„Du bist eine Spätentwicklerin.“
Der kanadische Independent-Filmemacher Bruce McDonald („Hard Core Logo“) inszenierte im Jahre 2007 mit Ellen Page, die im selben Jahr mit „Juno“ groß herauskommen sollte, ein Jugenddrama in Form eines Experimentalfilms. Dieser basiert auf einem Roman Maureen Medveds, die auch die Drehbuchadaption vornahm.
„Was wissen Sie denn schon, Sie Fotze!“
Die 15-jährige Tracey Berkowitz (Ellen Page) wird in der Schule gemobbt, weil sie noch keine Brüste hat. Ihre Eltern (Jackie Brown, „Snow Cake“ und Ari Cohen, „Bruiser“) zeigen weder an ihr noch an ihrem Bruder Sunny (Zie Souwand, „Rentier Buddy rettet Weihnachten“) sonderliches Interesse. Tracey hasst die Welt inklusive sich selbst, befindet sich daher in psychologischer Behandlung und wäre lieber Frontfrau einer Band als das verunsicherte, ignorierte bis drangsalierte Mädchen, das sie ist. Eines Tages verschwindet ihr sich gern wie Hund gebärdender Bruder, wofür man ihr die Schuld zuschiebt. Kurzerhand reißt sie auf der Suche nach Sunny von zu Hause aus und ignoriert, nur in einen Duschvorhand gewandet, die Gefahren eines aufkommenden Schneesturms…
Der ohne Abspann gerade einmal 74-minütige Film arbeitet mit einer ungewöhnlichen, non-linearen Erzählstruktur, die von Tracey als ständige Voice-over-Sprecherin geordnet wird. Die Handlung wird aus Traceys Perspektive aufgerollt und visualisiert, wobei McDonald und sein Postproduktionsteam versuchen, all die unterschiedlichen Eindrücke, die gleichzeitig auf das pubertierende Mädchen hineinprasseln, abzubilden. Dafür wird das Bild in die titelgebenden Fragmente zerlegt und mit vielteiligen Splitscreens ebenso hantiert wie mit weiteren Möglichkeiten, konventionelle filmische Symmetrie und Ästhetik aufzubrechen und so etwas wie Wahrnehmungscollagen zu bilden. Auch der Ton bleibt davon nicht verschont, wenn auch in weit geringerem Ausmaße.
Dies spottet eigentlich jeder Beschreibung und sieht man sich am besten selbst einmal an, stellt sich der durchaus reizvollen Herausforderung. Der eigentlichen Handlung dabei zu folgen bleibt möglich, wenngleich vor allem durchs Vermengen von Traum- und Wirklichkeitsebenen und diverse Zeitsprünge Verwirrung entstehen kann. Das von Page glaubwürdig verkörperte Coming-of-age-Sujet und das Tempo des Films verhindern erfolgreich, dass „Tracey Fragments“ zum nichtssagenden Arty-farty-Selbstzweck verkommt. In monatelanger Postproduktion ist ein ambitionierter Experimentalfilm entstanden, der allen, die hin und wieder Freude an auch technisch und formal außergewöhnlichen Filmerlebnissen haben, ans Herz gelegt sei.
Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass andere Filme mit ähnlicher Thematik inszenatorisch nicht nur mehr Wucht, sondern auch mehr Emotionen und Empathie sowohl vermitteln als auch freisetzen. Es hat eben auch seine Gründe, weshalb Filme im Regelfall nicht auf diese Weise erzählt werden. Nicht ganz uninteressant: „Tracey Fragments“ streift das Thema Transsexualität und während Pages Rolle hier gerne eine Oberweite hätte, gab Ellen Page im Jahre 2020 bekannt, transsexuell zu sein, änderte ihren Vornamen in Elliot und tritt seither in maskuliner Erscheinung auf.