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Der legendäre britische Regisseur Stanley Kubrick schuf von den späten 50ern bis zu seinem Tode 1999 zahlreiche bis heute berühmte und oft heftig umstrittene Meisterwerke. Zu seinen gesitteter auftretenden, dabei aber keinesfalls weniger scharfzüngigen Werken gehört ganz klar das beinahe dreistündige Epos "Barry Lyndon" aus dem Jahr 1975. Nach einem Roman von William Makepeace Thackeray erzählt er die wendungsreiche Lebensgeschichte eines irischen Dorfbewohners nach, den das Schicksal durch den siebenjährigen Krieg und ganz Europa wandern, im Dreck und im höchsten Adel leben lässt - und mit zunehmendem Alter immer mehr moralisch verkommen lässt, bis er schließlich durch seine kaltblütige Art seinen eigenen Untergang heraufbeschwört.

Um eines gleich vorweg zu nehmen: "Barry Lyndon" gehört definitiv zu den schwächeren Filmen Kubricks. Ihm fehlt gleichermaßen die inhaltlich-metaphorische Dichte von "2001 - Odyssee im Weltraum" wie die verstörend konsequente Bösartigkeit von etwa "Full Metal Jacket" oder "A Clockwork Orange" und auch die in Sarkasmus getränkte Darstellung gesellschaftlicher Scheinheiligkeit wie beispielsweise bei "Eyes Wide Shut". Jeder dieser Filme wirkt auf seine Weise länger und intensiver nach und führt den Zuschauer direkter an moralische oder philosophische Grenzen - und über diese hinaus.

Dennoch ist auch "Barry Lyndon" ein typischer Kubrick-Film und Fans werden ihn ganz gewiss genüsslich goutieren können. Was ihn schon von einem Großteil seiner damaligen Mitkandidaten im Oscar-Rennen abhebt, ist die in beinahe jedem Bild durchscheinende Detailbesessenheit des perfektionistischen Regisseurs: Der Film schwelgt in einer opulenten Ausstattung, deren Bombast zahlreiche Szenen rein visuell beinahe zu sprengen droht. Ausladende Kostüme, riesige Schlossanlagen und weitläufige Parkflächen werden von der strengen Kameraführung immer wieder in atemberaubenden Einstellungen eingefangen.

Überhaupt ist die Kameraarbeit hier exquisit: In umfassenden Totalen werden die riesigen Räume der Adelsresidenzen ausgeschöpft, in denen sich die Agierenden beinahe verlieren, und mit langsamen Bewegungen fährt die Kamera auf weiten Bahnen um die Figuren herum. Der geniale Einsatz wunderschöner klassischer Musik von Bach und Mozart bis zu Schubert und Vivaldi unterstreicht den vollendet eleganten Eindruck, den der Film in jeder Sekunde ausstrahlt.

Und doch lauert dicht unter der Oberfläche dieser Eleganz der Kubrick'sche Sarkasmus: Vermittelst des Erzählers aus dem Off vermag er es immer wieder, die Heuchelei und Affektiertheit der Adelsklasse des 18. Jahrhunderts ad absurdum zu führen. Neben den leicht sarkastischen Kommentaren des Erzählers tragen auch die Figuren selbst dazu bei, sich der Lächerlichkeit preiszugeben: Wenn sie etwa selbst bei einem Duell, angesichts des möglichen gegenseitigen Tötens um der Ehre willen, peinlich genau auf die formvollendete Wahrung der Etikette achten. Manch eine Figur wirkt schon durch ihr umfangreiches Make-up, das den Gesichtern etwas Maskenhaftes verleiht, unfreiwillig komisch. Kubrick versteht es perfekt, die Dekadenz des Adels hervorzukehren, ohne ein einziges Mal von der vorgeschriebenen Eleganz abzuweichen.

Dazu passt auch die moralische Wandlung der Titelfigur, die zwar mitunter nicht ganz überzeugend, weil zu sehr vom Kommentator behauptet als tatsächlich in Handlungen gezeigt wirkt, die aber den notwendigen Untergang einer selbstherrlichen und sich jeder moralischen Verantwortung unbewussten Adelsklasse symbolisiert. Mit immer wieder verblüffenden Wendungen, ironisiert gezeichneten Figuren und einer vollendeten Bildsprache gelingt Kubrick mit "Barry Lyndon" eine exquisite Literaturverfilmung, unter deren wunderschöner Oberfläche Tragik und Bösartigkeit lauern. Als wäre Alex aus "A Clockwork Orange" auf einer Dinnerparty unterwegs - und unter seinem Smoking zeichnet sich der Umriss des Baseballschlägers ab.

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