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Edgar Reitz, maßgeblich an der deutschen Autorenfilmbewegung beteiligt, verfilmte 1978 die Geschichte des berühmten Flugpioniers Ludwig Berblinger, und hielt sich dabei eng an die historisch verbürgten Fakten. Eigentlich gelernter Schneider, ist er doch viel mehr an Mechanik und Problemen der Luftfahrt interessiert. Der Film begleitet Berblinger von 1792 an, wo er in Österreich erste Begegnungen mit Ballonfahrten hat (und dabei fast ums Leben kommt), über seine Rückkehr nach Ulm, den Entwurf seines eigenen Flugapparates, bis hin zu seinem tragisch gescheiterten Versuch, vor Publikum die Donau zu überqueren.  Als er mit Schimpf und Schande vom aufgebrachten Pöbel aus der Stadt gejagt wird, ist uns Berblinger längst ans Herz gewachsen, was dieses Ende auch so ergreifend macht. Tilo Prückner ist vielen sicher noch als Kidnapper aus Didi der Doppelgänger bekannt, wo er sich auf unkonventionelle Weise Bonbons in den Mund schießt. Hier gibt er eine wunderbare, sympathische Darstellung der Titelfigur ab.
Großartig sind die Szenen, in denen er seine Flugversuche an einem Berghang außerhalb der Stadt unternimmt. Es braucht seine Zeit, bis er den selbstgebauten Gleiter unter Kontrolle hat und schließlich in der Lage ist ins Tal zu fliegen. Für die Filmaufnahmen wurde dafür eine exakte Kopie von Berblingers Original-Gleiter angefertigt und so nebenbei der Beweis für dessen Flugtauglichkeit erbracht. Die subjektiven Kamerafahrten aus Berblingers Sicht wurden mit einer Seilbahn-Konstruktion realisiert, an der die Kamera entlanggzogen wurde.
Auch wenn die Szenen rund um die Flugversuche das Herzstück des Films sind, so sollten nicht die Parallelhandlungen von den politischen und sozialen Unruhen jener Zeit vergessen werden, die sehr authentisch und bisweilen beklemmend wirken. So kommt es vor der Stadt zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit Napoleons Truppen, was nicht zu sehen ist, sondern nur durch fernen Geschützdonner oder eine verirrte Kanonenkugel, die auf der Straße detoniert, vermittelt wird.
Zur glaubwürdigen Atmosphäre tragen auch die gut ausgewählten Schauplätze bei, der Verzicht auf Studioaufnahmen und Hollywood-Glamour, sowie die durchweg überzeugenden Nebendarsteller.
1978 war Reitz ambitioniertes Werk ein katastrophaler Flop. In einer Zeit, in der das Publikum eher auf Weltraum-Gefechte geeicht war, konnte Der Schneider von Ulm nur untergehen. Umso erfreulicher, daß er heute als DVD greifbar ist. Man sollte ihm eine Chance geben. Es lohnt sich.

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