Die Golden Gate Bridge in San Francisco gehört weltweit zu den Suizid Hotspots. Das Interessanteste an dieser Dokumentation ist, dass sie ein ganzes Jahr lang täglich gefilmt wurde, in der Hoffnung, Todessprünge für den Film festzuhalten. Anschließend befragte man die Familien der Springer in Interviews, ohne sie über diese Aufnahmen zu informieren. Fragwürdige Methoden, enormer Aufwand und ein überaus dürftiges Ergebnis, denn große Kunst sieht anders aus.
Für sensationslüsterne Gewaltvoyeure ist die Doku nicht geeignet. Die wenigen Sprünge wurden aus großer Entfernung mit Teleobjektiven und ca. 100fachen Zoom aufgenommen. Daher war es den Kameramännern kaum möglich, die Sprünge zu verfolgen, ohne die Suizidkandidaten aus dem Fokus zu verlieren. Die dokumentierten Todessprünge sind also nicht deutlich erkennbar und machen nur wenige Sekunden in der Doku aus.
Gibt es überhaupt eine Notwendigkeit, diese zu zeigen?
Man könnte argumentieren, dass diese Konfrontation eine Auseinandersetzung des Zuschauers mit dem gesellschaftlich tabuisierten Thema erzwingt und dadurch gerechtfertigt ist. Problematisch ist hingegen, dass diese Darstellung bei gefährdeten Gruppen zu Nachahmungseffekten führen kann (Werther-Effekt) und dabei kaum auf die Ursachen eingegangen wird. Themen wie Prävention und therapeutische Möglichkeiten bleiben sogar komplett außen vor. Es fehlt also die Kontextualisierung und die dargestellten Suizide wirken auf mich wie kalkulierte Aufmerksamkeitsmache, als wolle man den Film gezielt in eine kontroverse Diskussion ziehen, die er sich nicht durch seinen Inhalt erarbeitet hat, sondern durch provokative Mittel erzwingt.
So wird ein grundsätzlich wichtiges Thema unterkomplex betrachtet: Das ein Suizid für die Angehörigen großen Schmerz bedeutet ist selbstverständlich. Ebenso, dass meistens Psychische Erkrankungen in Zusammenhang mit Suiziden stehen. Mehr Inhalt lässt sich aus der Doku nicht ziehen.
Selbst das könnte man noch hinnehmen, wenn die langatmigen Interviews mit den Hinterbliebenen wirklich berührend wären. Doch sie sind so unscharf und beliebig montiert, dass jede emotionale Wirkung verpufft. Bei einem so sensiblen Thema ist es fast schon eine Leistung, eine solche Distanz zwischen Zuschauer und trauernden Angehörigen zu erzeugen. Regisseur Eric Steel hat 120 Stunden Interviewmaterial gesammelt, was zwar nach beeindruckender Gründlichkeit klingt, letztlich aber eher den Eindruck vermittelt, dass er selbst nicht wusste, was er eigentlich erzählen wollte.
Trotz seines kontroversen Rufs gelingt es The Bridge nicht, die Schwere und Komplexität des Themas Suizid auf angemessene Weise zu vermitteln. Der Versuch, das Unsichtbare sichtbar zu machen, also den Moment des Suizids selbst zu zeigen, bleibt sowohl ästhetisch als auch inhaltlich hol. Was als aufrüttelndes Dokument gedacht war, hinterlässt vielmehr den Eindruck einer verpassten Chance. Die Dokumentation hat viel beobachtet, aber wenig ausgesagt und noch weniger verstanden.
Da gibt es allein im Deutschlandfunk etliche Beiträge und Reportagen, die das Thema Suizid facettenreich und gewinnbringend beleuchten. Selbst eine standard-Arte-Doku wie Überleben – Was wir über Suizide wissen (2022) ist The Bridge in Bezug auf Informationsgehalt und emotionale Wucht bei Weitem überlegen. 3-4 Punkte