Inhalt:
Rau, roh, laut, ordinär und nur selten wirklich musikalisch hört er sich an: Punk in China. Dort ist er noch so jung, dass er eigentlich noch garnicht alleine auf die Straße dürfte. Doch genau dort ist er
gezwungenermaßen unterwegs, da man ihn fast nirgendwo reinlässt...
Vorwort:
Seitdem ich vor zig Monaten (ist bestimmt mehr als ein Jahr her) von diesem Projekt gehört hab, warte ich auf eine Veröffentlichung auf
DVD, da ich leider sämtliche Chancen, den Film auf einem der vielen Festivals zu sehen, verpasst habe. Jetzt war es endlich soweit: Gestern
stehe ich (wie so oft) vor einem unglaublich unsortierten DVD-Regal einer namhaften Elektronikmarktkette, da lächelt mich ein Cover an.
Oder besser: Es schaut mich total weggetreten und irgendwie reichlich bekifft an.
Aufmerksam geworden, das Objekt der Begierde voller Erwartung und einem Gefühl wie Weihnachten im Bauch, mit zwei Fingern behutsam aus
dem übrigen Saturn-Einheitsbrei (Mist, hab ich's jetzt etwa doch
verraten?) ziehend, wird meine Hoffnung nicht enttäuscht, Oster-, Geburtstags- und Faschingsgefühle (abgesehen vom Kater) gesellen sich zu Mr. Weihnacht und ich halte es in der Hand: Beijing Bubbles. Hübsch
verpackt in einem 180-Seiten-Buch mit einem Sticker drauf, der mich
kurz schlucken lässt: 27,99€. Egal, ab zur Kasse, bevor das schlechte
Finanz-Gewissen einsetzt, bezahlt, eingetütet, es ist meins!
Entschuldigt bitte meine evtl. etwas übertriebene Euphorie, aber
auf dieses Ding hab ich lange gewartet. Als jahrelangem Fan asiatischer Rockmusik (hauptsächlich J-Rock und japanischer Ska) sei mir bitte verziehen...
Kritik:
Dokumentationen über Subkulturen und Gemeinschaften, die meinen
solche zu sein, gibt es viele. Interessante, langweilige, gute und
schlechte. Oft fehlt diesen allerdings die nötige Distanz, um ihnen
zweifelsfrei abzukaufen, objektiv zu berichten. Diesen Vorwurf kann man
"Beijing Bubbles" (gottseidank) nicht machen. Im Gegenteil.
Im Gegensatz zu anderen Dokumentationen ähnlicher Art, verzichten die Filmemacher Susanne Messmer und George Lindt komplett auf Voice-Over und erzählenden Kommentar. Auch auf eine gesprochene
Übersetzung wartet man vergebens. Hier ist Untertitel-Lesen angesagt.
Und das kommt dem Film nur zugute.
Alles was man im Film hört, ist das, was sich vor der Kamera
abspielt. Die zu Wort kommenden Musiker (manche sprechen englisch,
andere chinesisch), die Musik oder einfach die Umgebungsgeräusche.
Die Protagonisten werden in ihrem Alltag begleitet. Ihnen werden
nur selten direkt Fragen gestellt, man lässt sie einfach reden. Über die Gesellschaft, ihr Leben, mongolische Obertongesänge, Sex, Drugs und
vor allem ganz viel Rock & Roll. Selten habe ich mich bei einer
Dokumentation so "nah dran" gefühlt. Die recht wackelige (aber trotzdem gekonnt geführte) Kamera vermittelt einem das unmittelbare Gefühl des Dabeiseins. Man wird an die unterschiedlichsten Orte geführt: Seien es
heruntergekommene Wohnungen jenseits des Stadtrands Pekings, in denen
einige der Musiker leben ("...weil es so schön billig ist!"), symbolträchtige und weltbekannte Orte wie der "Platz des himmlischen
Friedens", Einkaufspassagen in den wohlhabenderen Stadtteilen oder eben
die teilweise winzigen Bars und Clubs, in denen die Künstler dieser "Nischen-Musikrichtung" draufloshämmern.
Das alles zieht einen einfach magisch an. Man fühlt sich
zurückversetzt in die guten alten Seventies, in denen Legenden wie die
Ramones, The Clash oder die Sex Pistols auf vornehmlich britischen
Bühnen wüteten. Und das ist kein Zufall. Denn hier kann man den Punk noch wirklich als solchen bezeichnen. Die Bands spielen für Gagen, mit denen sie kaum die Anreise bezahlen können. Die Vorstellung, von der
Musik zu leben ist genauso utopisch wie die, Punk in China salonfähig zu machen. Hier ist nichts kommerzialisiert, ideologisiert oder
korrumpiert. Als Punk in China hat man es nicht leicht. Und genau das hält sie am Leben, diese neue alte Subkultur. Genau das lässt sie wachsen.
Doch es geht nicht nur um Musik. Es geht um die chinesische
Gesellschaft, ihre Jugend und ihre Probleme. Hier wird nicht erklärt,
verklärt oder kritisiert. Hier wird nur gezeigt. Neutral, unparteiisch,
objektiv. Man ist gezwungen, sich seine eigene Meinung zu bilden, und
genau darum geht es bei einer Dokumentation. Zumindest mir.