Wenn heute Jugendliche abfällig über ältere Herrschaften lästern, die in Ruhe ihr ARD oder ZDF schauen möchten, dann liegt es vielleicht daran, daß die Öffentlich-Rechtlichen heute einer Vision zum Opfer geworden sind, die sie zu einer Zeit, in der sie Fernsehen ihrem Auftrag nachkommend noch weit experimentierfreudiger gestaltet haben, selbst über die Stationen ausstrahlten. Kaum kann man heute die aufwühlenden Emotionen nachfühlen, die ein Zuschauer durchlebt haben muß, welcher in Deutschland noch keine Vorstellung von Privatfernsehen, Quote oder Werbeunterbrechungen hatte.
Wolfgang Menges Stoff, nach der amerikanischen Kurzgeschichte The Prize of Peril von Robert Sheckley entstanden, scheint einerseits unglaublich visionär für seine Zeit und andererseits so unglaublich wahr, blicken wir doch heute auf eine Entwicklung der Medien von über 40 Jahren nach der Ausstrahlung des Films zurück. Trotz der Legende von einem aufgebrachten Pubikum und drastischen Reaktion war es jedoch ein Rechtestreit über die Verfilmungsrechte, die dafür verantwortlich waren, daß Das Millionenspiel über 30 Jahre nicht mehr gezeigt worden ist.
Wir dürfen glücklich darüber sein, daß sich die Rechtesituation geklärt hat, erweist sich doch auch diese Menge-Geschichte auch heute noch als tagesaktuell, vielleicht sogar wesentlich mehr als früher. Das Millionenspiel erzählt von einer Spielshow, in der ein Kandidat um sein Leben rennt, um eine Million Mark zu gewinnen. Auf seinen Fersen sind bewaffnete Killer. Auch ihnen winkt ein Geldpreis, jedoch wenn der Kandidat stirbt. Je länger es dauert, desto mehr Quote, desto mehr Kopfgeld. Das Spiel findet unmittelbar im städtischen Leben statt und der Kandidat hat sich entlang von Zwischenstationen frei zu bewegen.
Tom Toelle inszeniert die Dystopie ungeheuer dicht und spannend. In der Montage befinden sich einerseits filmische Kameraperspektiven, andererseits Aufnahmen der Spielshow, welche von Dieter Thomas Heck moderiert wird und so sehr authentisch wirkt. Hier erleben wir Schaltungen zu Reportern und Außenteams, die entweder die direkten Teilnehmer oder auch rettende Samariter und Saboteure begleiten, denn es ist eindeutig erwünscht, daß der Zuschauer direkt in den Ablauf eingreift. Stets und regelmässig wird die Sendung von Werbespots unterbrochen, die auf sexuelle Reize setzt.
Wo das Szenario für sich schon menschenfeindlich wirkt, wird in Das Millionenspiel zusätzlich noch der Hintergrund dieses perfiden Spiels beleuchtet. Es handelt sich um einen fiktiven Privatsender, der augenscheinlich mit immer stärkeren Reizen um die Quote kämpfen muß. Zuschauerreaktionen belegen eine bedrohliche Distanz zu den Handlungen. Selbst die Mutter des Kandidaten feuert ihn an, wissend, daß ihr Sohn kurz vor dem Zusammenbruch steht und am Ende eine Todesröhre zu durchqueren hat, in dem der Kandidat noch einmal direkt unter Beschuß steht. Hinter den Kulissen stehen die schmierigen Produzenten, welche um ihre Sendung bangen. Sie scheuen sich nicht, selbst manipulierend einzugreifen, damit ihr Kandidat möglichst lange durchhalten kann.
Wir kennen sie heute, die Shows, in denen sich Kandidaten entblößen und schinden müssen. Selbst die ZDF-Sendung Wetten Dass..? geriet in die Schlagzeilen, als Samuel Koch beim Sprung über fahrende Autos lebensgefährlich verletzt wurde. Das Millionenspiel läßt sich somit heute anders lesen, weil wir so nah dran sind, an der geschilderten Welt. Dies macht den Film für uns nur noch wichtiger und aktueller. Die Moral hingegen bleibt die gleiche und Wolfgang Menge darf sich auf die Fahnen schreiben, es doch schon immer gesagt zu haben. Nicht zum einzigen Mal. Ein großer Fernsehmoment im Pflichtprogramm, da hilft nur einschalten oder DVD bestellen.