CINEMA OF VENGEANCE
Ein Kung Fu-Kämpfer betritt den Hof. Er sieht sich einer Vielzahl von Widersachern gegenüber. Er schließt das Tor hinter sich, um auch ja keinen der Gegner entkommen zu lassen. Zoom auf die Augen des Helden… Zoom auf die ängstlichen Augen der Gegner… Zoom auf die sich ballenden Fäuste des Helden. Der Böse (Chang Yi) beobachtet, wie sich der Gute (Leung Kar-Yan) einen Widersacher nach dem anderen vornimmt…
Wir befinden uns im Showdown des Samo Hung-Klassikers THE VICTIM. Mit diesem Ausschnitt beginnt die Eastern-Doku CINEMA OF VENGEANCE passend: THE VICTIM hört bei uns schließlich auf den Titel DIE TÖDLICHE RACHE, während CINEMA OF VENGEANCE übersetzt „Kino der Vergeltung“ bedeutet!
Inszeniert wurde die Doku von Eastern-Experte Toby Russell. Kaum jemand hat mehr für die Etablierung des Genres in der westlichen Welt getan, als dieser Mann! Gemeinsam mit Rick Baker betrieb er den Londoner „Eastern Heroes“-Shop, veröffentlichte Filme beim eigenen „Eastern Heroes Video“-Label, verlegte das „Eastern Heroes Magazine“ und schuf mit „The Essential Guide to Hong Kong Movies“ ein Buch, dass von vielen Fans als „Bible of Hong Kong Cinema“ bezeichnet wird!
CINEMA OF VENGEANCE beginnt bei der Geburtsstunde des Eastern und erzählt vom Volkshelden Wong Fei Hung, welcher auf über 100 Film- und Serienauftritte kommt. Nach einigen schwarz/weißen Ausschnitten aus alten Schwertkampfklassikern gelangen wir recht schnell zur Legende Bruce Lee, seinen zahlreichen Klonen und zum jungen Jackie Chan. Dieser Teil der Doku fällt jedoch recht kurz aus, da aus lizenzrechtlichen Gründen keine Ausschnitte aus Shaw Brothers- und Golden Harvest-Filmen gezeigt werden dürfen!
Neben einigen Aushang- und Szenenfotos von und mit Bruce Lee gibt es mehrere Interview-Ausschnitte des verstorbenen „King of Kung Fu“ und Bilder aus THE GREEN HORNET zu sehen. Außerdem kommt Bruce Li zu Wort. Er erzählt über sein Klon-Casting und witzelt, dass er seine erste Hauptrolle nur bekam, weil eine seiner Gesichtshälften der von Bruce Lee ziemlich ähnlich sah.
Jackie Chan ist nicht persönlich anwesend. Neben Erzählungen über - und Bildern aus - SNAKE IN THE EAGLES SHADOW und DRUNKEN MASTER kämpft er sich lediglich durch etwas Filmmaterial. Die Szenen aus FANTASY MISSION FORCE sind unfreiwillig komisch und die Kämpfe aus ISLAND ON FIRE geben seinen typischen Comedy-Kung Fu-Stil auch nicht unbedingt wieder! Der Bereitsteller dieser Szenen - kein Geringerer als Jimmy Wang Yu - kommt kurz zu Wort und erzählt von seiner Karriere als Schwimmmeister und von seinen ersten Gehversuchen als Darsteller, Drehbuchautor und Regisseur.
Dass Bruce Lee und Jackie Chan relativ wenig „stattfinden“, finde ich nicht sonderlich schlimm! „Der König und sein Hofnarr“ bekamen schon diverse eigene, abendfüllende Dokus spendiert und in CINEMA OF VENGEANCE gelangen stattdessen endlich mal die vielen anderen Eastern Heroes ins Rampenlicht!
Kung Fu-Speckmann Samo Hung ist gerade an einem Set - vermutlich MOON WARRIORS - und steht Rede und Antwort. Er erzählt von seiner harten Ausbildung an der „Peking Opera“ und zeigt Ausschnitte aus seinen hierzulande sträflich vernachlässigten Klassikern PEDICAB DRIVER und SPOOKY ENCOUNTERS. Sowieso und überhaupt fand ich Samo Hung schon immer lustiger als Jackie Chan und mich freut es, dass er hier endlich mal aus dem Schatten seines „kleinen Bruders“ heraustreten kann!
