Everest - Spiel mit dem Tod (2006) / (inkl. Spoiler)
...oder : Der (Tourismus-)Irrsinn um und auf dem Mount Everest
Teilnehmer in Staffel 1:
- US Feuerwehrrecke Brett Merrell
- Däne und Astmathiker (!) Mogens Jensen
- Libanese Max Chaya, bei ihm heißt es: der letzte der "Seven Summits" steht an (die jeweils 7 höchsten Berge der 7 Kontinente )
- US-Amerikaner und Motorradentwickler für die "Reichen und Schönen" Tim Wayne Medvetz (ehemaliger Hells Angel und Mann von Cher)
- der 62-jährige Franzose Gérard Bourrat
- Terry O’Connor, Arzt
- und Mark Inglis, Extremsportler, er wäre der erste der mit 2 Beinprotesen den M.E. besteigen würde, warum ihm die Beine amputiert wurden? Man kann es sich denken.
Jeder von Ihnen zahlte dem Neuseeländer Russel Brice, einem der erfahrensten Expeditionsführer und geschäftsführenden Inhaber des Expeditionsunternehmens Himalayan Experience (Himex) stolze 40.000 $ um sich endlich den großen Traum zu erfüllen: Auf dem Dach der Welt, dem Gipfel des fast 9000 Meter hohen Mount Everest kurz mal zu winken und wieder abzusteigen. Im Grund eine Höhe bei der man vorbeifliegenden Passagiermaschinen-Piloten durchaus mal aus der Nähe zuzwinkern kann. Aus diesem Grunde besteigen die meisten der Everest-Jünger diesen Berg daher auch mit Sauerstoffflasche und Maske.
Der einzige aus dem Team der es ohne schaffen will ist ausgerechnet "Belastungsastmathiker" Mogens Jensen!
Es fällt irgendwann der Satz: "Diesen Berg hochzuklettern ist wie eine Treppe raufzulaufen mit Plastiktüte über dem Kopf." Jede noch so kleine Bewegung schmerzt, strengt an und ist schier unmöglich zu bewältigen. "Wenn man hustet hat man das Gefühl es brechen einem die Rippen..."
6 Folgen lang beschäftigt sich die erste Staffel sehr ruhig und ausführlich damit, wie so eine Expedition von statten geht. Was für ein gigantischer, logistischer Aufwand betrieben wird um am Ende alle lebend vom Berg wieder herunterzubekommen. Tonnen von Material, riesige Fixseil-Rollen an denen die Kletterer eingehakt sind, Zelte, Nahrung, Sauerstoffflaschen werden von den sogenannten Sherpas den Berg raufgeschleppt. Ein unfassbarer Aufwand und man staunt mit welchen Gepäckmengen diese Wahnsinnskerle, die übrigens körperlich/genetisch besser auf enorme Höhen eingestellt sind als der "Normalbürger", unterwegs sind. Wer jetzt aber gleich ausruft, ja soooo kann ich das auch, wenn die mir jegliche Arbeit abnehmen, dem sei gesagt: Nichts täuscht mehr!
Ein falscher Schritt und das war's. In der sogenannten Todeszone, also der oberen Bergzone muss man Herr seiner eigenen Kräfte sein, Hubschrauber oder andere Rettungsaktionen sind hier unmöglich. Jeder ist hier komplett auf sich alleine gestellt. Friert dir ein Fuß ein und du kannst nicht mehr laufen, knickst um, oder schaffst es warum auch immer nicht aus eigener Kraft weiterzugehen, dann heißt es zu fast 100% : Sit down and die.
Ich habe nun diverse "Bergsteigerdokus" geschaut und muss sagen diese hier ist mir fast die "Liebste". Denn hier wird sehr informativ alles genau erklärt und obendrein bekommt man einen sehr guten Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelten der verschiedenen Charaktere und den kompletten Ablauf einer Mount Everest Besteigung präsentiert.
