Vorsicht, der folgende Text enthält womöglich relevante Informationen über die Handlung!
Wir schreiben das Jahr 1964. Sean Connery war praktisch über Nacht als James Bond weltberühmt geworden und befand sich grad am Anfang einer großen Filmkarriere. Damals hatte er noch großen Spaß an der mittlerweile Kult gewordenen Figur, obwohl er schon wenig später deutlich machte, daß er nicht auf ewig den Agenten mit der Doppelnull und der Sieben spielen wollte. Dennoch sah er sich schon zu diesem Zeitpunkt mehrfach nach anderen Rollen um, darunter der kommerzielle Hitchcock-Flop “Marnie” und eben Basil Deardens “Die Strohpuppe”.
In diesem Krimi mimt Connery dann auch nicht etwa den Helden, wie man es erwarten könnte, nein, Dearden besetzte ihn gegen den Strich als geldgeilen Schurken - und der dankte es ihm mit einer ordentlichen Leistung. Wahrlich eine Überraschung, wenn man bedenkt, daß nur einige Wochen später “Goldfinger” in die Kinos kam. “Die Strohpuppe” ist im Gegensatz zu dem rasanten Bond-Streifen hingegen ein Muster an betulichem Spannungsaufbau. Dearden ist eine genaueste Einführung der drei Hauptfiguren, um die sich die folgenden 110 Minuten drehen sollen, mindestens genauso wichtig wie die Krimihandlung und so läßt er sich unendlich viel Zeit, bis der Film in die Pötte kommt.
Alles beginnt mit einem entsetzten Anthony (Sean Connery): Obwohl er Neffe und nächster Verwandter des steinreichen, an den Rollstuhl gefesselten und tyrannischen Industriellen Richmond (Ralph Richardson) ist, will der im Falle seines Todes sein gesamtes Vermögen der Wohlfahrt vermachen. Damit er doch noch ein Stück des großen Geldkuchens abstauben kann, verfällt er auf einen genialen Plan, dessen erster Schritt es ist, die junge rassige Italienerin Maria (ziemlich blaß: Gina Lollobrigida) als Pflegerin für den Alten zu engagieren. Diese soll sich nun besonders gut um Richmond kümmern und ihn heiraten, damit das Testament doch noch verändert und sie als Universalerbin eingesetzt wird. Praktisch als Gegenleistung für die Idee soll Maria Anthony dann von der geerbten Knete einen Teil abgeben.
Bis es soweit ist, vergeht jedoch eine geschlagene Stunde, muß Maria ihrem Vorgesetzten aufgrund seiner rassistischen und allgemein menschenverachtenden Haltung (er behandelt seine ausschließlich aus Schwarzen bestehenden Diener wie der letzte Dreck) mehrfach die Leviten lesen, droht sie mindestens dreimal mit ihrer Kündigung, um sich dann doch wieder von Anthony, mit dem sie eine Liebschaft beginnt, umstimmen zu lassen und ihren Job weiter auszuüben. Ruhige Handlungsentwicklung schön und gut, aber das lange Vorspiel hätte Dearden locker um zwanzig Minuten kürzen können, zumal sich das Drehbuch einzig und allein auf diesen einen Plot konzentriert und keine interessanten Nebeneffekte einzubauen weiß. Das ständige Hin und Her der zentralen Protagonistin bringt den Film nicht einen Schritt weiter. So ertappt man sich öfter bei der Frage: Geht’s jetzt allmählich mal los?
Daß sich die lahme Auftaktphase trotz allem immer noch recht gut goutieren läßt, ist allein - und da sind sich ausnahmsweise alle Kritiker einig - Ralph Richardson, unbestritten einem der bedeutendsten britischen Bühnendarsteller des 20. Jahrhunderts, zu verdanken. Der damals 60-jährige darf sich hier noch ungehobelter benehmen als das deutsche Serien-Ekel Alfred und tut dies mit einer Hingabe, daß es eine wahre Freude ist. Er pöbelt, er beleidigt, er schimpft in einer Tour und schürt mit seiner ungenießbaren Art fast ununterbrochen berechtigte Mordgedanken bei allen Beteiligten.
Der Wunsch des hibbeligen Zuschauers nach Nervenkitzel geht dann umso überraschender eine Dreiviertelstunde vor Schluß in Erfüllung, indem wir nämlich ENDLICH den gewünschten Kriminalfilm serviert bekommen. Initiiert durch den wirklich unerwarteten Tod Richmonds während einer Kreuzfahrt mit seiner Yacht - damit war zwar zu rechnen bzw. man hat sehnlichst darauf gewartet, weil man in seiner Fernsehzeitung vor Begutachtung eine grobe Inhaltsangabe durchgelesen hat, die diesen Plotpunkt erwähnte, aber daß das jetzt doch so unvermittelt geschieht, war nicht zu erwarten - entsteht nun eine sehr solide, wenn auch letztlich simpel bleibende Spannungsgeschichte.
Die Tatsache, daß der auf aufregende zehn Minuten aufgeblasene Höhepunkt des Films - damit das inzwischen zu ihren Gunsten umgeänderte Testament seine Gültigkeit nicht verliert, so Anthony, muß Maria die Leiche vom Boot in sein Anwesen transportieren und gegenüber Außenstehenden so tun, als wäre Richmond noch am Leben - bereits ungefähr zu Beginn der zweiten Hälfte stattfindet, stört keineswegs, weil “Die Strohpuppe” im Folgenden noch mit der ein oder anderen Wendung aufwarten kann.
Maria braucht dabei grundsätzlich immer etwas länger als der aufmerksame Betrachter des Schauspiels, bis sie kapiert, was Sache ist, und spätestens, als klar wird, daß Richmond nicht eines natürlichen Todes starb, müßten bei ihr sämtliche Alarmglocken klingeln. Tun sie aber nicht. Überhaupt stellt sie sich an so mancher Stelle doch etwas blöd und kopflos an (warum läßt sie den toten Gatten daheim die ganze Zeit über im Rollstuhl sitzen, anstatt ihn ins Bett zu legen, wenn fortwährend Personal an die Zimmertür klopft und Einlaß erbittet?), wo man sich etwas mehr Besonnenheit von ihr gewünscht hätte.
Rechtzeitig zum Finale zaubert das Skript ein letztes As aus dem Ärmel. Vielleicht hätte man den entscheidenden Hinweis zur Lösung des Falls vorher etwas auffälliger in den Film integrieren sollen, damit er nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel über dem Zuschauer einschlägt. Dennoch sind die Schlußminuten überaus gelungen und zudem schlüssig und beleuchten die Ereignisse auf der Yacht im Nachhinein in einem anderen Licht, so daß ein zweiter Blick auf “Die Strohpuppe” garantiert nicht verkehrt ist.
Bei “Die Strohpuppe” handelt es sich insgesamt um einen ganz und gar nicht innovativen, nach verhaltenem Start mit einem ganz groß aufspielenden Richardson dennoch angemessen spannenden und dabei gleichzeitig angenehm ruhigen (und altmodischen) Kriminalfilm, den ich irgendwie liebgewonnen habe, und wenn er wieder in den Dritten Programmen rauf- und runterläuft, schalte ich zwischendurch gern rein. 7/10.