Review

Eine penetrante Situation, der man in Programmkinos immer wieder beiwohnen kann: Ein dreiköpfiges Grüppchen- meist bestehend aus zwei Frauen und einem Herrn mittleren Alters- referiert über die intellektuelle Dichte und Feinsinnigkeit französischer Filme. Ohne es auszusprechen ist dabei natürlich vor allem von unkomplizierten- aber eben französischen! - Komödien und Liebesfilmen und im schlimmsten Falle von komplizierten- etwa dem neuesten Godard- die Rede. Regelmäßig wenn also ein Vertreter dieser Genres, produziert in Frankreich, unsere Kinos erreicht fallen Heerscharen dummdreister, um besonders multikulturelles und intellektuelles Auftreten bemühter Bonzen über die Säle her in der festen Überzeugung, damit einem besonders signifikanten Ereignis beizuwohnen. Die überwältigenden Schundberge die dieses Publikum inzwischen aus den flachbrüstigsten Filmen aufgestapelt hat, tragen nicht unbedingt dazu bei, gegenüber einem französischen Film in dem sich alles um Liebe dreht- und obendrein die Liebe zweier Frauen- dreht, besonders aufgeschlossen zu agieren. Misstrauisch beobachtet man die Leinwand, stets in der Befürchtung von einem sentimentalen, scheinheilig humanen Tränendrücker um ein Stück wertvoller Zeit betrogen zu werden.

Wie schön das sich hinter diversen Marketing-Kniffen, mit denen die Verleiher versuchen, diese oben kurz umrissene deutsche Zwangsneurose für sich zu nutzen, doch oft interessante und unspektakuläre Filme stehen die zwar inhaltlich für derlei Schabernack bestens geeignet sind, sich letztendlich dramaturgisch und inszenatorisch nicht gänzlich dem Klischee unterwerfen. „Oublier Cheyenne“ ist erfreulicherweise ein Beispiel für diese unsachgemäße Vermarktung französischer „Arthouse“-Filme. Kein großer Wurf, sicherlich nicht revolutionär aber zumindest stellenweise ambitioniert und vor allem eines nicht: sentimental. Also nicht wirklich der „zärtliche Frauenfilm“, als den der deutsche Gay-/Lesbian-Interest-Anbieter Pro Fun ihn anpreist.

Valérie Minetto spürt in ihrem Debut einer modernen Depression nach: Persönliches Wachstum, innere Zufriedenheit und zwischenmenschliche Zuneigung ohne den zermürbenden Einfluss profaner, materieller Faktoren sind in einer Gesellschaft nicht mehr möglich, die mit den Menschen umspringt wie mit Spielbällen, ihnen keine Wahlmöglichkeit mehr lässt, über die Färbung und Richtung ihres Lebens zu bestimmen. In „Oublier Cheyenne“ muss die Lehrerin Sonja dies widerwillig erkennen als sie versucht, ihre Freundin Cheyenne zurückzugewinnen, die sich nach langjähriger Arbeitslosigkeit ohne Aussichten von der Gesellschaft, von dem „System“ verabschiedet hat und nun als Überlebenskünstlerin abseits jeglicher materieller und emotionaler Abhängigkeit in der Provinz lebt. Die Beziehung der beiden Frauen zerbrach an der Verständnislosigkeit der jeweils anderen Perspektive. Sonja, pragmatisch und um ein angenehmes Leben bemüht hat Cheyenne, die auch aus Protest bereit ist, auf allen Komfort einer gesicherten Existenz zu verzichten, verlassen. Doch vergessen können die beiden Frauen einander natürlich nicht. Sonja bemüht sich fast krankhaft, Cheyenne aus ihren Gedanken zu verbannen und lässt sich dabei auch zu einer Affäre mit ihrem jüngeren Nachbarn Pierre, einem postmodernen, idealistischen Revoluzzer hinreißen. Doch auch in seiner Welt fühlt sie sich nicht heimisch und hat für seine offensiven Gesten- den Weg zur Arbeit tritt Pierre allmorgendlich mit einem Schild mit der Aufschrift „Habt ihr es nicht über, tagtäglich in den Fernseher zu starren?“ an- nicht mehr als ein verunsichertes Lächeln übrig. Ihr erster Besuch in der lesbischen Pariser Szene nach langer Zeit endet ernüchternd als ihre Affäre Beatrice sie zuerst versetzt und dann mit den spöttischen Worten „Du bist wohl romantisch“ entlässt. Sonja gibt sich einen Ruck und beginnt, nach Cheyenne zu suchen.

