„Wilde Kirschblüte“ ist das Erstlingswerk
der renommierten japanischen Fotografin NINAGAWA Mika und ein wunderschön
bebildertes Liebesdrama, welches im berühmten Vergnügungsviertel des alten
Tokio angesiedelt ist.
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Zum tieferen Verständnis der Thematik des
Films erlaube man dem Rezensenten eine einführende Bemerkung über das
Freudenviertel.
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Yoshiwara – ein Name der ursprünglich nur
„Binsenfeld“ bedeutete, bezeichnet das legendäre Vergnügungsviertel von Tokio
in der Edo-Periode. Es handelt sich dabei wohl um das einzige Bordellviertel
neuerer Zeit, welches Kulturgeschichte geschrieben hat.
Entstanden aufgrund der
Kontrollbedürfnisse der edozeitlichen Shogune entwickelte sich das seit Mitte
des 17. Jahrhunderts isoliert im Nordosten der Hauptstadt unweit des
Asakusa-Tempels gelegene Areal zu einem Motor der bürgerlichen Stadtkultur.
Politisch rechtlos, jedoch ökonomisch potent entwickelte die aus reichen
Kaufleuten und Handwerkern bestehende bürgerliche Schicht der sog. Chonin viele
der Künste, für die Japan heute noch bekannt ist.
Die Vergnügungs- und
Prunksucht fokussierte sich im Yoshiwara, wo für teures Geld neben der
käuflichen Liebe alle denkbaren sinnlichen Genüsse zu haben waren. Im nur über
einen schmalen Damm westlich der Schiffsanlegestelle am Sumidagawa-Fluss durch
ein großes Tor erreichbaren Yoshiwara galten eigene Regeln, welche die
außerhalb gültigen strengen Klassenunterschiede außer Kraft setzten.
Bemerkenswert war die ausgeprägte Hierarchie der als Kurtisanen bezeichneten
Prostituierten, dessen ranghöchste Vertreter, die sog. Oiran, wie Prinzessinnen
am Hof residierten und dessen Dienste ein Vermögen kosteten. Die exquisiten
Kurtisanen wurden wie heutige Popstars bejubelt und zahlreiche der heute noch
bewunderten japanischen Holzschnitte (Ukiyo-e) haben Szenen aus dem
Vergnügungsviertel oder Abbildungen der Oiran zum Thema.
Der Besuch des
Yoshiwara galt auch für hochgestellte Persönlichkeiten keinesfalls als
anstößig. Die westliche Ansicht, käufliche Liebe als etwas Schändliches und
Schmutziges zu betrachten, war dem traditionellen Japan vollkommen fremd. Die
Kurtisanen durften Yoshiwara normalerweise nicht verlassen und lebten hier
viele Jahre wie in einem goldenen Käfig.
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(Vorsicht Spoiler!)
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Der Film beginnt mit Shamisen-Musik und
einem kurzen Blick auf die Hauptdarstellerin des Films (TSUCHIYA Anna) im
Bordell. In einer Rückblende sieht man die Protagonistin dann als kleines
Mädchen widerwillig hinter einer Frau herlaufen, die sie an ein Freudenhaus des
Viertels verkauft.
Ein damals übliches Verfahren war, dass etwa Mädchen armer
Eltern gegen Geldzahlungen an die Bordelle überstellt wurden. Die nun als
Kamuro bezeichneten etwa 7- bis 8-jährigen Kinder kamen unter die Obhut
erfahrener Kurtisanen, mussten bestimmte Künste (Musik, Spiele etc.) lernen und
erledigten Botengänge. Die Kleine, zwischenzeitlich „Kiyoha“ genannt, wird nun
der Oiran des Hauses, der Kurtisane Takao vorgestellt, welche sich hochnäsig
über deren schmutziges Erscheinungsbild auslässt.
Kiyoha landet erst mal im Bad
und ist von den unzähligen Frauen, welche sie umgeben, wenig begeistert. Die
aufsässige Kleine legt sich auch mit Seiji an, dem Gehilfen des
Bordellbesitzers. Seiji, selbst Spross einer Hure, versucht Kiyohas
Fluchtgedanken auszutreiben, verspricht ihr aber, dass sie das Bordellviertel
verlassen wird, wenn der alte halbtote Kirschbaum am Shinto-Schrein des
Freudenviertels einmal blühen sollte.
