ACHTUNG: SPOILER! Wer den Film noch nicht kennt, sollte nicht weiterlesen.
Der irische Dorfbursche Redmond Barry träumt während der Regierungszeit George III. im 18.Jahrhundert von Ansehen und Reichtum. Nachdem er einen Widersacher im Duell besiegt hat muss flüchten und lernt so eine ganz neue Welt kennen. Ihn verschlägt es im siebenjährigen Krieg in die englische Armee, von dort kommt er nach Preußen, wo er sich bald als Falschspieler einen Namen macht und so zu beträchtlichem Ruhm kommt. Als er die Countess von Lyndon heiratet, wird er zu Barry Lyndon und ist nun endgültig in den Adelsstand aufgestiegen. Sein Leben ist von Verschwendungssucht, Liebe zu seinem Kind und Hass gegenüber seinem Stiefsohn geprägt. Doch Barrys Hochmut stürzt ihn schon bald in tiefe Unglücke
"Barry Lyndon" zählt heute sicher nicht zu Kubricks bekanntesten Werken, dennoch hat es dieses dreistündige Epos in sich. Wenn gleich zu Beginn Händels "Sarabande" pompös ertönt, ahnt man, das etwas besonderes folgen muss. Und der Meisterregisseur spielt daraufhin alle seine Stärken aus. Die meiste Zeit widmet er der akribischen Schilderung der Personen, vor allem seiner fiktiven Hauptfigur Redmond Barry, den es in die weite Welt verschlägt. Dabei spart Kubrick nicht mit aufwendigsten Kostümen und unglaublicher Detailverliebtheit. Viele Sequenzen drehte er an Originalschauplätzen in Europa, was dem Werk unheimlich viel Tiefe verleiht und es authentisch wirken lässt. Unglaublich wie schnell die Zeit beim zuschauen vergeht, weil man sich in die Lage der Personen so gut hineinversetzen kann.
Während all seiner Abenteuer baut man eine richtige Beziehung zu Barry auf, die von anfänglicher Sympathie bis hin zur späteren Verachtung aufgrund seines Verhaltens gegenüber seinem Stiefsohn reicht. Zum Schluss schlagen die Gefühle dann in pures Mitleid um, als Barry von seinem eigenen Stiefsohn in einem Duell zum Krüppel geschossen wird. Das Finale, auf das die Handlung unweigerlich zusteuert, gehört zu den spannendsten der Filmgeschichte und wurde von Kubrick penibelst in allen Details perfektioniert. Für diese eine Sequenz setzte er sich sieben (!) Wochen lang an den Schneidetisch und zauberte einen Showdown hervor, den man in Sachen Spannung und Dramaturgie nur als perfekt bezeichnen kann.
Auf den ersten Blick erscheint "Barry Lyndon" ein Kubrick-Werk zu sein, das aus der Reihe tanzt, weißt es doch keinerlei sozialkritische Töne auf wie "Uhrwerk Orange", "Full Metal Jacket" oder "Dr. Seltsam". Es wird einfach eine Geschichte mit großer Detailverliebtheit erzählt, die den Zuschauer ergreift. Aber wenn man will, kann man "Barry Lyndon" viel tiefgründiger betrachten, wer sich beispielsweise mal die Kameraführung anschaut, wird bemerken, dass die sich immer von den handelnden Personen wegbewegt und dann erst einen Überblick über die Szenerie gibt, also völlig unüblich. Die Optik spielt ebenfalls eine sehr wichtige Rolle, manche Szenen haben bewusst Gemäldecharakter und könnten tatsächlich dieser Zeit entsprungen sein. Um diesen Eindruck zu vermitteln, wagte der Visionär Kubrick etwas völlig neues: Er drehte keine einzige Szene unter Einsatz von Scheinwerfern, sondern entwickelte zusammen mit NASA-Mitarbeitern Speziallinsen, die Aufnahmen sogar bei Kerzenlicht ermöglichen und die der Geschichte einen einzigartigen Look verleihen.
Doch auch wenn man auf solche hintergründigen Dinge nicht achtet, bleibt "Barry Lyndon" einfach ein verdammt starker Film. Die Landschaftsaufnahmen sind wunderschön, dazu ist die Ausstattung prächtig und hat zurecht einen der vier Oscars erhalten. Kubrick protzt stellenweise meiner Meinung nach allerdings zu sehr mit seinen Kostümen, was vor allem in der zweiten Hälfte auffällt, wo manche Passagen etwas in die Länge gezogen wirken. Doch das wäre der einzige Kritikpunkt meinerseits, ansonsten ist "Barry Lyndon" ein vor Detailfülle und visionärer Kraft strotzendes Epos, das in Kubricks Filmographie neben anderen Meisterwerken ein wenig zu Unrecht untergeht.
P.S.: Unbedingt auf einem großen Fernseher mit gutem Soundsystem anschauen!