Zwischen Anfang und Mitte der 60er Jahre drehte Roger Corman - gewöhnlich mit Vincent Price als Hauptdarsteller - für die AIP einen Zyklus an Edgar Allan Poe Verfilmungen, der streng genommen ganze 7 Filme umfasst: "House of Usher" (1960), "The Pit and the Pendulum" (1961), "The Premature Burial" (1962), "Tales of Terror" (1962), "The Raven" (1963), "The Masque of the Red Death" (1964) und "The Tomb of Ligeia" (1965).
Da diese Filme trotz anfänglicher Bedenken der Produzenten ein riesiger Erfolg - vor allem auch in finanzieller Hinsicht - waren, entschied man sich bei AIP (und nicht nur dort), auch völlig andere Filme (besonders, wenn sie Vincent Price aufweisen konnten) unter dem Gütesiegel E. A. Poe zu vermarkten - nicht selten zum Unwillen der jeweiligen Regisseure: so wurde aus Michael Reeves Meisterwerk "Witchfinder General" (1968) schnell "The Conqueror Worm" nach dem gleichnamigen Gedicht Poes und ein wüster Grusel-Krimi von Gordon Hessler wurde schnell "The Oblong Box" (1970) betitelt. Peinlich genau passte man auch die Filmplakate an den charakteristischen Stil der Plakate von Cormans Poe-Verfilmungen an und beutete eine lukrative Schiene somit noch hemmungslos aus.
Auch Roger Corman musste diese Erfahrung machen (die nicht seine erste unangenehme Erfahrung bei AIP war, gleichwohl er trotzdem recht gerne unter Arkoff & Nicholson arbeitete) als er plante, eine der vier längeren Erzählungen Howard Phillips Lovecraft zu verfilmen. Heutzutage wäre der Name Lovecraft sicherlich zugkräftig genug, ist er doch in den USA und vor allem in Frankreich postum zum begnadeten Kultautor avanciert und auch in zig anderen Ländern als Klassiker der Horrorliteratur anerkannt. Damals verhielt sich das allerdings noch anders und so musste Corman den Film als "The Haunted Palace" und damit als unechten achten Breitrag zu seinem Zyklus realisieren und die eigentliche Geschichte mit Auszügen aus Poes gleichnamigen Gedicht ein- und ausleiten, indem er Price auf der Tonspur die entsprechenden Passagen zitieren ließ.
Damit sind die Bezüge zu Poe bereits wieder an ihrem Ende angelangt, der Rest ist reinster Lovecraft und zwar "The Case of Charles Dexter Ward" aka "The Madness Out of Time". Demzufolge fällt das Ganze deutlich düsterer und etwas komplexer bzw. dramaturgisch konventioneller aus als die auf den abgeänderten Geschichten Poes - die sich durch eine minimalistische Geradlinigkeit auszeichnen - basierenden Filme aus dem Poe-Zyklus, die entweder - wie im Fall von "House of Usher" - erfrischend ruhig und abstrakt wirken indem sie der Vorlage auf weiten Strecken treu bleiben und den kurzen Stoff auf Spielfilmlänge dehnen, oder aber - wie im Fall von "Premature Burial" - etwas arg konstruiert und zusammengeklaubt, indem sie die knappe Vorlage zu einem Handlungsfilm ausweiten und mit neuerungen anreichern.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass Cormans Griff zum Charles Dexter Ward eine gute Wahl war - von allen längeren Lovecraft-Erzählungen ist sie nämlich diejenige, die der konventionellen Filmdramaturgie der frühen 60er Jahre noch am nächsten kommt. Bereits eine etwas abstraktere Geschichte wie "The Colour out of Space" wäre für ein auf Kommerz ausgerichtetes Studio zu experimentell gewesen, um es ohne größere strukturelle Änderungen zu verfilmen - und so musste etwa der filmische Annäherungsversuch "Die, Monster, Die!" (1965) dann auch um handfestere Bedrohungen durch mutierte Monstren, um ein junges, liebendes Heldenpaar und die selbstzerstörerischen Experimente eines gealterten Boris Karloff angereichert werden.