Es wird viel geredet in „Oublier Cheyenne“. Und tatsächlich ist der Kern der zahlreichen Dialoge meist ein eher politischer denn emotionaler. Valérie Minetto verzichtet löblicherweise auf prätentiöse Metaphorik und kommentiert klar und direkt die Resignation ihrer Protagonisten, die dazu verdammt sind, aufzugeben um zu bekommen. Und das trifft nicht alleine auf die Aussteigerin Cheyenne zu sondern in gleichem Maße auf Sonja, Pierre und Sonjas Schülerin Sandy. Sandy hat für sich das Abitur als sinnlos begriffen und plant einen ähnlichen Ausstieg wie Cheyenne- wovon Sonja, die sie vorübergehend beherbergt, vehement abbringen will. Später wird sich Sandy in den geistesverwandten Pierre verlieben.

Erstaunlich ist aber die bei allen- abgesehen von Sonja- übergroße Bereitschaft, der Gesellschaft und ihren immer antiindividualistischeren Gesetzen den Rücken zuzukehren. Und noch erstaunlicher ist dass Minetto das spartanische Leben von Cheyenne nicht romantisch-idyllisch verklärt sondern vergleichsweise neutral darstellt. Etwas zu sauber, etwas zu kurz aber immerhin nicht falsch. Welcher Handlungsweise sie mehr Sympathien schenkt- Sonjas Unnachgiebigkeit oder Cheyennes radikaler aber meist passiver Revolution- ist nicht klar auszumachen wenn auch Cheyennes Welt mehr Seele und mehr Freiheit signalisiert als Sonjas geräumige, behagliche aber doch klaustrophobische Vorstadtwohnung. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Perspektiven findet ihren Höhepunkt in einer überraschend surrealen Sequenz in der Sonjas Imagination mit der Realität kollidiert und Cheyenne, Pierre und Beatrice sich in ihrem Schlafzimmer ein beredtes Stelldichein geben- obwohl natürlich nur sie und Beatrice wirklich anwesend sind.

In einem der interessantesten und elementarsten Momente des Films kehrt Sonja nach einem Streit mit Cheyenne in ihre Wohnung zurück, in der Pierre und Sandy eine Beratung mit Kommilitonen zu einer Demonstration abhalten. Unmotiviert hält Sonja den Gymnasiasten eine resignierende Predigt über die Bedeutungslosigkeit ihrer Demonstration, über die Unmöglichkeit ihres Wunsches nach Selbstbestimmung, die Macht der Unterhaltungsindustrie, der vom Konsum bestimmten Wirtschaft und fehlplazierten Idealismus- und predigt damit im Grunde die Ideale von Cheyenne. Was folgt ist ein enttäuschendes Ende in dessen Verlauf sich Valérie Minetto der politischen Verantwortung, die sie zuvor übernommen hat, entledigt und große Gefühle in goldenes Licht rückt. Die letzten Momente mit Sonja und Cheyenne verärgern in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist ganz plötzlich Cheyenne, die nach einer Fahrradpanne trotz ihrer Aversion gegen Autos („leblose Blechkisten“) nach Paris trampte, diejenige die zu ungunsten ihrer Lebensphilosophie dem „System“ nachgibt, zum anderen endet der Film mit einer süßlichen Liebesszene. Die Situation ist wie geschaffen, um den alten Streit der beiden Frauen wieder aufleben zu lassen- doch aus ominösen Gründen ist Minetto dies gleichgültig. Die Liebe überwindet alle Berge? Genau diesem Sprichwort hat „Oublier Cheyenne“ zuvor vehement widersprochen und nun scheint er es im unangenehmsten Sinn zu bedienen. Nicht der Funke eines kritischen, zweifelnden Ansatzes, nicht die Spur eines Vorwurfes an Cheyenne, die doch zuvor wie keine Andere die Sehnsüchte von Sonjas zivilisationskranken Umfeld repräsentierte und sich nun dem „System“, der „Maschine“ unterworfen hat. Und so wie sich die Regisseurin zuvor mit ihrem offensiven gesellschaftskritischen Entwurf auseinandergesetzt hat möchte man diesem Ende zwar einerseits keinen Glauben schenken, kann seine Existenz aber gleichzeitig nicht verleugnen. So führt die peinliche und unbefriedigende weil feige-totalistische Schlusssequenz um ein Haar einen sehr gelungenen und engagierten Film ad absurdum, genauso wie auch in der zweiten Hälfte zu oft der viel zitierte „Strudel der Leidenschaft“ und die „Herzen im Sturm“ die Oberhand gewinnen.

„Oublier Cheyenne“ behandelt seine sicherlich ernst gemeinten gesellschafts- und zivilisationskritischen Ansätze reichlich stiefmütterlich und schafft keine Balance zwischen Menschlich- und Nüchternheit. Dadurch verspielt der Film zwar einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Potentials doch er bleibt immer noch sehenswert- als einfühlsame Bestandsaufnahme einiger Menschen die sich mit einer selten so direkt formulierten Frage konfrontieren und an ihren emotionalen Ansprüchen zu scheitern drohen. Das alles leider im Fernsehformat- doch das will in Deutschland vielleicht etwas heißen, nicht aber im europäischen Ausland wo TV-Produktionen sich gelegentlich noch um Kino-Niveau bemühen.

Details
Ähnliche Filme