Die heranwachsende Kiyoha streitet auch
mit der Oiran, die allerdings ihr Potential erkennt und ihr einen kunstvollen
Haarpfeil schenkt, welchen sie anlegen soll, wenn sie ihren ersten Kunden hat.
Dabei weist sie Kiyoha zurecht, dass der „der mehr besitzt auch mehr gehasst
wird“. Eine Erfahrung, welche Takao im alltäglichen Konkurrenzkampf mit den
anderen Kurtisanen nur zu gut kennt.
In der nächsten Einstellung ist Kiyoha
herangewachsen und wird durch eine peinliche genitale Untersuchung vom
Bordellbesitzer auf ihr „erstes Mal“ vorbereitet. Dabei trifft sie auf einen
älteren Stammkunden des Hauses, welcher sie zunächst für ihre Unerfahrenheit
verspottet, dann aber ihre Schlagfertigkeit und ihr Selbstbewusstsein
bewundert. Kiyoha wird in der Folgezeit bei den Freiern so beliebt, dass bei
den anderen Kurtisanen und der Oiran Neidgefühle und Spannungen aufkommen.
Die
Situation eskaliert, als Kiyoha wegen eines Mannes, in den sie sich verliebt
hat, wichtige Stammkunden verprellt. Zur Strafe wird sie vom
Bordellbesitzerehepaar schwer verprügelt und gequält. Später stellt sich
heraus, dass der Liebhaber das in ihn gesetzte Vertrauen gar nicht wert war und
Kiyoha fügt sich den Worten Seijis, außerhalb des Bordells keine
Überlebenschance zu haben.
Auch die Oiran Takao hat Schwierigkeiten, ihr Leben
im goldenen Käfig zu verkraften. Eines Tages geht sie in einem Anfall der
Verzweiflung mit einem Rasiermesser auf ihren eigenen Geliebten los, wird aber
im Handgemenge selbst an der Halsschlagader verletzt und stirbt in einem
Blutschwall. Der Bordellbesitzer muss nun schleunigst für Ersatz sorgen und
bittet Kiyoha, den Platz der Ranghöchsten einzunehmen.
Nach anfänglichem Zögern
geht Kiyoha auf das Angebot ein, wird in einer glamourösen Zeremonie auf der
Prachtstraße des Yoshiwara inthronisiert und heißt nun Higurashi. Die neue
Oiran hat einen eigenen Hofstaat mit zahlreichen Kamuro und Zofen und führt
ihre Profession mit großem Selbstbewusstsein aus. Dabei holen sich reiche
Samurai schon einmal eine brüske Klatsche, während Higurashi für die ärmeren
„Loser“ immer ein Herz hat.
Der alte Stammkunde aus ihrer Jugend, inzwischen
ein hochbetagter Mann, stirbt in ihren Armen. Eine engere und fast mütterliche
Beziehung hat die Oiran zur kleinen Shiigemi. Sie schenkt der kecken Kamuro
auch den einst von Takao erhaltenen Haarpfeil, welchen Shiigemi bereits am nächsten
Tag stolz trägt. Zum Ende des Films bahnt sich eine dramatische Wende an, als
die inzwischen schwangere Higurashi von einem extrem wohlhabenden Samurai, der
kurzerhand das ganze Freudenviertel bucht, freigekauft und zur Ehefrau gemacht
werden soll. Die Oiran ist davon ebenso wenig begeistert wie Seiji, der
offensichtlich mehr für Higurashi empfindet, als er bisher zugab. Hinzu kommt,
dass Seiji vom kinderlosen Bordellbesitzerehepaar als Nachfolger auserkoren
wurde und mit der Nichte des Besitzers verheiratet werden soll.
Nach einer
Fehlgeburt Higurashis treffen sich Seiji und Higurashi wie so oft am alten
Kirschbaum. Das schwarze knorrige Geäst trägt eine einzige Kirschblüte. Der
alte Schwur vom Beginn des Films geht in Erfüllung ............
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Der ureigene japanische Mythos Yoshiwara
wurde bisher nur selten filmisch umgesetzt. Die schlechten Erfahrungen mit
Filmen asiatischer Thematik, welche von westlichen Regisseuren inszeniert
wurden, lassen dies auch eher als Glücksfall erscheinen.