Weiter geht es mit dem Ninja-Film: US-Produzent Menahem Golan gibt offen und ehrlich zu, wie wenig Ahnung er eigentlich von der Thematik hatte, während Steve James aus dem AMERICAN NINJA-Nähkästchen plaudert. Dass speziell der amerikanische Ninja-Film mehr auf Unterhaltung als auf Authentizität getrimmt war, wird in mehreren kurzen Filmchen deutlich: Ninja-Krieger, welche auf spinnenartigen Booten über das Wasser fliegen und sich wie Maulwürfe rasend schnell unter der Erde fortbewegen… wie sagt Steve James treffend dazu: „Especially kids love that stuff!“…
Beim Kickboxer-Film kommen u.a. Don „The Dragon“ Wilson und Joe Lewis zu Wort. Sie machen selbstironisch auf die kleinen Unterschiede zwischen reellem Kampf und Kickbox-Streifen aufmerksam. Dazu gibt es u.a. Ausschnitte aus Robert Tais blutigem Cagefight-Klassiker BLOODFIGHT 2 zu sehen…
Witzigerweise verliert man keine einzige Silbe über die Herren Joseph Lai, Godfrey Ho und Philip Ko! Diese Herren haben dem Ninja- und Kickbox-Film ihren völlig eigenen Stempel aufgedrückt! Ob dieser nun positiv oder negativ war… diese Entscheidung bleibt jedem selbst überlassen! Ist Philip Ko eigentlich immer noch mit Yukari Oshima verheiratet? Leben all diese Personen überhaupt noch? Fragen dieser Art werden bei CINEMA OF VENGEANCE leider nicht beantwortet… ;)
Durch das Kickboxer-Subgenre wurde im Eastern erstmals verstärkt auf amerikanische und europäische Darsteller zurückgegriffen. So kommen u.a. Cynthia Rothrock und Gary Daniels (am Set von CITY HUNTER) zu Wort. Sie berichten über die Probleme von ausländischen Darstellern in Hong Kong und über die unterschiedlichen Arbeitsweisen von amerikanischen und asiatischen Produktionsfirmen…
Sehr interessant ist z.B. der „Wert“ eines Darstellers: Während in Amerika beim kleinsten Problem schon gedoubelt wird, müssen die Leute in Hong Kong auch bei den gefährlichen Stunts ihren Hals riskieren…
Der nächste Beitrag ist den Battling Babes gewidmet: Neben zuvor schon erwähnter Yukari Oshima - bei uns auch als Cynthia Luster bekannt - kommt lediglich Sophia Crawford zu Wort. Das Fehlen von Lethal Ladies wie Cynthia Khan, Michelle Yeoh und Moon Lee fällt sehr negativ auf und auch die hier gezeigten Ausschnitte sind nicht das Gelbe vom Ei!
Hong Kong ist sehr dicht besiedelt und hat stark unter dem organisierten Verbrechen zu leiden. Mit diesem Hintergrund wurden Anfang der 90er Jahre Gangsterfilme populär. Dieses Subgenre wird durch Ausschnitte des Chow Yun-Fat-Streifens TRAGIC HERO eher unwürdig vertreten und ist höchstens durch den Besuch am Set von HARD TARGET interessant, bei welchem auch Heroic Bloodshed-Gott John Woo und Schauspieler Lance Henriksen zu Wort kommen. Letzterer predigt einmal mehr, wie sehr John Woos Inszenierungsstil einem „Gewaltballett“ gleicht - wo er Recht hat, hat er Recht!
Sehr interessant sehen auch die Ausschnitte der Heroic Bloodshed-Werke MY HEART IS THAT ETERNAL ROSE und NOBODY’S HERO aus…
Im letzten und aktuellsten Abschnitt geht es dann passenderweise um Modern Day Action. Dies ist eins meiner persönlichen Lieblings-Subgenres und mit Star Donnie Yen und Regisseur Yuen Wo Ping kommen zwei meiner absoluten Eastern Heroes zu Wort! Auch die gezeigten Ausschnitte sind vom Feinsten: Aus RED FORCE sehen wir Teile des legendären Kampfes „Donnie Yen vs Michael Woods“ und aus TIGER CAGE II gibt es Shoot Outs und Teile des Schwertkampfes „Donnie Yen vs John Salvitti“ zu sehen!
Mit diesem furiosen Schwertkampf endet CINEMA OF VENGEANCE und kommt zu der Prognose, der Eastern würde sich in den nächsten Jahren wieder stark in Richtung des Schwertkampf-Subgenres entwickeln. Damals war 1993 und wenn man an die späteren Erfolge von Chow Yun-Fats TIGER & DRAGON und Jet Lis HERO denkt, dann hat Toby Russell mit dieser Prognose gar nicht so falsch gelegen! Bei HERO fällt mir ein, dass auch Jet Li nicht ein einziges Mal erwähnt wurde…
Ob als interessante und informative Zeitreise durch die Eastern-Geschichte, als reine Action-Unterhaltung oder als Kaufanregung für weitere Eastern-Klassiker zur Ergänzung der eigenen Sammlung… insgesamt gesehen ist CINEMA OF VENGEANCE trotz der leichten Vernachlässigung einiger Stars und Subgenres ein Muss für Eastern-Fans!
Thematisch ähnliche Werke wie Golden Harvests „Werbeveranstaltung“ THE BEST OF THE MARTIAL ARTS FILMS, die TV-Doku KUNG FU - KÖNIGIN DES KAMPFSPORTS oder Jackie Chans Doku-Doppel MY STORY und MY STUNTS seien dem Eastern-Fan hiermit ebenfalls ans Herz gelegt!
Unsere geliebten Eastern Heroes… mögen sie ewig Rache nehmen!
7/10 Punkten, diBu!