Nachdem der italienische Filmemacher Lucio Fulci („The Beyond“) im Bereich des grafisch expliziten europäischen Horrorfilms in den 1970ern neue Maßstäbe gesetzt hatte, nahm er sich im Jahre 1980 mit dem Polizei- bzw. vielmehr Gangsterfilm eines Genres an, in dem bisher eigentlich andere Italiener Akzente gesetzt hatten und das am Ende des Jahrzehnts weitestgehend auserzählt war. „Das Syndikat des Grauens“ geriet dennoch zu einem mindestens aufsehenerregenden Beitrag.
Neapel: Luca (Fabio Testi, „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“) und sein Bruder Michele (Enrico Maisto, „Die Rache der Camorra“) sind friedliebende Familienmenschen und kleine Gauner, die sich mit dem unter mehreren Mafiaclans aufgeteilten Schmuggel vornehmlich von Zigaretten ein Zubrot verdienen, um über die Runden zu kommen – nicht mehr und nicht weniger. Als plötzlich die Polizei auf sie aufmerksam wird, vermuten sie, dass eines der konkurrierenden „Unternehmen“ dahintersteckt. Und als Michele ermordet wird, ist eindeutig eine Grenze überschritten. Doch dies ist nur Anfang einer brutalen Mordserie, für die mitnichten die alteingesessen Neapolitaner verantwortlich sind, sondern ein skrupellos über Leichen gehender Mafioso (Marcel Bozuffi, „Brennpunkt Brooklyn“) aus Marseille, der seinen Handel mit harten Drogen auf Neapel ausweiten möchte…
„Wir brauchen keine Drogen, denn wir haben nicht nur die Sonne, sondern auch diesen harten Vertreter des italienischen Gangsterfilms, mit einiger Explizität von Altmeister Fulci inszeniert und hierzulande daher lange unterschlagen. Gar nicht sooo böse Mafiosi treten gegen ganz böse Vertreter ihrer Zunft an und färben Neapel blutrot. Reißerisch? Ja. Spekulativ? Sicherlich. Ein guter Film? Aber so was von! ,Das Syndikat des Grauens‘ zählt zur Speerspitze seines Genres, die, würde sie im Film vorkommen, bestimmt jemand in den Wanst gerammt bekäme. Ein Film, der den Testi der Zeit in jedem Falle bestanden hat.“ – So schrieb ich kürzlich um kein Wortspiel verlegen in Vorbereitung einer Kino-Wiederaufführung dieses Films, der im Rahmen dieser – verglichen mit meiner etliche Jahre zurückliegenden Erst- oder Zweitsichtung – noch einmal deutlich gewann.
Die Polizei spielt nur eine untergeordnete Rolle, tritt in erster Linie als hilf- und machtlose Beobachter des Mafiakriegs in Erscheinung. Bis dieser eskaliert, nimmt Fulci sich Zeit für eine Exposition, die einem Luca und seine Familie als weitestgehend normale Menschen nahebringt. Ab einem gewissen Punkt aber dreht er immer stärker an der Eskalationsschraube inklusive seinem in seinen zuvor gedrehten Horrorfilmen erlernten und etablierten Faible für explizite Gewaltszenen, die ich hier nun nicht alle aufzählen werden. Es geht jedenfalls überaus harsch zur Sache, ohne dass es wie in manch Splatter-Streifen comichaft oder gar ironisiert würde.
Die Handlung, in die dies eingebettet ist, vermittelt auf simple, aber effektive Weise den Unterschied zwischen mehr oder weniger harmloser Kleinkriminalität (selbst wenn diese organisiert ist), für die der Film eine gewisse Sympathie erkennen lässt und sie eher gesellschaftlichen Umständen denn Charakterlosigkeit zuschreibt, auf der einen Seite – und auf der anderen wie die ungeschönte, mörderische Fratze ungehemmten Kapitalismus‘ daherkommende, eiskalt auf maximalen Profit ausgerichtete schwerverbrecherische Kriminalität, die die Städte mit todbringenden Drogen überschwemmt und der jedes Mittel recht ist, je grausamer desto besser. Dass der Stoff auch geeignet ist, aus opportunistisch veranlagten Menschen das Schlechteste hervorzuholen und sie für eigene Zwecke zu manipulieren, zeigt sich in der Figur Luigi Perlante (Saverio Marconi, „Der Gorilla“) überaus eindringlich. Die Antidrogen-Aussage des Films findet sich zudem am Ende in einem besonders schönen Bonmot, wenn es heißt, angesichts der Sonne Neapels brauche man keine Drogen (wenngleich Neapel hier in eher trüben Farben gezeichnet wird). Zugleich skizziert „Das Syndikat des Grauens“ eindrucksvoll die Gelassenheit und Weisheit, aber auch die Erfahrung des Alters, das noch einmal auf den Plan zu treten bereit ist, wenn es wirklich sein muss. Dass Fulci in diesem Zuge einen bemerkenswerten Gastauftritt vor der Kamera hinlegt, ist die Kirsche auf der Sahnehaube.
Fabio Testi, eigentlich ein Fotomodell, erschien mir früher zu sehr als klassischer Schönling für seine Rolle, mittlerweile habe ich aber meinen Frieden mit ihm gemacht – wenngleich mir ein etwas raubeinigerer Hauptdarsteller lieber gewesen wäre. Solche finden sich dafür in den Nebenrollen. Und nicht nur die Discosequenz verfügt über eine ganz eigene Qualität, die Fulcis kreativen Gestaltungswillen zum Ausdruck bringt.
„Das Syndikat des Grauens“ hievte die Drastik des Italo-Gangsterfilms noch einmal auf ein neues Level, das quasi nicht mehr zu steigern war, gewinnt bei wiederholter Sichtung jedoch mit anderen Stärken, auf die man sich, weiß man erst einmal, was einen an Gewaltspitzen erwartet, vielleicht schlicht besser konzentrieren kann.