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Nun, das Offensichtliche ist leicht gesagt: gute SchauspielerInnen, Technik alles Okay, Drehbuch jagt rasant auf Katastrophe zu, süße minderjährige Amateurprostituierte liefern Stoff für Voyeure, der Thriller über deren bedenkenlosen Handel mit Gefühlen kreiert Unbehagen, die alltägliche
Kommerzialisierung von Beziehungen hinterlässt unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Nichts für sittenstrenge JugendschützerInnen, die sich im Besitz des guten Geschmacks wähnen.

Unvermittelt geht's an's Eingemachte: wie das Cover verspricht, wird das Shirt gleich in Minute Eins über den Kopf gezogen. Inmitten einer Orgie, die an eine Billigversion von „Eyes Wide Shut“ erinnert, besetzt von hemdsärmeligen
Amateurinnen und Redneck-Freiern. Der schwüle Einstieg lässt Schlimmes fürchten, doch dann springen wir zurück. Wie alles begann... die Rückblende. Wie konnte es inmitten des gutbürgerlichen Suburbia dazu kommen? Als Filmfreaks wissen wir längst: diese US-Vorstädte sind ein idealer Nährboden für moralische Entgleisungen, die uns ins Kino locken, auf die wir lauern, wenn wir DVD's leihen.

In Suburbia, wo der Held ein braver Familienvater ist, der im Keller an der Spielzeugeisenbahn bastelt und im Freigelände historische Lokomotiven bewundert, wo die Heldin eine strebsame High School-Schülerin ist, darauf fixiert, dass alles an seinem richtigen Platz sein muß, was sie mit Salzstreuer,
Ketchup-Flasche und Serviettenspender demonstriert - da ist die Entgleisung dieser Liebhaber gerader Schienen und geordneter Tischdeko nur eine Frage der Zeit.

Beide suchen einen Weg aus ihrem gesitteten Leben, das natürlich Langeweile bedeutet. Entsprechend fixiert sind sie auf Transportmittel. Die Liebes(?)akte finden an Bahnhöfen statt, vor den unbeweglichen Museumloks, auf Parkhäusern, in Autos – die doch alle nirgendwohin fahren. Sie führen nicht in die Ferne, finden keinen Weg, entlarven nur das Unbehaustsein der Figuren, die kein Heim haben. Als die Orgie einmal ein Haus benützt, die erwähnte Jagdhütte, eskaliert das Ganze nur zu völliger
Unappetitlichkeit, was sogar dem „kleinen Jerry“ (dem am Unterleib) den Elan raubt.

Doch auch ich sollte zurückspringen, ein paar Worte zur Handlung verlieren, die bei diesem OFDB-Eintrag fehlen.

Also Spoiler-Alarm: Babysitterin Shirley und Baby-Vater Michael verfallen einander. Unvermittelt fühlen sie sich magisch angezogen, erkennen sich, in ihrer Hilflosigkeit und Einsamkeit. Michaels Unsicherheit angesichts dieser
überraschenden Leidenschaft lässt ihn das Babysitterentgelt unangemessen erhöhen. Als könne keine Beziehung in Unschuld existieren, gerät den Liebenden sofort der finanzielle Aspekt in die Quere; im Jahr 2007, ein Jahr vor der Finanzkrise, hat die Kommerzialisierung längst auch die zwischenmenschlichen Beziehungen erreicht. Zuerst nur eine kaum wahrnehmbare Irritation, gewinnt der materielle Aspekt bald die Oberhand.

Sie „treiben“ ihre Beziehung noch eine Weile weiter, doch Shirley gerät (als gute Amerikanerin) bald in den Bann des einträglichen Aspekts ihres „Geschäfts“ - das das Angenehme eine ganze Zeit lang mit dem Nützlichen zu verbinden vermag. Selbstwusst startet sie mit ihrer besten Freundin (Biest)
einen Callgirl-Ring. An interessierten Mitschülerinnen ist kein Mangel, schließlich gibt es viel Glitzerzeug, das gekauft werden will.

Michael, die Plaudertasche, sorgt, eher unbeabsichtigt, für Kunden – er verkehrt unter männlich-virilen Durchschnittsehemännern, die alle schon seit Jahren im Standby-Modus dahindämmern. Doch die Gelegenheit erweckt die Herren aus ihrem Dornröschen-Schlaf und schon sind sie auf der Jagd nach Abwechslung und Frischfleisch. Quasi eine „Win-Win-Situation“ für alle (wie
von den Marktradikalen versprochen), und schon bald muß Shirley ihr Geschäft erweitern, hat den Belegungsplan ihrer Mädels schön formatiert im Laptop und druckt edle Visitenkarten. Wie Königinnen cruisen sie durch die Schulgänge (das Bild lässt an die „Plastics“ in „Mean Girls“ denken). Sie, für die Ordnung alles ist, gefällt sich als Managerin, als unberührbare Patin, die über den Dingen steht, ihren Kolleginnen Provision abknöpft, Kleidervorschriften macht und notfalls handgreiflich wird. Ihr halb unbewusster
Ausbruchswunsch läßt Shirley, Melissa und Michael eines Nachts das Innere der Schule zerschlagen. Was erst nur Spuren verwischen sollte, gerät zur ekstatischen Zerstörung von glitzernden Schaukästen voller Pokale, Ehrenurkunden und Fotogalerien: die Heiligenschreine amerikanischer High-Schools müssen dran glauben. Kleine Revolutionen.

Doch den Drang ihrer Mädels, sich mit funkligem Tinnef/Bling zu schmücken, teilt Shirley nicht. Ihr wachsendes Geldbündel bleibt unberührt unter der Matratze, ihr geht es um Macht und Kontrolle. Und wir müssen nicht Lao-Tse lesen oder Kubrick sehen, um zu wissen, dass das nur scheitern kann.

Im letzten Bild sitzt sie (wieder einmal) im Auto und blickt zurück (beiläufig nur, denn es geht nur um's Rausrangieren). Ihre Stimme sinniert im Off, es habe sich bei dem Drama nur um ein „Detail“ ihres Lebens gehandelt. Das offenbar für einen Moment aus der Ordnung war, dann aber wieder zurücksortiert wurde. Wie auch Michael wieder an seinem Platz ist: Im Kreis seiner Familie, fern von Shirley, getrennt durch Straße, Rasen, Bäume, haben sie noch einen langen Blick getauscht, doch dieses Mal ohne Hoffnung.

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