Von solcherlei Problemen war Corman hier nicht betroffen, der Stoff [Achtung: Spoiler] konnte - abgesehen von den üblichen, für normale Laufzeiten unumgänglichen Straffungen und Raffungen des Stoffes - verhältnismäßig getreu übernommen werden: Ausgespart wurde die Rahmenhandlung der Vorlage, in welcher Dr. Willet die seltsamen Veränderungen des Charles Dexter Ward untersucht. Auch die Chronologie der Vorlage wurde in Cormans Version geglättet - soll heißen: Die Sprünge zwischen der Gegenwart im weiteren Sinne und der Vergangenheit, während der es beständig um Wards Vorfahren Joseph Curwen geht, wurden hier in einen kürzeren Prolog und einen deutlich längeren Hauptteil umgewandelt, womit zeitliche Sprünge konsequent vermieden werden. (Im Gegensatz zu den Veränderungen einiger Poe-Verfilmungen und den Veränderungen im erwähnten "Die, Monster, Die!" handelt es sich dabei jedoch um weitestgehend harmlose Eingriffe.)
Corman beginnt den Film während der Credits mit den Aufnahmen einer Spinne, die nach und nach ihr Netz spinnt, in dem sich zu guter letzt ein Schmetterling verfängt. Ein sehr sinnbildlicher Vorspann, der auch stimmungsmäßig gut zum folgendem Geschehen passt: In Arkham geht die Angst um, die Ursache bildet der sinistre Joseph Curwen (Vincent Price), den die Bevölkerung zurecht als Hexenmeister fürchtet - schließlich studiert er eifrig das Necronomicon. In stürmischer Gewitternacht rotten sich die Einwohner zusammen, als Curwen eine unter seinem Bann stehende junge Frau zu sich holt - um an ihr wie schon zuvor an vielen anderen unheilige Experimente mit künstlicher Befruchtung durchzuführung - und überwältigen, fesseln und verbrennen ihn. Doch vor seinem Tod schwört Curwen grausame Rache an ihnen und ihren Kindeskindern.
110 Jahre später kommt Charles Dexter Ward (Vincent Price) mit seiner Gemahlin Ann (Debra Paget) nach Arkham, wo er sein Erbe - Curwens Palast - antreten will. Als er am nächstbesten Wirtshaus nach dem Weg fragen will, reagieren die Nachfahren der Henker Curwens (allesamt von den gleichen Darstellern gespielt) entsetzt: offenbar glaubt man, die Zeit von Curwens Rache sei nun gekommen, zumal es in den letzten Jahren immer wieder zu erschreckenden Missgeburten kam, was den Fluch Curwens immer im kollektiven Gedächtnis aufrecht erhielt. Trotz der Ablehnung durch die Dorfbewohner sucht Ward sein neues Anwesen auf, und während Ann sich unwohl fühlt, lässt er sich vom Hausangestellten Simon Orne (Lon Chaney jr.) zunächst zum Bleiben überreden.
Schnell zeigt sich, dass Ward immer wieder in den Bann eines lebensgroßen Gemäldes verfällt, das Joseph Curwen zeigt. Und immer öfter scheint Ward immer weniger er selbst zu sein; und jedesmal wenn er Ann die Abreise verspricht, verfällt er wieder der Beeinflussung durch seinen Ahnen.
Und während Orne, der schon vor 110 (!) Jahren für Curwen gearbeitet hat, mit aller Anstrengung versucht, Wards Übernahme durch Curwen einzuleiten, knüpft Ann engere Kontakte zu Dr. Willet, der unter allen Einwohnern noch am bodenständigsten zu sein scheint. Und tatsächlich verfällt Ward bald vollkommen seinem Ahnen, erweckt Curwens damalige Geliebte zu neuem Leben und will an Ann dessen Experimente fortsetzen, bis in letzter Sekunde wie schon vor 110 Jahren ein Mob das Anwesen stürmt, Ann befreit und Curwens Gemälde verbrennt, woraufhin auch Ward wieder zur Besinnung kommt - oder auch nicht, wie eine (für das Erscheinungsjahr ungewöhnliche) Schock-Pointe nahelegt.
