mit dem man sich hier identifizieren soll, angeregt durch die aufdringliche Überbetonung seiner positiven Seiten.
Besetzt ist der liebreizende Kerl im taillierten Anzug ausgerechnet mit Hayden Christensen, dem zu jener Zeit nicht nur das „Star Wars“-Stigma taufrisch auf der Stirn glühte, sondern der wie kaum ein zweiter Schauspieler nach dem Jahrtausendwechsel dekorative Bedeutungslosigkeit verkörperte. Zur Seite gestellt wird ihm zu allem Überfluss Jessica Alba, der Männertraum jener Zeit schlechthin, hier in der Rolle der Assistentin und heimlichen Freundin. Sie vervollständigt das optisch makellose Leinwandpaar, das die spiegelnde Oberflächlichkeit des neu angebrochenen Millenniums kaum treffender reflektieren könnte.
Entsprechend gefällt sich „Awake“ in der Pose jugendlicher Verträumtheit vor hübscher Kulisse, sei es der Spiegel im Luxus-Badezimmer, vor dem sich die Verliebten umarmen, oder die Bucht an der Manhattan Bridge beim Angeln zweier Freunde, des Herzpatienten und seines Arztes. Idyllische Blicke auf die oberen Gesellschaftsschichten, wohin das Auge reicht. Die Schwelgerei in der Welt der Reichen und Schönen verschafft den Handlungsträgern letztlich genug Zeit, um ihre sozialen Interaktionen zu einem Debakel aus schiefen Emotionsbekundungen geraten zu lassen, wann immer sie dazu angehalten sind, die Flüchtigkeit des Augenblicks zu transportieren. Behauptet wird eine gewisse Zerbrechlichkeit der intakten Gegenwart, die ungeachtet des sozialen Rangs immer gelte; auf den Ottonormalkonsumenten überträgt sich dieses Gefühl nur leider nicht. Alles, was man fühlt, sind halbgare Regieanweisungen; was man sieht, sind ihre verklemmten Ausführungen.
Es ist ein langer Weg hin zur Ausführung der Grundidee, mit der „Awake“ hauptsächlich für sich wirbt, denn auch vergleichsweise kompakte 80 Minuten möchten erst einmal gefüllt werden. Also schreibt man dem jungen Unternehmer mit dem Herzfehler eine besitzergreifende Mutter ins Skript, auf dass sich die Mutter-Sohn-Freundin-Konstellation zu einem Dreieck des Schreckens entwickeln möge, bei dem Besitzansprüche mit den Mitteln der Mächtigen durchgesetzt werden. Nimmt man nun noch Terrence Howard als Arzt dazu, der seinem Buddy schon einmal das Leben rettete und es wieder zu tun gedenkt, ist das Figurennetz auch praktisch schon vollständig ausgebaut. Ein insgesamt recht zweckmäßiges Gerüst, um eine mysteriöse Verschwörung aus dem Nichts heraus in Gang zu setzen.
Jene Verschwörung nimmt erwartungsgemäß in dem Augenblick Anlauf, als der Patient ungewollt Zeuge seiner eigenen Live-Operation wird. Weshalb dieses Phänomen bis hierhin vor allem in einzelnen Episoden von Krankenhausserien wie „Grey’s Anatomy“ oder „Nip/Tuck“ zum Thema gemacht wurde, selten aber zum Handlungsgerüst eines ganzen Films, macht sich spätestens jetzt bemerkbar. Regisseur und Autor Joby Harold weiß nicht viel mit seiner narkotisierten Königsschachfigur anzufangen. Also klammert er sich an die Hoffnung, dass schon die reine Vorstellung des Wachzustands bei offenem Brustbein ausreicht, manchem Zuschauer die Schweißperlen auf die Stirn zu treiben, ähnlich wie es so manchem Poe-Alptraum um Begräbnisse oder Einmauerungen bei lebendigem Leibe gelang, selbst wenn die entsprechende Adaption mal nicht so gelungen war.
Die tatsächliche Umsetzung des einsetzenden Wach-Alptraums anhand innerer Monologe schrammt allerdings bisweilen gefährlich nah an der Komödie entlang. Einem Sportkommentator nicht unähnlich, der parteiisch einen Sturmlauf auf das Tor seiner Lieblingsmannschaft beobachtet, beschreibt er seine Emotionen, während sich die Schneide der Haut nähert. Endgültig vogelwild wird es, wenn Christensen schließlich seinem Körper entsteigt und er als spektraler Schemen in den Fluren Nachforschungen anstellt. Dies nicht allzu albern geraten zu lassen, ist in dieser Phase womöglich die größte Herausforderung des Regisseurs. Und doch bleibt ihm schließlich keine andere Wahl, wenn er irgendwie den Plot aus Perspektive des zentralen Charakters vorantreiben möchte.
Die nun folgende, nicht allzu stilsichere Vermischung von Crime-Elementen und übernatürlichen Ebenen mag zwar dazu beitragen, dass einem im Wartesaal neben der Snackmaschine nicht die Füße einschlafen, doch von einem ernstzunehmenden Thriller-Ansatz hat sich „Awake“ bis dahin längst verabschiedet. Grundsätzlich begrüßenswert ist es zwar, dass sich so maches im Aufbau begriffene Stereotyp, die herrschsüchtige Mutter sei hier vor allem genannt, schnell auf unerwartete Weise in alternative Richtungen entwickelt; allzu viel Fundament für die Motivation der Handelnden hat Harold allerdings nicht in der Hinterhand, um diese Wandlungen begreiflich zu machen. Viele der Twists geraten dadurch zu einer rein mechanischen Vorrichtung zwecks Spannungserhaltung, verpuffen aber in Bezug auf die Figurenzeichnung, die irgendwann endgültig in sich zusammenfällt und die ohnehin nicht allzu lobenswerten Leistungen der meisten Beteiligten unvorteilhaft betont.
Kein Wunder, dass „Awake“ trotz seiner seltenen Prämisse auch fast zwanzig Jahre später kaum Nachahmer gefunden hat. Eines Imitats würdig ist hier nämlich praktisch nichts, und selbst der Anblick zweier ehemaliger Stars in der Blüte ihres Daseins löst keinerlei nostalgische Gefühle aus, weil sie schlichtweg nichts anbieten, was man heute vermissen würde. Intraoperativer Wachzustand hin oder her; nicht einmal ein Remake möchte man hiervon so recht sehen, trotz gehörigem Steigerungspotenzial.