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Michael Moore – ein Kapitel für sich. Zu Blütezeiten des Irak-Kriegs ein europäischer Lichtblick. Das aufgeklärte Kuckucksei im bornierten US-Amerika, in dem nicht über den eigenen Tellerrand hinaus geblickt werden kann. Sein nächster Streich ist "Sicko", wie der Name schon andeutet, den Nerv der Krankheit treffend.

Ein Gesundheitssystem, das profitorientiert handelt und so wie gezeigt wird, das einzige westliche ist, was Krankenhausaufenthalte förmlich abrechnet und somit Löcher in das Budget zumeist finanziell schwacher Haushalte reißt. Das Problem ist real, die Darstellungs-Methoden sind de facto populistisch und polemisierend. Man erinnere sich an "Fahrenheit 9/11", wo Moores Erzfeind George W. Bush über ein ernstes Thema fabulierend Sekunden später den eigenen Abschlag beim Golf mit einem Lächeln im Gesicht kommentiert. Das mag tief blicken lassen, aber eine sachliche Auseinandersetzung ist das Ganze dennoch nicht.

Moore greift Missstände auf, bedient sich aber zu sehr der Einfachheit, die nicht im differenzierten Kontext steht. Frankreich wird nun ein dargestelltes Paradies, weil die Amis im Zuge des Irak-Krieges die "French Fries" boshaft in "Freedom Fries" umbenennen wollten. Das passt einfach zu gut. In Frankreich, wo Bürger durch eine gesetzliche Krankenkasse kostenlos behandelt werden und nebenbei, anhand einer bestimmten Familie selektiv dargestellt, trotzdem nicht an Steuerlasten ersaufen bzw. trotz Abgaben sehr gut leben können. Sämtliche Vorzüge französischer Errungenschaften, wie die "tolle" 35 Stunden Woche, werden durch im Land lebende US-Amerikaner wörtlich beschrieben. Moore fragt naiv und erstaunt nach.

Die finanzielle Kehrseite der Leistungen wird gleichwohl ausgeblendet. Genauso wie in England, wo der Reichtum eines im staatlichen System verdienender Arztes präsentiert wird. Ihm geht es gut, der Tenor geht in die Richtung, dass man auch mit einem oder zwei schweren Autos zufrieden sein kann. Kanada fehlt als Land der Glückseligkeit natürlich auch nicht. Es läuft alles auf die gleiche Prämisse hinaus: Man muss ja nicht im Reichtum schwimmen, wie die Köpfe der geldgeilen US-Krankenversicherer. Einen Sündenbock für das "kranke" Desaster wird im Übrigen auch gekürt: Richard M. Nixon, der offenbar nicht nur politische Gegner ausspionieren ließ. Eine Erkenntnis, die mit Vorsicht zu genießen ist.

So schön lakonisch und mundgerecht Moore seine Häppchen aus Missständen serviert, die Illustration bzw. Argumentation zielt zu sehr auf den Effekt ab. Das ist unterhaltend dramatisch und im Grunde wirkungsvoll, weil er mit methodischen Schwergewichten punktet, aber differenziert wird das Ganze selten. Frau Clinton, was im Sinne des US-Wahlkampfs interessant ist, stellt er zuerst als unerwünschte Kämpferin für generelle Krankenversicherung da, um dann überraschend zu zeigen, wie sie mittlerweile auf den Gehaltslisten der Lobbyisten steht. Das ist ein lichter Moment, der Grauzonen abdeckt.

Letztendlich landet Moore mit seinen Gesundheits-Opfern in Kuba, wo er zuerst die Prämisse darstellt, dass Al-Kaida in Guantánamo besser als die Bürger des eigenen Landes versorgt werden. Das Gesundheitssystem im Castro-Staat ist bekanntlich verhältnismäßig ausgezeichnet. Man verpasst zuvor schon allerdings nicht, die gezeichneten Drohgebärden sozialistischer Politik zu visualisieren, um suggestiv die Mittel der Gegner anzudeuten. Im Sinne der Aufklärung landet man in kubanischen Krankenhäusern und Apotheken, wo Versorgung herzlich professionell stattfindet bzw. Medikamente, ach wie überraschend, extrem kostengünstig zu erwerben sind. Nach pathetische wirkenden Umarmungen und Danksagungen schließt Moore mit einem Besuch bei der Feuerwehr Havannas, wo alle Solidaritätsbekundungen für die 9/11-Opfer der versorgten Crew zum Ausdruck bringen, ab.

Dabei gelangt man wieder zum alles entscheidenden Problem, das den Moore-Mikrokosmos umfasst. Er dringt zweifelsohne zum problematischen Kern der behandelten Sache vor, weist beispielsweise völlig richtig darauf hin, dass es absurd ist, wenn W. Bush und Co. Barack Obama diskreditieren, weil er mit feindlichen Staatsoberhäuptern Gespräche führen möchte. Trotzdem übertreibt der Mann aus Flint, Michigan zu sehr, geht einseitig an Sachthemen heran und stellt sich naiv, um des Effektes willen. Das ist zu wenig, um als differenzierte Darstellung gelten zu können. Vielleicht möchte er auch gar nicht seriös sein, als fairer Beobachter sollte man aber dennoch mit etwas Abstand die unterhaltsame Schwarz-Weiß-Malerei konsumieren. (5,5/10)

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