Francois Truffaut ist ohne Zweifel einer der größten Regisseure aller Zeiten. Zusammen mit Jean-Luc Godard und Jacques Rivette gehörte er zu den führenden Köpfen der Nouvelle Vague, einer Bewegung, die Ende der 50er Jahre in Frankreich aufkam und sich gegen eingefahrene Muster im Film und eine allgemeine Kommerzialisierung wand. Die Regisseure dieser Bewegung, die größtenteils auch als Filmkritiker Erfahrungen sammeln konnten, vertraten eine "politique des auteurs", was die radikale Einbeziehung der Subjektivität des Filmemachers implizierte. Truffaut schuf nach seiner Zeit als Kritiker in den 50ern wichtige Werke wie "Les 400 coups", "Jules et Jim" oder die Literaturverfilmung von Ray Bradburys "Fahrenheit 451".
"L´Histoire D´Adhèle H. " erschien im Jahre 1975 und gehört meines Erachtens zu den schwächeren Filmen Tuffauts.
Adhèle Hugo, die jüngste Tochter des Schriftstellers, Dichters und Exilanten Victor Hugo lernt auf der Insel Guernsey (auf der die Familie nach der Exilierung des Vaters leben muss) den jungen britischen Offizier Leutnant Pinson kennen und verliebt sich in ihn. Als er 1863 nach Halifax in Kanada versetzt wird, folgt Adhèle ihm über den großen Teich. In der Folgezeit leitet sie alles Denkbare in die Wege, um die Liebe des jungen Mannes zu gewinnen, der jedoch immer reservierter wird.
Die Abneigung ihres Geliebten und die Negierung der Hochzeitswünsche führen bei Adhèle zur Verschlechterung ihres Gesundheitszustands und einer aufkommenden Depression. Fortan sieht der Zuschauer die junge Dame in einer Abwärtsspirale des Wahnsinns gefangen.
Eine der wesentlichen Stützen des Films ist die großartige Schauspielerin Isabelle Adjani, die 1975 erst 19 Jahre alt war. Möglicherweise prägte ihre Leistung als Adhèle Hugo auch ihr zukünftiges Rollenmuster. Anfang der 80er Jahre musste sie in Andrzej Zulawskis Film „Possession“ (1981) und in Jean Beckers „L´ Eté meurtrier“ (1983) erneut ihr Können unter Beweis stellen, um Wahnsinn, Paranoia und Angstzustände zum Ausdruck zu bringen. Für so eine junge Schauspielerin wirkte sie auf mich erstaunlich reif. Die restlichen Schauspieler sind mir nicht in Erinnerung geblieben, da sich der Film völlig auf die Figur der Adhèle Hugo konzentrieren möchte. Folglich bekommt der Zuschauer den berühmten Vater kein einziges Mal zu sehen.
Die authentische Geschichte von Adhèle Hugo kann man als tragisch und bedauernswert betrachtet. Es lohnt sich jedoch meines Erachtens nicht ein Film darüber zu realisieren, da mir die grundlegende Fabel „Boy meets Girl“ zu simpel erscheint. Sicherlich radikalisiert das Schauspiel Adjanis diese Konstruktion etwas, doch es reicht keinesfalls aus den Film „sehenswert“ zu machen. Es findet keine Innovation statt und Truffauts Regietalent spiegelt sich in den 90 Minuten Laufzeit nicht wieder. Man bekommt „nur“ den seelischen Zerfall einer Frau vorgesetzt, der zum Schluss noch in die Unglaubwürdigkeit abdriftet. Die Liebeskrankheit Adhèles verliert an Überzeugungkraft.
Wer noch keinen Truffaut gesehen hat, sollte nicht mit „Adhèle H.“ anfangen. Der zugänglichste Film des Franzosen „La nuit américaine“ stellt einen besseren Einstieg dar und ist auch wesentlich humorvoller. Für diejenige, die das Werk Truffauts schon etwas näher kennen, oder große Isabelle Adjani Fans sind, ist der Film wenigstens halbwegs empfehlenswert.
Großzügige Bewertung 6/10