Review

"Erfinder deutsche Filmtitel" scheint mir ein aussterbender Beruf zu sein - wird nicht ohne Umschweife der Originaltitel übernommen, so kommen meist einfallslose Eindeutschungen wie hier heraus - unter "Tödliche Entscheidung" kann man sich wenig oder alles vorstellen. Kurios allerdings: Der banale Teutonen-Titel wird dem Film viel eher gerecht als das poetische, vielversprechende Original, denn das ganze ist ein müdes, austauschbares, höhepunktarmes Alterswerk.

Eine Fickszene, ein Raubüberfall, zwei Tote. Was dahintersteckt, erfahren wir "dank" diverser Rückblenden und Zeitsprünge: Weil dem Brüderpaar Hanson (P.S. Hoffman und Ethan Hawke) kollektiv das Geld ausgeht, wird der elterliche Juwelierladen als Ziel gewaltsamer Geldbeschaffung ausgemacht- doch Murphys Gesetz schlägt heftig zu, und die Katastrophen folgen auf dem Fuß.

Was Altmeister Sidney Lumet veranlasst hat, dieses Drehbuch anzupacken, können wir nur erraten. Vielleicht etwas Weltschmerz absondern, denn in 117 langen Filmminuten habe ich wenig entdecken können, was meine Sympathie erwecken würde. Praktisch keine Figur ist irgendwie positiv gezeichnet; sollte der von Albert Finney ziemlich aufdringlich gespielte Vater hierfür vorgesehen worden sein, so scheitert das an der zu späten Einführung und den allzu plakativen Emotionen (und Handlungen), die Finney in seinen späten Szenen zeigen muss. Den ganzen Rest mag man mit etwas gutem Willen als Kommentar zur aktuellen gesellschaftlichen Situation in den USA verstehen: Die Auflösung der Familie, Geldgier, omnipräsenter Waffenbesitz, alles schön und gut, aber das ganze wirkt lehrbuchartig, künstlich und unspannend.

Das Hauptproblem des überlangen Streifens ist aber aus meiner Sicht die Dramaturgie. So einen modischen Unfug mit Zeitsprüngen und den verschiedenen Perspektiven kann man mal machen, aber es muss irgendeinen Sinn ergeben und den Zuschauer mit offenen Fragen bei der Stange halten (so wie bis zu einem gewissen Grad in "8 Blickwinkel"). Hier gibt es durch die permanenten Handlungshopser nichts, aber auch gar nichts neues, überraschendes, nicht-banales zu sehen. Beispiel: Eine Frau wird auf einer Beerdigung angerufen, an Wortwahl und Gesichtsausdruck erkennen wir, es ist der Liebhaber. Einige Zeit später der Zeitsprung: Wir sehen den Lover, der anruft und mit den gleichen Worten abfertigt wird. Gääääähn. Das gilt im Kleinen wie im Großen: Einzig mit der Frage, wer den anfänglich zu sehenden Überfall geplant und durchgeführt hat, kann man nicht fast 2 Stunden Film füllen, und so hängt das Werk vor allem in Mitte durch wie eine Hängebrücke mit Otti Fischer drauf.

Zumal das fertige Produkt auch zielgruppentechnisch vollkommen zwischen den Stühlen sitzt: Jüngere Zuschauer werden durch ungewohnt lange Einstellungen und zähe Dialoge verärgert, etwas reifere Publikumsschichten neben der künstlich aufgebrezelten Dramaturgie noch durch die eher unmotivierten Sex-Szenen und einige Gewaltausbrüche. Schauspielerisch ist das alles erwartungsgemäß ansehnlich, natürlich vor allem Hoffman, auch wenn der mit der deutschen Synchronstimme von Jack Bauer für meinen Geschmack nicht so gut bedient ist. Natürlich ist der Film auch keine völlige Katastrophe, als gepflegtes Actors-Kino für geduldige Zuschauer mag er durchgehen, aber auch auf diesem Gebiet haben wir in letzter Zeit besseres und vor allem spannenderes gesehen.

Also, Mr. Lumet: Genießen Sie Ihren verdienten Ruhestand. Und falls Ihnen doch noch mal ein Drehbuch in die Hände fällt, das nicht nur Weltschmerz und Katastrophen enthält, dann verfilmen Sie es, wie Sie es gelernt haben, mit einem Anfang, einem Ende und nicht gar zu viel Leerlauf mitten drin.

Details
Ähnliche Filme