Ein gutes Beispiel dafür, dass man von einem als Durchschnittsware gehandelten Independent-Movie auch mal positiv enttäuscht werden kann ist "The Ferryman". Denn der durch das Setting und die Story entsprechend eingeschränkte Handlungsspielraum stellt nicht gerade ein Vorzeichen dar, welches auf spannende oder gar abwechslungsreiche Unterhaltung hindeutet. Umso größer ergo die angenehme Überraschung, dass Chris Grahams Bootstörn nicht nur sehr atmosphärisch, da düster und bedrohlich geraten ist, sondern auf der Habenseite auch einen tempo- und wendungsreichen Handlungsverlauf sowie eine schauspielerisch absolut überzeugende Minimalbesetzung verbuchen kann, wobei die wenigen Akteure zusätzlich durch fein differenzierte (wenn auch nicht unbedingt tiefgründige) Charakterzeichnungen sehr menschlich und glaubhaft wirken. Alleine schon die Ankunft des Schiffbrüchigen an Bord der Yacht wurde so stimmig inszeniert, dass man sich ob dessen Berichts unweigerlich an den Erzähler in Coleridges Rime of the Ancient Mariner erinnert fühlt.
Mit drastischen Darstellungen physischer und psychischer Gewalt wird nicht gerade zimperlich (wenn auch nicht inflationär) verfahren, denoch wirken diese Szenen eigentlich immer der Handlungsentwicklung dienlich und somit niemals rein selbstzweckhaft (natürlich im Rahmen dessen, was das Genre irgendwo verlangt). Trotz der überschaubaren Anzahl an Akteuren und somit auch der eingeschränkten Verlaufsmöglichkeiten sinkt die Spannungskurve nie wirklich ab, sondern steigt bis zum Finale sogar zunehmend an.
Besonders gelungen ist die Darstellung der Verzweiflung und Ausweglosigkeit der Protagonisten, die sich durch die Entwicklung der Ereignisse ständig zum Handeln gezwungen sehen, wobei die Entscheidungsfreiheit jedoch durch die eintretenden Konsequenzen immer mehr eingeschränkt wird. Dabei gelingt es Graham, die Eskalation der Situation und den hieraus resultierenden psychischen Druck auf die Betroffenen zu nutzen, um deren doch sehr unterschiedliche Wesenszüge herauszustellen. Im Vergleich zu anderen, ähnlich gelagerten Szenarien, werden sich die Opfer im Angesicht der existentiellen Ausnahmesituation in "The Ferryman" eben nicht ähnlicher, sondern unterstreichen durch ihr Verhalten ihre Individualität. Das ist nicht gerade genretypisch und auf jeden Fall ein Lob wert.
Ganz am Ende gibt es als Sahnehäubchen noch einen makabren Schlußgag und mit einer metallischen Coverversion von Chris de Burghs "Don't pay the Ferryman" (von Cobra Khan) einen passenden musikalischen Rausschmeisser auf die Ohren. 97 Minuten vergehen wie im Flug und man behält "The Ferryman" als ein Horrorthriller in Erinnerung, den man sich mit etwas zeitlichem Abstand wohlmöglich noch ein zweites Mal antun möchte. Ein Indiz mehr, das für eine gute Bewertung spricht.