Nur ein Jahr nach "Whispering Corridors" kam mit "Memento Mori" der Nachfolger in die südkoreanischen Kinos. Sowohl vom Inhalt als auch vom Cast her vollkommen anders, gilt er als zweiter Teil der "Girls High School Ghost Story"-Reihe. Dieser Film ist allerdings alles andere als ein Horrorfilm und hat noch weniger Schock- bzw. Blutmomente als "Whispering Corridors". Vielmehr handelt es sich bei "Memento Mori" um einen dramatischen Mysterythriller mit widerum tiefgreifender Sozialkritik.
Wurde im ersten Teil dieser Reihe noch primär das südkoreanische Schulsystem angeprangert, so geht es im zweiten Teil eher um die Akzeptanz und Toleranz einer ungewöhnlichen weil homosexuellen Liebe zwischen zwei Mädchen. Der Film ist ein eindringliches und sehr sensibel gefilmtes Plädoyer an die Gesellschaft, auch vermeintliche Aussenseiter nicht auszugrenzen und zu isolieren. Die Geschichte ist voller Feingefühl mit frischen und unverbrauchten Schauspielerinnen inszeniert, kein Film für zwischendurch sondern ein Film der seine Zuschauer in jeder Situation fordert und niemals zur Ruhe kommen lässt. Durchsetzt mit unzähligen Rückblenden kommt der echte Filmgenuss erst beim zweiten Ansehen und die vielen liebevollen Kleinigkeiten werden ebenfalls erst beim zweiten Ansehen sichtbar und erlebbar. Mit sakraler Musik unterlegt geht es auf eine manchmal surreale Achterbahnfahrt durch die Gefühlswelt zweier verliebter Mädchen und einer stillen, faszinierten Beobachterin die von aussen hervorragend betrachtend den Zuschauer einlädt teilzuhaben.
Irgendwo an einer südkoreanischen Mädchenschule. Die junge und ein wenig schüchtern wirkende Min-ah ( gespielt von Kim Min-sun ) findet ein sehr liebevoll gestaltetes Wechseltagebuch zweier verliebter Schülerinnen. Neugierig und fasziniert nimmt sie es an sich und beginnt zu lesen, zuerst erstaunt und vorsichtig, danach immer intensiver und auch mitfühlender. Es geht um die beiden Schülerinnen Hyo-shin ( gespielt von Park Yeh-jin ) und Shi-eun ( gespielt von Lee Young-jin ). Sie führten besagtes Wechseltagebuch zusammen und haben dort ihre Liebesgeschichte fetsgehalten. In letzter Zeit scheinen sie sich aber nicht mehr so gut zu verstehen und eine grosse Belastung scheint auf ihrer Liebe zu liegen.
Am Tag der Gesundheitsprüfung stürtzt sich Hyo-shin scheinbar aus Liebeskummer vom Dach der Schule. Die Situation an der Schule eskaliert immer mehr und Min-ah dringt immer tiefer in die Gefühlswelt der beiden Mädchen hinein. Sie hört Stimmen, hat Halluzinationen und irgendwie scheint Hyo-shins Geist noch nicht seinen Freiden gefunden zu haben. War sie vielleicht doch von ihrem Lehrer Mr. Goh ( gespielt von Baek Jong-hak ) schwanger, oder will er sich an der gesamten Schule für die Ablehnung und Ausgrenzung rächen?
Die Geschichte ist eigentlich sehr einfach und wäre schnell erzählt, ja wenn die beiden Regisseure Kim Tae-yong und Min Kyu-dong nicht die gesamte Liebesgeschichte der beiden Mädchen in Rückblenden über den gesamten Film verstreut aufarbeiten würden. Als Zuschauer steigt man mit Min-ah in die Thematik ein und erfährt durch sie aus besagtem Tagebuch immer stückweise mehr aus dem Leben der beiden verliebten Schülerinnen. Diese Rückblenden sind manchmal so kurz und schockmässig eingebaut, dass es einem schwer fällt nicht den Faden zu verlieren. Am Ende wird aber nahezu alles aufgelöst und nachvollziehbar, eine wunderschöne Geschichte einer tragischen aber wunderschönen Liebe, absolut überzeugend gespielt und kunstvoll musikalisch und bildtechnisch inszeniert.
Die drei Schauspielerinnen gaben allesamt ihr Debut in diesem Streifen und nehmen wir Kong Hyo-jin ( sie spielt die quirlige und burschikose Ji-won ) noch dazu, dann haben wir vier Debuts in einem Film. Alle vier konnten ihre gute Performance nutzen und waren danach weiterhin in Filmen oder TV-Serien zu sehen. Den nachhaltigsten Erfolg hatte wohl Kim Min-sun, sie spielt die Figur der Min-ah derart bezaubernd und mitfühlend dass sie durch ihre Performance für mich zur Hauptsäule des Films wird. Perfekt und auf den Punkt gecastet ist auch Lee Young-jin ; ihr nimmt man die lesbische junge Frau sofort ab und sie strotzt gerade vor Eigenständigkeit und Wiedererkennungswert. Die schwer einzuschätzende und labil wirkende Hyo-shin wird ebenfalls perfekt zwischen Schuld und Unschuld von Park Yeh-jin verkörpert.
"Memento Mori" ist ein beeindruckendes Psychogramm einer nie geduldeten und von der Gesellschaft verachteten Liebe zwischen zwei Teenagern die damit überfordert wurden. Es gibt faktisch keine harten Horrorelemente, es dominiert der subtile Druck und die surreale Bildersprache der beiden Regisseure. Im Soundtrack dominiert mal wieder das Klavier, daneben sakrale Chorklänge und sehr passende Lichteffekte. So wird eine sehr erwachsene Liebesgeschichte inmitten herumalbernder Teenager beschrieben, wir sehen nur hilflos agierende Lehrer bei denen die Schülerinnen schon Mitleid bekommen und die somit keinen Beitrag auf dem Weg zum erwachsen werden ihrer Schülerinnen leisten können. Eine reifende und mitfühlende Min-ah führt uns wie ein Kompass durch den Film und ziemlich am Ende hat sich alles aufgelöst. In diese angenehme Entspannung folgt eine Szene die einem den Atem stocken lässt, sehr passend herrscht plötzlich Totenstille und die schreckliche Ahnung soll für den Zuschauer wohl Gewissheit werden.
"Memento Mori" rüttelt wach, er schreit geradezu auf und bettelt um das Mitgefühl seiner Betrachter, er fleht nach Toleranz und Offenheit. Das macht er so überzeugend und hochwertig, dass er starke 8 Punkte bekommt.