YELLOW – ein „guter“ Tanzfilm (Vorsicht, Spoiler!)
Neulich war Silvester. Ich dachte an Gute Vorsätze. Aber statt mich um Job, Rente und Struktur zu kümmern, sagte ich zu mir: „Statt sich immer über Filme zu erregen, die Dich nervten, lobe doch mal einen Film, der Dir gefiel! Denk' doch mal positiv!“ (Pause.) „Nimm' doch das mal als Vorsatz!“
Das kam leider gerade in dem Moment, als ich (statt mich um Job, Rente und Struktur zu kümmern) einen Tanzfilm angesehen hatte: „YELLOW“. Der gefiel mir tatsächlich. (Besonders im Vergleich zum vorher angesehenen Tanzfilm MAKE IT HAPPEN, der ab 6 Jahre war und daher keinen Sex enthielt, keine saftigen, sondern verlogene Stripeinlagen, keine Blowjobs, keine Nacktheit, keine rauchende Heldin, keine Irrenhäuser und keine Düsternis.) (Achso, ja, all das macht YELLOW für mich zu einem „guten“ Film. - Falls Sie andere Maßstäbe haben oder Wiedergeborener Christ sein sollten... Pech gehabt!)
Doch zugleich ist YELLOW (ab 12 Jahre) für seriöse Kritik schwer geeignet: Cinema.de spricht von „Fleisch gewordenem Männertraum“. So könnte uns Roselyn Sanchez in YELLOW erscheinen, vor allem wenn man(n) von langem, schwarzem, wallendem, glänzendem Frauenhaar besessen ist.
Im Interview erzählt Sanchez auch lachend von ihrer schlanken Traumfigur, die den kräftezehrenden Vor- und Dreharbeiten zu verdanken ist: „Wenn ich schon nackt zu sehen bin, wollte ich wenigstens in Form sein.“
Die Schauspielerin trainierte nicht nur monatelang Tanz, Bodybuilding und Fitness (im Oberlicht glänzt ein Waschbrettbauch, der Steven Seagal neidisch machen würde), sondern ko-produzierte und erhielt einen Credit für die „Idee“.
Eine Idee zu haben ist leicht, aber dafür einen Credit zu bekommen, bedeutet schon eine größere Leistung. Fakt ist, YELLOW ist Sanchez' Baby.
In einem jahrelangen Kraftakt stellte Roselyn Sanchez dieses Projekt auf die Beine: Sie übernahm nicht nur die Hauptrolle, sondern entwickelte mit der bisher nur als Maskenbildnerin ("Transformers") in Erscheinung getretene Nacoma Whobrey das Skript. Außerdem produzierte sie den Film und setzte durch, dass in ihrem Heimatland Puerto Rico gedreht und so das Land an der Produktion beteiligt wurde. Außerdem gelangen ihr zwei beachtliche Besetzungs-Coups: Zum einen gewann sie den Kino-Routinier D.B. Sweeney für ihr Projekt, zum anderen die Hollywood-Legende Bill Duke, selbst preisgekrönter Filmemacher, Autor, Dozent, Menschenrechtler und Schauspieler. Natürlich verletzte sie sich während der Dreharbeiten, doch angesichts des minimalen Budgets war eine Unterbrechung unmöglich.
Den Independent-Spirit sieht man dem Film an (und hört es auch, wenn der Originalton in manchen Szenen schlecht ist): Nicht nur, weil es sich eigentlich um ein klaustrophobisches Kammerspiel handelt, hinter dem die altbekannte Tanzhandlung in den Hintergrund tritt. Auch die Figuren sind durchgehend psychisch zerrüttet (*); wenige Schauplätze; lang ausgespielte sog. „psychologische“ Szenen, in denen Amaryllis mit ihrer dysfunktionalen Familie und dem verwirrten Nachbarn umgeht; das ausgiebige Zitieren von Gedichten (!) (grossartig, bewegend, monumental: Bill Duke); Tänze mit dem Nachbarn, dem Vater und im Käfig dienen eher der Geschichte und den Charakteren als der Erotik; der Glaube an die Macht von Gesichtern (Ingmar Bergman!) und an die Kraft von ruhiger Montage tun ihr Übriges.
Schade, daß einige mutige Einfälle nur als „Geschnittene Szenen“ auf der DVD sind: die Freundschaft mit einem Zwerg; der schreckliche Streit mit dem Vater, kurz vor dessen Selbstmord; die Selbstverstümmelung des Vaters; das Ausmaß der materiellen Not, die den Mitbewohner zur Mitwirkung an Arzneiversuchen treibt.
Über den feministischen Aspekt sollten Feminist_Innen schreiben. Aber abgesehen davon, daß Sanchez diesen Film selbst organisierte und auch als Werbung für ihre Heimat erhofft, ist auch ihre Figur Amaryllis verblüffend selbstbestimmt und mutig, trägt „des anderen Last“ und lässt am Ende tatsächlich den Traumprinz-Arzt sausen, der ihr eine Art goldene Zukunft (goldenen Käfig?!) im fernen Australien geboten hätte. Nein, sie geht lieber allein weiter ins Leben, d.h. zum Vortanzen und dann endlich noch einmal in ihre ärmliche Heimat, zur Aussöhnung mit ihrer Mutter in der Nervenheilanstalt.
Wie schreibt man überhaupt positiv über Filme? Über Tanzfilme? Genügt es, den Vergleich zu anderen Filmen zu suchen? Genügt es, innerhalb des Genres zu postulieren, YELLOW sei gut, weil er „besser ist als diese ganzen anderen simplen Gurken im Teeniemilieu“?!
Oder muß jeder Film für sich selbst stehen und für sich selbst besprochen werden? Ohne Bezugnahme auf andere Filme?
Und wenn das hervorstechendste Merkmal die grandiose Hauptdarstellerin ist? Fragen über Fragen. Im Jahr 2010 kann ich versuchen, Antworten zu finden.
(*)
Vater: gelähmt, impotent, hat mit dem Leben abgeschlossen, nach Selbstverletzung und Ende der Tanzkarriere.
Mutter: haltlos, treibt es mit dem Freund der Tochter.
Freund: drogendealender Macho und Poser, treibt es mit der Mutter. Beste Freundin daheim: übergewichtig.
Vormieter der Wohnung: spurlos verschollen.
Mitbewohner: nervenkranker Lyriker, verheimlicht sein Elend und seinen Job im Supermarkt.
Sein Sohn: verzweifelt an mangelnder Vaterbeziehung.
Traumprinz: auf Stripperinnen fixierter, einsamer Arzt, der nur Arbeit und Stripclub kennt.
Nebenfiguren: Stripperinnen, Barbesitzer, schwuler Kostümdesigner, übergriffiger Choreograph.