Kaum eine Lovecraft-Verfilmung hat es bisher geschafft, die Stimmung der Vorlage so gekonnt einzufangen wie dieses Corman-Vehikel: neben der Lovecraft-typischen Geschichte (die man auch in "The Thing on the Doorstep" in abgewandelter Form wiederfindet) erinnern auch vereinzelte Details an sein Werk - etwa die enorme Fülle an missgestalteten Dorfbewohnern, das Necronomicon oder die diffuse Kreatur, die Curwen unter seinen Kellergewölben hält. Cormans ganzer Inszenierungsstil bleibt zudem ungewohnt ernsthaft und düster: Schwarz, Dunkelgrau und Dunkelblau beherrschen die weitesten Teile des Films, hell wird das Bild an keiner Stelle. Ted Coodley verschafft den negativen Charakteren des Films aschfahle Gesichter und die missgestalteten Einwohner werden in detailfreudiger Weise präsentiert. Auch der Härtgrad wird ziemlich angezogen und wird in Cormans Œuvre nur noch in "Frankenstein Unbound" (1990) übertroffen: So zieht der wiedererwachte Curwen los und rächt sich an den Nachfahren seiner Peiniger, indem er sie bei lebendigem Leib verbrennt oder von ihren verunstalteten, wahnsinnigen Angehörigen ermorden lässt und auch die Thematisierung sexueller Gewalt (Curwen vergeht sich als Ward an Ann; er experimentiert mit künstlicher Befruchtung) ist ungewöhnlich direkt. Zudem legt Price hier in seiner Rolle Curwens eine ernsthafte, sadistische Bösartigkeit an den Tag, die er nur in "Witchfinder General" noch deutlich übertroffen hat.
Überhaupt bietet Price in seiner Doppelrolle seine ganzen schauspielerischen Fähigkeiten auf und schafft es, beiden Rollen gleichermaßen sicher Leben einzuhauchen. Etwas schwerer tut sich da (der mittlerweile längst alkoholabhängige und depressive) Lon Chaney jr., der in der Rolle des uralten Dieners allerdings auch kaum Gelegenheit geliefert bekommt, um große darstellerische Bravourstücke abzuliefern. Trotzdem ist es für den Genreliebhaber erfreulich, ihn zu einer Zeit, in der er zumeist in qualitativ nahezu wertlosen, uninspirierten Billigproduktionen auftrat, nochmal in einem hochwertigen Film zu sehen. Filmkenner dürfen sich auch über den letzten Auftritt von Debra Paget freuen, die Corman zuvor schon in "Tales of Terror" besetzte, und die sich beispielsweise mit "Der Tiger von Eschnapur" (1959), "Das indische Grabmal" (1959) oder "The Ten Commandments" (1956) einen Namen erworben hatte.
Herausragend ist die grandiose, aufwühlende Filmmusik von Ronald Stein, der mehrfach die Soundtracks für Corman komponiert hatte, hiermit aber wohl seinen qualitativen Höhepunkt erreicht hat. Floyd Crosby, der bei fast allen Poe-Filmen Cormans für die Kameraführung verantwortlich war, gelingen hier einige schleichende, komplexe Fahrten, die äußerst sauber und kunstvoll wirken. Auch die Einstellungen sind so geschickt gewählt, dass eine ausgesprochen klaustrophobische Enge erzielt wird. Der Schnitt fällt dank sinnvoller Einbindung diverser Detailaufnahmen ebenfalls positiv auf, den größten Verdienst - was die visuellen Aspekte betrifft - hat allerdings Daniel Haller erbracht.
Haller, der mit "Die, Monster, Die!" und "The Dunwich Horror" (1970) zwei recht unterschiedliche aber dennoch gleich schwache Lovecraft-Verfilmungen inszeniert hat, war als Art Director bei vier der Poe-Verfilmungen und etwa bei "The Terror" (1963) und "Comedy of Terrors" (1964) tätig und hat damit viel zum Look der Gothic Horrorfilme der AIP beigetragen und ist hier ebenfalls auf der Höhe seines Könnens.
Regelmäßig wird auch der Einsatz der Architektur in "The Haunted Palace" erwähnt: Es ist offensichtlich, dass Curwen gerade in den untersten Räumen des Palastes immer mehr Macht über Ward gewinnt, während im alleruntersten Gewölbe eine dämonische Kreatur gefangengehalten wird. Eine Parallele zwischen den vereinzelten Etagen und Freuds Konzept von "Ich", "Über-Ich" und "Es" wird relativ ausführlich bei Norbert Stresau (Der Horrorfilm. Von Dracula zum Zombieschocker), Robert Zion (Die Kontinuität des Bösen. Vincent Price in seinen Filmen) und Eva-Maria Warth (The Haunted Palace. Edgar Allan Poe und der amerikanische Horrorfilm) besprochen.
Dank der ungewöhnlich verstörenden, düsteren Atmosphäre, hoher Kunstfertigkeit und der für Fans immer bedeutungsvollen Aura zweier Horrorstars ein Klassiker des Genres, der bei Kanonisierungsversuchen nur allzuoft unterschlagen wird. Insgesamt einer der besten Filme aller Beteiligten, daran ändern auch kleinere Unstimmigkeiten in der Logik nicht viel.
8/10