Der jungen Japanerin
NINAGAWA Mika ist es nun vorbehalten, erstmals einen modernen Film über das
legendäre Freudenviertel zu präsentieren. Ihr ist dabei ein ästhetisches
Feuerwerk ersten Ranges gelungen. Die Bildsprache der „Wilden Kirschblüte“ ist
ganz durch warme Farbtöne geprägt, von der ersten bis zur letzten Minute opulent
und in manchen Einstellungen überwältigend. Beispielhaft sei der Blick über die
laternengeschmückte Prachtstraße des Yoshiwara genannt, als Kiyoha ihren ersten
Gang als Oiran in den traditionellen Hochsandalen (okobo) antritt.
Die
Kostümausstattung der Schauspieler und die Einrichtung der Räume kann ebenfalls
nur als prachtvoll bezeichnet werden. Ein künstlerischer Genuss sind auch die
zahlreichen Nahaufnahmen der ausdrucksstarken Gesichter sämtlicher
Schauspieler. Die erotischen Szenen wirken in keiner Weise vulgär oder bemüht,
sondern fügen sich nahtlos in das ästhetische Gesamtbild ein.
Eine glückliche
Hand bewies Ninagawa auch mit der Auswahl der Hauptdarstellerin. Die
wunderschöne TSUCHIYA Anna fesselt von der ersten Sekunde an und wirkt in ihrer
Mimik sehr glaubwürdig und sympathisch.
Externe Kritiker bemängeln an „Sakuran“
die im Vergleich zur Bildsprache recht dünne Handlung, was vom Rezensenten
nicht bestätigt werden kann. Natürlich entwickelt sich das Geschehen eher
langsam und über das Leben außerhalb des Bordells erfährt man nichts, jedoch
ist dies auch nicht Ziel des Films. Der Regisseurin gelingt es dagegen, die
psychologischen Aspekte der Gefangenschaft im Yoshiwara und die damit
verbundenen Nöte und Konflikte der Frauen eindrucksvoll darzustellen.
Die
hässlichen Seiten des Edelbordells wie Prügelstrafen und erzwungene
Abtreibungen werden nicht verschwiegen, die unterschiedlichen Charaktere und
Motivationen der Freier werden herausgestellt. Dies geschieht aber anders als
in westlichen Filmen ähnlicher Thematik ohne jeden erhobenen moralischen
Zeigefinger. Man merkt, dass Ninagawa-San als japanischer Frau die Krankheit
des angelsächsischen Sexualpessimismus und der moralischen Heuchelei fremd ist.
Sie stellt die Frauen mit großer Würde und selbstbewusst dar, ohne aber die
Männer zu verteufeln. Der Film transportiert damit eine Art positiven,
„mütterlichen“ Feminismus. Man merkt den Figuren auch an, dass ihre Schöpferin
jede einzelne von ihnen ohne Kitsch, aber mit Herzblut inszeniert und kann sich
auf die oftmals anrührenden Szenen ohne Unbehagen einlassen. Auch humorvolle
Partien fehlen dem Film nicht, etwa wenn jemand bei der Verabschiedung des
verstorbenen alten Stammgasts begeistert anmerkt: „Er war der größte Kenner des
Yoshiwara“, oder wenn sich Kiyoha über die geifernden Freier am Gitterfenster
amüsiert.
Die schauspielerischen Leistungen sind exzellent, wobei man auch die
sehr guten Kinderdarsteller hervorheben muss. Die aus Pop-, Hardrock-, Klassik-
und Schlagerstücken zusammengesetzte Filmmusik der Musikerin SHIINA Ringo
empfand der Rezensent als deutlich besser und passender als in manchen externen
Kritiken diskutiert. Lediglich zum Ende des Films hätte eine andere
Musikauswahl dramaturgisch sicher besser gepasst als das Gebotene.
Abschließend
bleibt zu sagen, dass der Film objektiv 9 von 10 Punkten verdient hat.
Berücksichtigt man noch, dass hier mit einem Budget von nur 3 Millionen Euro
ein so gutes Regiedebüt abgeliefert wurde und ist man japanischen Filmen
gegenüber wie der Rezensent ohnehin voreingenommen, bleibt nur noch die
Höchstnote: 10 von 10 Punkten.
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