Den Begriff "Whiteout" z.B. hörte ich erstaunlicherweise zum ersten Mal. Aufgrund diffuser, starker Sonnenlichtreflektion auf dem weißen Schneeboden verliert man in Sekunden komplett die Orientierung. Himmel und Boden gehen ineinander über, Kontraste und Umrisse kann man nicht mehr erkennen, man sieht im wahrsten Sinne des Wortes nur noch weiß. Panik und Angstzustände werden dadurch nicht selten ausgelöst. (Auch für Flugzeuge ein großes Problem, und es kam nicht zuletzt dadurch schon zu Abstürzen)
Jeder der Teilnehmer ist über Walkie Talkie und "Knopf im Ohr" mit dem Basislager verbunden. Dort sitzt Russel Brice und schaut sich den Aufstieg aus sicherer Entfernung durch sein Teleskop an, gibt Anweisungen und sieht sofort wenn etwas nicht stimmt. Goldene Regel: Russel ist der Chef, es wird gemacht was er sagt. Wenn er sagt: Nein du wirst es nicht schaffen, die ausgerechnete Sauerstoffmenge reicht nicht mehr aus um rechtzeitig wieder runterzukommen, kehr sofort um, dann kehrst du sofort um...es wird nicht diskutiert!
Und so kämpfen sich hier alle zunächst wacker und mutig den Berg hoch, geraten aber natürlich bald in die üblichen "Fallen": Erfrierungen, ausfallende Sauerstoffmasken, Orientierungslosigkeit, Ödeme, Kopfschmerzen und Erbrechen, Wahn durch zuwenig Sauerstoff, umschlagendes Wetter, Selbstüberschätzung, kleine Zeitfenster und sich stauende Menschenmengen gerade in den oberen, gefährlichsten Stellen des letzten Bergabschnitts.
Die letzten Folgen sind dann sehr dramatisch. Russel erkennt durch sein Teleskop:
2 der 4 werden es nicht zum Gipfel schaffen, sie sind zu langsam unterwegs, die Sauerstoffmenge reicht nicht mehr für "ganz oben" und noch den Abstieg zurück zum ersten Höhenlager. Doch die beiden lassen sich weder von Russels inzwischen harrschen und eindringlichen Ton über Funk, noch den Sherpas oder Bergführern dazu bewegen umzukehren...
Sie schwanken und torkeln wie besessen und von Sinnen weiter, kriechen teilweise auf allen Vieren, reden unsinniges Zeug und sind schon jetzt nicht mehr Herr der Lage, wollen nur noch eines: Rauf, koste es was es wolle!
Und dann trifft auch noch einer der gerade euphorisiert vom Gipfel Zurückkehrenden auf einen sterbenden Mann der am Boden bewußtlos vor sich hinzuckt...dies löste später in den Medien "Einiges" aus.
Dazu gibt es Winde bis zu 160 Km/h und ein Gedrängel gerade am Gipfel dass man meint man ginge durch eine Fußgängerzone am verkaufsoffenen Sonntag! Der Weg gesäumt von Sauerstoffflaschen und Leichen, und nicht selten kommt es vor dass man gerade beim letzten Abschnitt zum Gipfel unter Umständen eine Stunde irgendwo tatenlos rumsteht, weil vor einem entweder 78 andere Gruppen auf- oder absteigen, zusammenbrechen oder den schmalen Weg aus verschiedenen Gründen und egal in welche Richtung blockieren. Da hängt man dann...
Schon fast in Gipfelnähe ist eine Leiter im Fels verknotet über die man mit Spikes unter den Schuhen(!) klettern muss, eine brutale Stelle, bleibt einer mittendrin stehen, dann staut es sich und links und rechts geht es 1000e Meter in die Tiefe. Angsteinflössende Bilder vom schwindeligsten.
Wer es am Ende schafft, welche Probleme Mark Inglis mit seinen Beinprothesen hat, wie es dem Asmathiker Mogens ergeht, wie sich "Mini-Großmaul" und Mottoradbastler Tim und der "harte" US Firefighter schlagen, all das solltet ihr euch unbedingt selbst anschauen.
Enorm informative, packende, stark bebilderte aber auch sehr nachdenklich stimmende "Tour de neige", die einen eiskalt mitzittern läßt und tiefe Einblicke in das Gefühlschaos der Klettermaxe gewährt. Absoluter Gucktip!
9/10