Lasse Hallströms neuester Film macht es einem nicht leicht mit der Rezeption, obwohl er seinen bewährten Stil beibehält: emotionale Figuren, die die Balance zwischen Drama und Tragik mit komödiantischen Inserts mischen, wunderschön eingefangene Bilder der Natur.
Trotzdem ist "Schiffsmeldungen" von der US-Kritik versenkt worden und fand auch im Kino kein großes Echo, was meistens daran lag, daß mit der Hauptfigur des Pulitzerpreis gekrönten gleichnamigen Romans hier sehr zuschauerfreundlich umgegangen wurde, da die Wahl Kevin Spaceys als Darsteller die Figur des Quoyle wesentlich zugänglicher und freundlicher macht, als sie im Buch vorgegeben ist.
Ich muß jedoch ohne Buchkenntnis zur Tat schreiten und bewerte das mal rein filmisch.
Erstmal: es ist ein schwer zugänglicher Film. Hier wird nicht gewohnten Sehschemata entsprochen, sondern die Geschichte einer Selbstfindung im weitesten Sinn abgebildet.
Im Zentrum steht die Figur des emotional zurückgebliebenen Quoyle, komplett mit düsterer Kindheit, dessen verzweifelte Liebe zu einer "wachen" Frau verhindert, daß er sich emotional entwickelt. Da wird in den ersten zwanzig Minuten dramaturgisch stark gesprungen, wenn es aus der Kindheit direkt ins Erwachsensein geht (allerdings in einer wunderbaren Tricksequenz, wenn der scheinbar ertrinkende Junge im Wasser in Zeitraffer altert). Spacey agiert mit erschlaffter Sparmimik einen zurückgezogenen, unauffälligen Menschen, ein Nichts, daß bei der Begegnung mit der energischen Petal (Cate Blanchett als Höllenfurie vollkommen ungewöhnlich und GUT) zum ersten Mal Emotionen äußert. Sie heiraten, bekommen die Tochter Bonnie und dann hat Petal auch die Schnauze voll, bis sie abhaut und per Autounfall ertrinkt.
Die Schnelligkeit und Intensität der ersten Minuten findet der Film danach nicht wieder, denn die gewisse Lethargie Spaceys überträgt sich von nun an auf den ganzen Film. Das muß man aushalten können, die Entdeckung der Langsamkeit.
Dafür richtet sich der Film von da an auf die Rückkehr der Quoyles nach Neufundland aus, den Herkunftsort der Sippe. Hallström breitet nun nicht nur das rauhe Naturpanorama, sondern auch ein Panoptikum an seltsamen Typen vor dem Zuschauer aus, daß sich gewaschen hat.
In ruhigen Bildern geht die Entwicklung unspektakulär voran: der Einzug in das verfallene Haus, die wenig ruhmreiche Familiengeschichte, ein Hauch von Magie und die Gabe des zweiten Gesichts, Quoyles Job bei der Zeitung, sein ungewöhnliches Talent und sein Erfolg, das zeitlupenhafte Freischwimmen aus der emotionalen Erstarrung, die Überwindung seiner Angst vor dem Wasser, die Annäherung an eine neue Liebe.
Wie gesagt, Dramatik ist vorhanden, Geschwindigkeit nicht. Hallström bietet Bilder, keine Events; erzählt eine Geschichte, haut sie nicht um die Ohren. Dabei entpuppt sich der karge, verschrobene Küstenort nicht als verschlafen, sondern voller Ereignisse und Geheimnisse und niemand in diesem Film ist das, was er zu sein scheint, sondern hat immer noch eine andere Seite, verborgen hinter Selbstschutz, Lebenslügen und Vorsicht.
Das Problem ist die mangelnde Fokussierung. Spaceys Quoyle ist kaum der Charakter, der beim Zuschauer klickt. Zu langsam, zu behäbig, zu wenig Energie. Da fällt die Sympathie schon mal schwer. Erst langsam entdeckt man, daß der Verlierer gar keiner ist, sondern bloß brachliegt. Sein Prozeß der Emotionalisierung und Heilung ist jedoch kaum der Stoff, in den man sich hineinfühlen kann. Blanchetts Petal ist wunderbar als Bitch bei ihrem kurzen Auftritt, während Julianne Moores Sprödigkeit hier endlich mal zum Vorteil gereicht. In der Redaktion glänzen in schrägen Kleinrollen Rhys Ifans (endlich mal normal), Pete Postlethwaite (knorrig-widerborstig) und Scott Glenn (rauh-autoritär). Judi Dench spielt ebenfalls intensiv-zurückhaltend, allerdings hat sie so ihre Momente, wie in der Szene, in der sie die Asche ihres Bruders in die Latrine kippt, um anschließend drauf zu pinkeln.
Wenn auch der Zugang erschwert wird, zeigt sich doch eine bessere Figurenausnutzung als z.B. bei "Chocolat", der seine Charaktere oft in kaum nachvollziehbare Handlungen verstrickte und das Charakterpotential nie ganz ausschöpfte. Aber sperrig kann trotzdem reichhaltig heißen und "Shipping News" breitet einen enormen Bilderbogen vor dem Zuschauer aus, der sich nicht zu einer stringenten dramatischen Handlung zusammenfassen läßt, sich aber mit den einzelnen Fäden auch nie im Nichts verliert. Skurile und humorvolle Passagen wechseln ab mit emotionalen Szenen und das und die Sympathie für die sehr menschlichen Figuren bieten ein fächerhaftes Drama, daß sehr zu empfehlen ist, wenn man in seinen Sehgewohnheiten ein wenig Spielraum läßt. (7/10)