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Nachdem sich der kanadische Regisseur David Cronenberg mit knallharten Body-Horror-Streifen einen Namen gemacht hatte, legte er 1993 ein erstaunlich sensibles und einfühlsames Drama über Liebe, Obsession und Verrat vor: Basierend auf einem Bühnenstück, das wiederum auf einem wahren Fall beruht, erzählt er in „M. Butterfly" die Geschichte eines französischen Diplomaten in China (Jeremy Irons), der sich in eine chinesische Opernsängerin verliebt und eine leidenschaftliche Affäre mit ihr beginnt. Doch dass die Angebetete ihn für die Mao-Regierung ausspioniert, ist nur eine von mehreren Täuschungen ihrerseits...

In eleganten Bildern, mit zurückhaltender Kamera und gemächlichem Erzähltempo entfaltet Cronenberg das Porträt eines Bürokraten, der seinen Arbeitsalltag trotz diverser Unsicherheiten meistert, aber in Anbetracht seiner ausbrechenden Emotionen zunehmend die Kontrolle verliert. Zwar sieht man den allermeisten Kulissen ihren Studioaufbau an, doch dieses leicht theaterhafte Element passt durchaus zu einem Film, der von Anfang an viel mit kulturellen, politischen und philosophischen Inhalten jongliert. So spart er durchaus nicht an kritischer Hinterfragung der Beziehungen zwischen imperialem Westen und ausgebeutetem Osten und kleidet diese Reflexion nicht nur in einige sehr interessante und anspruchsvolle Dialoge, sondern auch in eine Dramaturgie, die auf äußerst kluge Weise Motive aus der Oper „Madame Butterfly" verwendet und durcheinander wirbelt.

Neben dem in mehrfacher Hinsicht aufgebauten Leitmotiv des Schmetterlings sind es vor allem Jeremy Irons und John Lone, die dem Film seine vielschichtige Tiefe verleihen. Der Kontrast zwischen Irons' recht beeindruckender Körperlichkeit und seiner emotionalen Verunsicherung, die mit fortlaufendem Film immer mehr zunimmt, und die faszinierend-androgyne Ausstrahlung Lones lassen ihre gemeinsamen Szenen zu sehr intensiven Kulturkonfrontationen werden. Auch gelingt es ihnen hervorragend, ihre Emotionen nicht plötzlich ausbrechen zu lassen, sondern sie unter der Oberfläche ihrer niveauvollen (vielleicht manchmal etwas zu gestelzten) Dialoge von der ersten Begegnung an immer stärker brodeln zu lassen - bis die Leidenschaft schließlich in kurzen, ebenso erotischen wie stilvollen Szenen durchbricht. Wie Cronenberg es hier versteht, die tendenziell homoerotischen Begegnungen so zu inszenieren, dass sich selbst das Mainstream-Hollywood der frühen 90er nicht daran stören konnte, ist ein kleines Meisterstück.

Nachdem „M. Butterfly" so in der ersten Hälfte beinahe durchgehend zu fesseln und zu faszinieren weiß, lässt er in der zweiten leider etwas nach. Zum einen verheddert sich die Story etwas zu sehr in konventionellen Spionage- und Politikproblemchen, was die faszinierende Beziehung zwischen den beiden Hauptakteuren zeitweise zu sehr in den Hintergrund treten lässt (das wird allerdings wieder gut gemacht in der grandiosen Szene, in der Irons im Gerichtssaal das große Geheimnis seiner Geliebten erfährt). Auch werden einige an sich höchst dramatische Wendungen eigentümlich unspektakulär inszeniert, und der Zeitsprung über vier Jahre, so sehr inhaltlich notwendig er sein mag, bringt die Dramaturgie doch etwas ins Stolpern. Und schließlich fällt die recht bizarre Schlusssequenz bei aller Tragik arg kitschig und unglaubwürdig aus. Hier verspielt der Film leider vieles von der tiefgründig-emotionalen Faszination, die er anfangs so erfolgreich aufgebaut hatte.

In Cronenbergs Oeuvre stellt „M. Butterfly" dennoch einen interessanten, meistens fesselnden und definitiv sehenswerten Beitrag dar, der auch schon ein erster Schritt aus dem Body Horror heraus gewesen sein dürfte, dem sich Cronenberg laut eigener Aussage ja nie wirklich zugehörig gefühlt hatte. Dank der starken Darsteller und einer zumindest teilweise intensiv-atmosphärischen Inszenierung kann er diese außergewöhnliche Geschichte auch über Schwächen und Unebenheiten hinweg zu einem spannenden Werk über Identitätsfragen, die Macht der Leidenschaften und Lebenslügen ausgestalten. Thematisch passt er damit durchaus treffend in sein Gesamtwerk.

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