Zu den – meiner Ansicht nach – seltsamsten „angesehenen“ Produktionen, derer ich zuletzt habhaft werden konnte, zählt mit Sicherheit „The Man from Eiffel Tower“ aus dem Jahr 1950.
Was sich anschickt, ein spannender Krimi in Paris zu sein, entpuppt sich nach einigen Minuten als verblüffend besetzte Kommissar-Maigret-Verfilmung nach Simenon, die teilweise in beachtliche psychologische Tiefe herabsteigt, um dann wieder eine visuelle Liebeserklärung an die französische Hauptstadt zu werden.
Doch der Reihe nach: aufgenommen und größtenteils besetzt mit Franzosen machen drei Amerikaner hier den klassischen Rollen Konkurrenz: Charles Laughton, Burgess Meredith und Franchot Tone. Der vierte im Chor ist der spätere Katastrophenfilmen Irvin Allen, der hier zeitweise auf dem Regiestuhl saß – allerdings ist in den Vortiteln Burgess Meredith als Regisseur genannt und Laughton soll auch noch als „completition director“ tätig gewesen sein. So hat die Chose also effektiv drei Regisseure gehabt. Wohingegen wiederum Allen und der Dritte im Bunde, Franchot Tone den Film produziert haben.
Wenigstens bei den Rollen sind sie alle auf einmal beteiligt, auch wenn die Figuren in unterschiedlicher Gewichtung auftreten. Der Anfang gehört Meredith, der einen armen Scherenschleifer spielt, den seine Frau zu mehr Geld auffordert. Also lässt er sich zu einem Einbruch überreden, stolpert dabei aber über zwei Leichen. Eine davon, die einer alten Dame, hat sich deren Neffe fatalerweise in einem Restaurant gewünscht, was ein Unbekannter als Auftrag verstanden hatte. Die Absicht dahinter war die Erbschaft, die einen Wechsel des jungen Mannes von seiner Frau zu seiner Maitresse (und bester Freundin der Frau) möglich machen sollte.
Meredith aka „Heurtin“ sitzt nun also als zweifacher Mordverdächtiger da, womit nun Laughton als Maigret ins Spiel kommt, der die Mär von dem mörderischen Mäuschen Heurtin nicht recht glauben will. Er organisiert dem Mann die Flucht aus dem Gefängnis (!), in der Hoffnung, der Flüchtige würde ihn zum Mörder führen. Nach allerlei Belauerungen kristallisiert sich dann Tone als der Mörder heraus, einen psychisch angeknacksten Borderliner mit brillanten Phasen und absolut depressiven Tiefs, der ihn zu einem enigmatischen Soziopathen macht.
Während Meredith sich versteckt, rückt in der zweiten Hälfte des Films das Duell zwischen dem Polizisten und dem Psychopathen in den Vordergrund, denn nachdem Radek (Tone) von Maigret entdeckt wurde (und vice versa) , fängt der Killer an, ein bizarres Spiel zu spielen, über den Mord zu theoretisieren, an seinen Ermittlungen teilzuhaben und sich halbwegs verrückt und unkontrollierbar aufzuführen. Für Maigret ein hartes Brot, denn Radek lässt nicht unversucht, auf seine Genialität und seinen Hedonismus hinzuweisen, unterstützt durch Geldzahlungen, die dazu führen, dass er keine Regeln akzeptiert. Maigret muss jedoch ständig an ihm dranbleiben, was aber auch an einem Punkt in der Handlung zu der berechtigten Frage führt, wer denn jetzt hier wen verfolge.
Das alles geht so weit, bis Radek sogar noch andere Beteiligte in diesem Fall aufeinander hetzt (die beiden Frauen), in der Hoffnung, sie würden noch mehr Leichen produzieren, während sie bemüht sind, die Mordwaffe zu finden, die noch irgendwo in Radeks Haus versteckt sein muss.
Klingt komplex, doch tatsächlich füllen nicht die Ermittlungen diesen 97min-Krimi, sondern die Straßen von Paris. Jeder Filmfan weiß, dass ein paar Straßenszenen an allseits weltbekannten Baudenkmälern helfen, die richtige Atmosphäre für den Spielort zu stimulieren, aber was hier abfotografiert wird, spottet jeder Art von Vorkenntnissen. Wer immer von den Regieköpfen verantwortlich war, SCHWELGT geradezu in sonnendurchfluteten Stadtbildern, sommerlichen Panoramaschwenks die Seine und ihre Ufer rauf und runter, verfolgt die Autos und die Busse durch die weitläufigen Boulevards, hält auf Baudenkmäler und nähert sich der Imposanz von Kirchen und Kulturstätten, wenn nicht gerade die kleinen verrufenen und verschmutzten Nebenstraßen, das alte Paris, zelebriert werden. Vom Eiffelturm ganz schweigen, der an zwei Stellen des Films zu zentraler Bedeutung empor wächst, einmal als Ort des ersten verbalen Duells zwischen Radek und Maigret bei einem Lunch in luftiger Höhe und schließlich zum Showdown, als Radek und Heurtin um die Wette den Turm wortwörtlich hochklettern, eine beachtliche Sequenz, die mit Spielszenen vor Ort und im Studio gefüllt wurde, aber die erforderlich semi-realistische Ausstrahlung besitzt.
Der Film feiert ein Postkartenparis aus der Nachkriegszeit, verausgabt sich als Liebeserklärung, Klischee und Beweis, dass die Stadt den Krieg überstanden hat. Und nebenbei ist er eben noch ein Krimi. Und ein Drama. Aber irgendwie ist er auch immer ein französischer Kriminalfilm, der eindeutig von einem amerikanischen Team geleitet wurde.
Für meinen Geschmack hängt sich die Produktion ein wenig zu sehr an den Manierismen von Franchot Tone auf, der hier carte blanche erhält, wenn es darum geht, den manischen Strippenzieher und Manipulator zu spielen, gerade weil Charles Laughton als die doch sehr bekannte Ermittlerfigur George Simenons sich deutlich zurückhält, aber punktuell wirken einige Sequenzen brilliant, während andere sich mühsam voran schleppen. Aus der seltsamen menage-a-trois mit Robert Hutton (der sowieso nicht sonderlich auffällt), Jean Wallace und Patricia Roc wird einfach zu wenig gemacht und warum Hutton sich dann später auf der Suche nach der Mordwaffe vorsorglich erschießt, ist auch eine gewisse Logiklücke, die eher dazu dient, die Ermittlungen in die Länge zu ziehen. Aller Ehren ist aber die letzte Sequenz auf dem Eiffelturm wert, die allen Leuten mit Höhenangst sicherlich Freude bereiten wird. Wer den Film irgendwo auffindet, möge ihn sich ansehen, eine Kuriosität irgendwo im Spagat zwischen dem französischen und dem amerikanischen Kino. (6/10)