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"My elixir is piss! Who says this!?" Sweeney Todd sagt dies, ganz fies. Doch nicht nur das Haarwuchsmittel des exzentrischen Marktschreiers Pirelli stinkt ihm. Schwermütig und bitter besingt der einst verbannte Todd schon seine Rückkehr an jenen Ort, wo einmal Farben waren. Wo das persönliche Glück hauste, bevor es von einem selbstsüchtigen Richter zerstört wurde. Das Herz, es lodert nur, weil die nicht verzehrten Rachegelüste es anheizen und vielleicht, ganz klein, noch die Erinnerung an die zurückgelassene Liebe überlebt hat. Zu lieben ist Sweeney Todd jetzt, da sich jene Liebe vergiftet hat, nicht mehr fähig. Mrs. Lovett, eine Dame mit tiefen Augenringen und der Garantie für die ekelhaftesten Fleischpasteten in ganz London, berichtet von der Vergiftung der Geliebten und noch im Berichten selbst verfällt sie ihrerseits den dunklen Augenhöhlen des depressiven Barbiers.

Diese Liebende aber irrt. Sie missversteht fatal den höchsten Moment der Zuneigung, in dem die gemeinsame Freude groß ist über einen glorreichen Geschäftseinfall: Warum nicht die Opfer des teuflischen Bartscherers zu Pastete verarbeiten? Sie kamen als Kunden und wurden zu Wurst. Sowieso sind die Fleischpreise dieser Tage so teuer. Die Wellenlänge stimmt eigentlich, doch die nicht ungleich verrückte Mrs. Lovett sehnt und träumt sich in ein anderes Leben. An der See wäre es doch schön! Eine traute Kleinfamilie am Strand, geblendet vom Blau des Himmels und der Grellheit idyllischer Wölkchenformationen. À la bonne heure, diese flippige Flucht in eine bonbonfarbene Strandkorbwelt. Ein Kontrast, wie ihn in dieser schrillen Detailverliebtheit nur ein Tim Burton entwerfen kann. Selbst in dieser Illusion jedoch ist Sweeney Todd kein Lächeln abzuringen. Er grummelt und murrt in seinem Beetlejuice-Pyjama.

Zurück im grauen London des 19. Jahrhunderts ist da seinerseits nur der Blick für die Rache. Noch nie in einem Burton-Werk war eine Figur - von einem Helden lässt sich nicht sprechen - abtrünniger, nie war sie blutrünstiger. Möglicherweise war dies ebenso noch keine Musical-Verfilmung zuvor. Das Blut ersetzt die Tanzchoreographien. Das Blut selbst tanzt. Es ist die Farbe in dieser schmutzromantischen Kulisse. Sicherlich sah Grau selten schöner aus, denn ein Tim Burton, der nicht auch der Fäulnis des Apfels eine Ästhetik abgewinnt, wäre niemals denkbar, ebenso wie etwa eine Braut gar nicht tot genug sein kann, um nicht noch zu heiraten. Das Morbide hat Burton schon immer fasziniert und er hat in ihm wie kein zweiter stets die burleske Seite entdeckt. Leute nun durch den Fleischwolf zu drehen und als prähistorischen Burger zu verspeisen, das ist doch sehr witzig!

Derjenige, dem ein Kannibalenwitz gar in einer Kinderbuchadaption wie "Charlie und die Schokoladenfabrik" nicht zu unfromm ist, nimmt diesen äußerst zynischen Einschlag der Vorlage doch gerne mit. Natürlich schmeckt Mrs. Lovetts Fleischpastete ganz lecker, nachdem das Rezept mit Priester verfeinert wurde. Der Laden brummt. Während die Bewohner sich also selbst fressen, mischt sich in den verrauchten Schlothorizont des viktorianischen Londons, in die Ausdünstungen der fortgeschrittenen Industrialisierung, der krematorische Ruß von Mrs. Lovetts Backofen. Wie gesagt, es stinkt in London. Sweeney Todd roch den Gestank schon bei seiner Ankunft.

"There's a hole in the world like a great black pit
and it's filled with people who are filled with shit!
And the vermin of the world inhabit it!"

There is no place like London. Todd steigert sich hinein in seinen lebensverneinenden Wahn. Die Rasur, das Reinmachen, verkehrt sich zum schmutzigen Akt und die aufgeschnittenen Kehlen der Stadt fallen umweglos in den höllischen Backkeller. Der hoffnungslos Verlorene spült in seinem Taxi-Driver-gleichen Weltverdruss den Abschaum von der Straße, kompensiert vor allem aber die eigene Rachsucht mit der Tat. Das moralische Gewissen ist längst davon. Trotz Burtons Vorliebe fürs Skurrile ist und bleibt "Sweeney Todd" deshalb doch ein finsteres Werk, ein echtes Grusical eben und ein tragisches dazu. Johnny Depp füllt die Hauptrolle mit spannendem Gesang aus, mit überzeugendem Fanatismus, entzückendem Missmut und leidenschaftlicher Gleichgültigkeit. Und spielt dabei wieder einen Dead Man.

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